Vertrauen als Grundlage

2. Juli 2018 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Über soziale Medien verbreiten sich Gerüchte am schnellsten. Angehende Journalisten aus Deutschland und den USA lernten Methoden kennen, die Fehlinformationen erfassen und ihre Veröffentlichung unterbinden sollen. 

Das Truth-O-Meter von Politifact kennzeichnet Aussagen als wahr, falsch oder „pants on fire“.

Die Berichte der Zeitung The Daily Progress erreichen normalerweise die Bürger im Umkreis der Provinzstadt Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia. Im August 2017 war das anders: Demonstrationen von weißen Nationalisten, Rassisten und Rechtsradikalen machten die 50.000-Einwohner-Stadt im August 2017 weltweit in den Medien bekannt. Eine angespannte Situation für Aaron Richardson, den leitenden Redakteur der Lokalzeitung, und seine Kollegen. Doch nicht die Demonstrationen an sich versetzten die Zeitungsreporter und andere Journalisten in hektische Betriebsamkeit. Im Umfeld der Aufmärsche kam es zu dramatischen Vorfällen, die drei Menschenleben forderten.

Eine 32-jährige Frau kam am 12. August 2017 ums Leben, als ein Autofahrer seinen Wagen absichtlich in eine Gruppe von Gegendemonstranten steuerte; Dutzende Menschen wurden verletzt. Mehrere Tausend Anhänger verschiedener nationalistischer und rechtsradikaler Gruppen demonstrierten bereits den zweiten Tag. Wichtigster Anlass war Erhalt eines Denkmals für einen Armeegeneral aus der Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs, welches die Stadt entfernen lassen wollte.

Einige Zeit später stürzte ein Polizeihubschrauber wegen eines technischen Defekts auf ein Feld in der Nähe der Stadt, die beiden Insassen wurden ebenfalls getötet. Rasch kamen Gerüchte auf, dass der Helikopterabsturz mit dem Auto-Anschlag in Verbindung steht oder gar abgeschossen wurde. Für die lokalen Medien waren die tragischen Ereignisse eine große Herausforderung. Die Reporter von The Daily Progress konnten nicht überall präsent sein. „Obwohl alle Kollegen im Einsatz waren, mussten wir uns teilweise auf uns bereits bekannte, seriöse Quellen verlassen“, sagt Richardson. Es sei nicht möglich gewesen, immer zwei verschiedene Augenzeugen zu finden. Deshalb habe man sich teilweise auf die Informationen von anderen Journalisten oder glaubwürdig erscheinenden Demonstrationsteilnehmern verlassen. Die Zusammenarbeit habe reibungslos funktioniert, sodass keine falschen Informationen veröffentlicht wurden.

Auch Val Thompson ist mit der damaligen Berichterstattung zufrieden. Der Nachrichtenchef des örtlichen TV-Senders CBS 19 News, welcher Programme für drei nationale Rundfunksender produziert, schickte alle verfügbaren Reporter auf die Straße. „Die Kollegen sprachen an diversen Orten mit so vielen Augenzeugen und Betroffenen wie möglich“, sagt er. Der kleine Newsroom habe dabei als Lagezentrum fungiert. Thompson macht die Seriosität der Fernsehberichte rund um die Demonstrationen vor allem an den Nutzerzahlen fest: Im November 2017 hätten die Programme aus Charlottesville bereits 25 Prozent mehr Zuschauer gehabt.

Thompson und Richardson rekapitulierten die damalige angespannte Nachrichtenlage für 16 angehende Journalisten aus Deutschland und den USA. Die Studenten besuchten Redaktionen, Think Tanks, NGOs und Journalistenschulen in Charlottesville, Washington DC und New York. Das erstmals angebotene einwöchige Austauschprogramm, an dem auch der Autor dieses Beitrags teilgenommen hat, wurde von der Organisation Cultural Vistas realisiert. Thema der Reise war „Journalismus im Zeitalter der Desinformation“. Dementsprechend gaben viele der Gesprächspartner darüber Auskunft, wie sie mit bewussten Falschmeldungen – vor allem in sozialen Netzwerken – umgehen und welche Herausforderungen dadurch hinzukommen.

„Starke Überzeugungen wie die Gegnerschaft zum Klimawandel können nicht durch Faktenprüfungen geändert werden“, sagt Angie Holan, Redakteurin bei Politifact. Äußerungen von Politikern und Lobbyisten zu überprüfen, lohne sich dagegen oft. Sehr häufig könnten ihnen zumindest teilweise falsche Aussagen nachgewiesen werden. Das Recherche-Projekt Politifact wurde 2007 von der Tampa Bay Times in Florida gegründet. Zur Einordnung der Aussagen wurde das Truth-O-Meter entwickelt. Je nachdem, wie genau die Äußerungen mit den von der Redaktion recherchierten Fakten übereinstimmen, kennzeichnet Politifact die Aussage als wahr, größtenteils wahr, halb wahr, größtenteils falsch, falsch oder „pants on fire“. Holan betont, dass Politifact unabhängig arbeite und die Bewertungen der Aussagen keine persönlichen Meinungen enthielten.

Auch der Think Tank Atlantic Council betreibt eine digitale Faktenprüfungs-Plattform. Das Digital Forensic Research Lab (DFRLab) hat seine Aktivitäten in Kampagnen organisiert. Die Ergebnisse werden vor allem über Twitter und Facebook verbreitet. Dazu werden sämtliche Kampagnen mit Hashtags betitelt. Unter #ElectionWatch werden beispielsweise Meldungen und Posts zu weltweit stattfindenden nationalen Wahlen auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht. Und unter #MinskMonitor werden Äußerungen rund um den Konflikt in der Ostukraine untersucht. Auffällig ist, dass keine Kampagne der US-amerikanischen Politik gewidmet ist.

John Daniszewski berichtet, dass das Klima für Journalisten spürbar rauer geworden ist, seit Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde. Doch Kampagnen gegen die Politik kann Daniszewski nicht fahren. Er ist Redakteur und Vizepräsident für redaktionelle Standards bei der Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Regierungsbehörden und Ministerien würden verstärkt versuchen, Journalisten den Zugang zu Informationen zu erschweren. „Einer unserer Reporter wurde von Scott Pruitt (Leiter der Umweltbehörde EPA, Anm. d. Red.) von einer Pressekonferenz verwiesen, angeblich wegen Platzmangels. Daniszewski vermutet, dass der wahre Grund vorherige kritische Fragen des Journalisten oder seiner Kollegen waren.

Der AP-Vizepräsident sieht jedoch keinen Grund, bekannten seriösen Quellen grundsätzlich misstrauisch zu begegnen. „Wir können uns in der Regel auf die Genauigkeit der eingehenden Informationen verlassen.“ Kooperationen mit anderen Nachrichtenagenturen würden dabei helfen, die Veröffentlichung von falschen Informationen zu vermeiden. „Mit der dpa tauschen wir beispielsweise sämtliche Beiträge gegenseitig aus.“ Gleichwohl würden alle Agenturmeldungen auch nach der Veröffentlichung noch auf Fehler untersucht und diese gegebenenfalls korrigiert.

Aaron Richardson musste sich nach den Vorfällen in Charlottesville teilweise auch auf fremde Informationen verlassen. Doch zusammen mit seinen Kollegen von The Daily Progress half er auch dabei, Falschmeldungen zu vermeiden. Die Redakteure der Lokalzeitung dienten nationalen sowie ausländischen Medien als Experten und Augenzeugen.

Bildquelle: Screenshot

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