Vielfältige, ausgewogene und begründete Argumente führen zu mehr Nutzerkommentaren – aber das ist nicht immer ein gutes Zeichen.
In einer Analyse von 400 Online-Beiträgen der Nachrichtenportale Zeit Online, Welt Online, Rheinische Post Online und Tagesspiegel Online haben Hanna Marzinkowski und Ines Engelmann an der Universität Jena untersucht, was Leser dazu anregt, sich besonders zahlreich in den Kommentarspalten zu äußern. Dahinter steht die Idee, dass eine umfangreiche Kommentierung journalistischer Beiträge im Netz ein Zeichen für eine lebendige gesellschaftliche Auseinandersetzung und funktionierende politische Willensbildung ist. Neben der zunehmenden Emotionalisierung und sprachlichen Eskalation in den Kommentarzeilen der Online-Medien werden also auch positive Effekte der neuen Beteiligungsmöglichkeiten im Netz sichtbar.
Insgesamt riefen die zufällig ausgewählten Beiträge aus den Politikressorts der Online-Portale mehr als 30.000 Kommentare hervor. Nur 15 Prozent der Beiträge wurden gar nicht kommentiert. Besonders häufig wurden Beiträge kommentiert, die vielfältige Stimmen zitierten, in denen (auch) Oppositionspolitiker zu Wort kamen und gegensätzliche Argumente und Begründungen gegenübergestellt wurden. Ging es um gesellschaftliche Streitfragen, die schon entschieden waren, ging die Zahl der Kommentare zurück. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass Differenzierung und Informationstiefe mehr Leser anregen, als die Fokussierung auf ein Argument, einen Sprecher, eine Perspektive.
Einen anderen Blick auf diese Befunde eröffnet eine Studie des Londoner Institute for Strategic Dialogue und der Initiative ichbinhier, die bei einer Analyse von mehr als 1,6 Millionen Facebookbeiträgen eine Zunahme koordinierter Hasskampagnen aus dem rechtsextremen Spektrum durch falsche Profile, Netzroboter und organisierte Kommentarfluten feststellten. Man muss also wohl genauer hinsehen: Die Zahl der Kommentare kann beides bedeuten – eine breite gesellschaftliche Debatte ebenso wie inszenierte Meinungsmache.
Erstveröffentlichung: tagessspiegel.de vom 8. Juli 2018
Bildquelle: pixabay.com
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