Nachsitzen für Lehrkräfte

5. Oktober 2020 • Aktuelle Beiträge, Digitales • von

Viele Lehrer in Deutschland müssen nachsitzen, um Medien- und Digitalkunde zu pauken und Wissenslücken zu füllen. Aber sie sind dabei nicht auf sich allein gestellt.

Nachrichtenkompetenz ist eine Schlüsselkompetenz in einer demokratischen Gesellschaft. Kinder und Jugendliche sind konsequent zu befähigen, kundig und überlegt mit Nachrichten und Nachrichtenquellen umzugehen. Diese Kompetenz muss von Grund auf geschult werden. Das sehen nach einer neuen Umfrage auch die Lehrkräfte so: Insgesamt 95 Prozent halten Nachrichtenkompetenz für „besonders wichtig“ oder mindestens für „auch noch wichtig“.

Befragt wurden 500 Lehrkräfte an Realschulen, Gesamtschulen und Gymnasien, die in den Klassenstufen 7-10 ein sozialwissenschaftliches Fach oder Deutsch unterrichten. Die Studie führte das Institut für Demoskopie Allensbach diesen Frühling im Auftrag der Stiftervereinigung der Presse durch. Auffallend ist ein Ost-West-Unterschied: in den westlichen Bundesländern sind es 60, in den östlichen 39 Prozent, die das Vermitteln von Nachrichtenkompetenz als „besonders wichtig“ einordnen.

Einigkeit besteht darin, dass der Lehrplan zwar Raum für Nachrichtenkunde biete, aber deutlich zu wenig. Die Lehrkräfte richten ihr Augenmerk sehr stark auf die gedruckte Zeitung, obwohl soziale Medien in der Schülerschaft deutlich stärker genutzt werden und obwohl fast jede fünfte befragte Person glaubt, dass viele wichtige Nachrichten verschwiegen werden und nur in sozialen Netzwerken zu finden sind. Jüngere Lehrkräfte bewegen sich zwar öfter auf sozialen Medien, informieren sich aber offenbar weniger intensiv über aktuelle Ereignisse als ältere Lehrende.

Die Mehrheit der Lehrkräfte fühlt sich indes kundig genug, um den Schülern die nötige Nachrichtenkompetenz beizubringen. Doch die Studie offenbart, dass dies eine trügerische Selbstwahrnehmung ist. Denn jeder zehnte Befragte hat noch nie etwas vom öffentlichen Auftrag der Medien gehört. 38 Prozent sind sich mindestens nicht sicher, ob Medien in Deutschland wirklich die „Mächtigen“ kritisch beobachten und kontrollieren sollen. Und jede zehnte Lehrkraft ist davon überzeugt, dass Medien die Meinungsbildung im Sinne der Regierung lenken sollen.

Die Studie aktualisiert das Bild aus vorherigen Studien, z.B. der Universität Dresden. Die Dringlichkeit zu handeln steigt weiter: Desinformation bis hin zu Verschwörungsnarrativen sind Treiber, die Corona-Pandemie offenbarte Qualifikationsdefizite, v.a. bei der digitalen Kompetenz, was wiederum auch soziale Medien und damit Medien- und Nachrichtenkompetenz adressiert.

Ein konkreter Ansatz zur Unterstützung und Qualifizierung kommt aus Medien und Bildungsorganisationen. Klaus Ott und Tom Soyer von der „Süddeutschen Zeitung“ sind Impulsgeber für ein Projekt, aus dem die bundesweite, neue Initiative „Journalisten machen Schule“ wurde. Das Netzwerk vermittelt (auch regional) Unterrichtsbesuche von Journalisten, bietet Tipps, Tools und Unterrichtsmaterial, auch für digitalen Fernunterricht.

Aber das ist nicht genug. Das Lehrpersonal muss systematisch qualifiziert werden. Auch die Schulpolitik muss nachsitzen. Die Zeit drängt.

 

Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 4. Oktober 2020

Bildquelle: pixabay.com 

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