Wir sind weder „dem Digitalen“ noch Facebook ausgeliefert. Eine Studie des Reuters Instituts der Universität Oxford und der Marktforscher von Kantar Media belegt: Treten wir aufgeklärt und verantwortungsbewusst auf, können wir uns vertraute Räume zurückerobern.
Das Ansehen von Nachrichten, die über Facebook verbreitet werden, ist an einem Tiefpunkt angelangt. Immer mehr Nutzer wissen, wie rasch sie dort falschen Informationen aufsitzen und mit Nachrichten ohne echte Bedeutung überschüttet werden – und dies zum Preis, immer mehr Privates offenzulegen. Als Folge davon ging der Nachrichtenkonsum deutlich zurück, belegt die qualitative Studie von Reuters und Kantar Media am Beispiel von Brasilien, Deutschland, Großbritannien und den USA. Untersucht werden bewusst Medienmärkte, in denen Facebook und Messaging-Apps für Nachrichten unterschiedlich intensiv genutzt und Datenschutzbestimmungen unterschiedlich sensibel gesehen werden. Die Studie analysiert Verhalten und Einstellung von Verbrauchern zu sozialen Netzwerken und Messaging-Apps allgemein sowie speziell bezogen auf den Konsum von Nachrichten.
Die zunehmend kritische Haltung gegenüber Facebook zeigt das Potenzial von Publikumsethik: Ist sich das Publikum seiner Verantwortung für vertrauenswürdige Medien bewusst und bereit, sich gegen eine bestimmte Berichterstattung oder Geschäftspolitik zu wehren, lassen sich auch Giganten bändigen. Viele Menschen entdecken Nachrichten zwar noch auf Facebook, schwenken aber zu Instagram und Messenger Apps (z.B. Snapchat, WhatsApp, Facebook Messenger), um sie dort geschützt zu diskutieren und zu teilen, ohne sich den auf Facebook häufig von Hassrede oder bewusster Fälschung geprägten öffentlichen Debatten auszusetzen.
Der Forschungsbericht ernüchtert mit dem Hinweis, Messaging-Apps seien für gewollte Desinformation ähnlich anfällig wie Facebook. Er liefert aber auch eine für klassische Nachrichtenindustrie motivierende Erkenntnis: Immer mehr Menschen trauen den via Facebook erworbenen Nachrichten immer weniger als jenen, die sie über etablierte Nachrichtenmarken beziehen. Es kommt nun darauf an, ob diesen eine auch finanziell tragfähige Vertrauensgemeinschaft mit ihren Zielgruppen gelingt.
Nic Newman (2018): News in social media and messaging apps. Qualitative research report. Prepared for the Reuters Institute for the Study of Journalism, University of Oxford https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/sites/default/files/2018-09/KM%20RISJ%20News%20in%20social%20media%20and%20messaging%20apps%20report%20_0.pdf
Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 16. September 2019
Bildquelle: pixabay.com
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