Mit einem neuen Handbuch gegen Medienmanipulation

17. Juli 2020 • Aktuelle Beiträge, Digitales, Qualität & Ethik • von

Die Corona-Krise hat gezeigt, wie stark Desinformation die öffentliche Debatte und die Demokratie bedrohen kann. Die neue Ausgabe des Verification Handbook von Craig Silverman gibt Journalisten eine Anleitung an die Hand, wie sie zwischen Wahrheit und Unwahrheit unterscheiden und die Öffentlichkeit mit vertrauenswürdigen Informationen versorgen können.

Die dritte und neueste Ausgabe des Verification Handbook, herausgegeben vom European Journalism Centre, bietet Journalisten, die sich in einem chaotischen Informationsumfeld zurechtfinden wollen, wertvolle Ratschläge. Das Buch soll Journalisten das Wissen und die Fähigkeiten vermitteln, die sie benötigen, um Social-Media-Accounts, Bots, private Messaging-Anwendungen, Deep Fakes und andere Formen der Desinformation und Medienmanipulation zu untersuchen. Es baut auf den wertvollen Inhalten der ersten beiden Ausgaben, dem Verification Handbook und dem Verification Handbook for Investigative Reporting, auf.

In seiner Einleitung zur neuesten Ausgabe zitiert der Herausgeber Craig Silverman eine Fallstudie, die zeigt, wie virale Inhalte die Realität überzeugend nachahmen und damit selbst die adleräugigsten Journalisten in die Irre führen können. Silverman weist darauf hin, dass es oft nicht mehr als einer Google-Suche bedarf, um eine falsche Story zu entlarven, dass sich aber Redakteure dennoch von dem, was sie zu wissen glauben, auf falsche Fährten locken lassen. Sie können auch durch digitale Signale wie eine große Anzahl von Retweets und Views getäuscht werden.

Claire Wardle, Direktorin der US-Organisation First Draft, hat zur Einführung das Kapitel „The Age of Information Disorder” beigetragen. Darin erläutert sie ihre Einwände gegen die pauschale Verwendung des Begriffs „Fake News“ zur Beschreibung jeglicher Art von Desinformation oder Fehlinformation. Laut Wardle ist der Begriff “Fake News” eine eklatant unangemessene Bezeichnung, die die Komplexität des Problems nicht einmal ansatzweise vermittelt. Sie beanstandet auch die Art und Weise, wie der Begriff als Waffe verwendet wird, vor allem durch Politiker, die die Glaubwürdigkeit professioneller Nachrichtenmedien untergraben wollen. Stattdessen schlägt Wardle eine Kategorisierung in sieben verbreitete Formen vor: Parodie oder Satire, falscher Zusammenhang, falscher Kontext, irreführender Inhalt, betrügerischer Inhalt, manipulierter Inhalt und erfundener Inhalt. Sie besteht darauf, dass „die Sprache zählt“: Es ist von entscheidender Bedeutung, dass zur Beschreibung solcher Phänomene die richtigen Begriffe verwendet werden. Wardles Beitrag zum Handbuch erklärt auch auf verständliche Art und Weise den Unterschied zwischen Fehlinformation, Desinformation und dem neu geschaffenen Begriff „Malinformation“ –   Informationen, die auf der Realität basieren und dazu dienen, jemandem Schaden zuzufügen.

Das Verification Handbook beinhaltet auch ein umfangreiches Kapitel, das der Untersuchung von Social-Media-Accounts gewidmet ist und sich damit befasst, wie man mithilfe von Benutzernamen, E-Mail-Adresse, Fotos und Beziehungen nach Personen suchen kann. Brandy Zadrozny, eine investigative Reporterin für NBC News, teilt mit den Lesern ihre wichtigsten Werkzeuge und empfiehlt Methoden, um Hinweise auf die Identität der Personen zu finden, die hinter bestimmten Social-Media-Accounts stehen. Tools wie Pipl und Skopenow helfen Journalisten, Informationen aus der „realen Welt“ wie Telefonnummern und Grundbucheinträge mit Online-Aufzeichnungen wie E-Mails und Benutzernamen abzugleichen. Namechk kann verwendet werden, um die Verfügbarkeit von Benutzernamen in verschiedenen Plattformen zu überprüfen. In einem Kapitel mit dem Titel „Erkennung von Bots, Cyborgs und nicht authentischen Aktivitäten“, das von zwei investigativen Journalisten des Recherchenetzwerks Bellingcat verfasst wurde, werden unter anderem einige Tools und Techniken zur Entlarvung von Twitter-Bots beschrieben.

Verifikation visueller Inhalte

Journalisten, die visuelle Inhalte auf deren Authentizität überprüfen müssen, werden ermutigt, Standard-Tools wie InVID, Yandex Image Search, TinEye, Google Image Search und Forensically zu verwenden. Das Handbuch verweist die Leser auch zu externen Ressourcen wie dem First Draft Visual Verification Guide, mit dessen Hilfe Bilder und Videos verifiziert und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden können.

Journalisten und Aktivisten werden zunehmend zur Zielscheibe von Bedrohungen, die von Verschwörungs- und Desinformationskampagnen im Internet ausgehen. Sam Gregory, ein international bekannter Medien- und Menschenrechtsaktivist sowie Technologiespezialist, hat ein Kapitel zum Handbuch beigesteuert, das den Lesern ein grundlegendes Verständnis dafür vermitteln soll, wie Deep Fakes und Synthetic Media – oftmals von Algorithmen digital erstellte oder modifizierte Medien –funktionieren.

Investigative Journalisten, die sich mit Themen wie politischer Werbung und Microtargeting während Wahlen befassen, können sicherlich von dem Kapitel profitieren, das erklärt, wie Urheber politisch motivierter Werbeanzeigen, die Desinformationen zu wichtigen politischen oder sozialen Themen verbreiten wollen, aufgedeckt werden können. Johanna Wild von Bellingcat beschreibt, wie investigative Journalisten die erst kürzlich von verschiedenen sozialen Netzwerken erstellten Werbebibliotheken (Ad Libraries) nutzen, um zu überprüfen, woher die während der Wahlen bei Google, Facebook, Twitter und Snapchat veröffentlichten Anzeigen stammen. Wenn Journalisten sich die Mühe machen, sich mit den versteckten Funktonen dieser Werbebibliotheken auseinanderzusetzen, können sie diese als eine einfache und leistungsstarke Ergänzung ihres digitalen investigativen Recherche-Toolkits verwenden, so Wild. Das Kapitel enthält eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Werbebibliotheken der wichtigsten Plattformen.

Die Verfasser des Handbuchs verweisen auch auf mehrere Fälle von Manipulation und Desinformation aus den Philippinen, den Vereinigten Staaten, Hongkong, Brasilien, Indonesien und dem Vereinigten Königreich.

Die Beiträge all dieser Weltklasse-Journalisten und Technologieexperten, die zusammen ein beeindruckendes Themenspektrum abdecken, machen das Verification Handbook zu einer fantastischen Ressource, die eine unschätzbare Hilfe im Umgang mit Online-Manipulations- und Desinformationskampagnen darstellt.

 

Dieser Beitrag wurde zuerst auf der englischen EJO-Seite veröffentlicht.

 

Zum Thema auf EJO: Ein Handbuch für das digitale Zeitalter

 

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