Vielfalt im Journalismus geht alle etwas an

31. März 2022 • Aktuelle Beiträge, Digitales, Forschung aus 1. Hand, Qualität & Ethik • von

Im Journalismus wird viel über Diversity debattiert: Redaktionen und Teilnehmer von Podiumsdiskussionen grübeln, warum Medienschaffende noch immer weiß, studiert und bürgerlich sind. Dabei muss man nur junge Journalistinnen und Journalisten befragen, um Antworten zu finden. Das zeigt Alina Andraczek, Journalistik-Studentin an der TU Dortmund, in ihrem Bachelor-Projekt „Wer macht Medien?“.

Einen elitären Ruf hat der Journalismus schon immer. Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Debatten um Rassismus, Sexismus und soziale Diversität wird dieses Image verstärkt. Besonders junge Menschen schauen sich genauer an, wer die Tagesschau präsentiert oder hinter dem Online-Artikel steckt. Und das sind auch im Jahr 2022 mehrheitlich Männer, studiert, weiß. Die Branche hat das mittlerweile weitgehend als Problem anerkannt und bekennt sich unter anderem durch die Charta der Vielfalt dazu, ihre Redaktionen für diversere Kandidatinnen und Kandidaten öffnen zu wollen. „Diversity“ ist zu einem Schlagwort auf Konferenzen, in Fachzeitschriften und Stellenanzeigen geworden. Über die Ursachen der sozialen Selektivität der Medienbranche wird in diesen Branchen-Talks viel gemutmaßt. Dabei geben erste Forschungsergebnisse und junge Journalistinnen und Journalisten klare Antworten.

Ebendiese Berufsanfänger und erfahrene Journalistinnen und ihre Perspektiven auf den Beruf stehen im Mittelpunkt des Podcast „Wer macht Medien?“. Die narrative Audio-Serie stellt einen Versuch dar, die Zugangsbarrieren im Journalismus medienjournalistisch aufzuarbeiten. Dem Podcast und der Formatentwicklung liegt eine Bachelorarbeit am Institut für Journalistik der TU Dortmund zugrunde. Im Fokus der Arbeit steht das Ziel, ein medienjournalistisches Format über Diversität im Journalismus für eine branchenfremde Zielgruppe zwischen 14 und 29 Jahren zu entwickeln. Besonders für junge Menschen in einer beruflichen Findungsphase ist Orientierung und damit Wissen über die Hintergründe von Chancen und Zugangsbarrieren wichtig. Deswegen sollte Diversität im Journalismus nicht nur in Fachzeitschriften und auf Konferenzen diskutiert werden. Das Thema gehört auf Titelseiten – denn dass der Journalismus nicht jedem zugänglich ist, ist ein Missstand, wie ihm sich der Medienjournalismus eigentlich verpflichtet hat.

Dass die mangelnde Diversität im Journalismus einen Missstand darstellt, daran lassen die wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu dem Thema kaum einen Zweifel: Der Beruf ist außergewöhnlich sozial selektiv. Basierend auf einer Befragung von mehr als 2.500 Journalistinnen und Journalisten in Deutschland, Österreich und der Schweiz resümierten Dietrich-Gsenger & Seethaler 2019, der Durchschnittsjournalist in diesen Ländern sei „männlich, in seinen frühen Vierzigern, hat mit einiger Wahrscheinlichkeit einen Studienabschluss, ist fest angestellt und sieht sich politisch etwas links der Mitte“ (S. 52). Daraus ergibt sich ein Bild des Berufs, das den Vorständen deutscher DAX-Unternehmen näherkommt als einer vielfältigen Gesellschaft. Oder, wie Alexandra Borchardt, Julia Lück, Sabine Kieslich, Tanjev Schultz und Felix Simon in einer Studie des Reuters Institute schreiben: „A profession for white children from privileged upbringings“.

Darin äußern auch die Medienunternehmen selbst Unzufriedenheit mit der sozialen und kulturellen Homogenität in ihren Redaktionen. Denn im Journalismus seien Menschen aus migrantischen und sogenannten Arbeiterfamilien die Ausnahme, fassen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinter der Studie „Are Journalists Today’s Coal Miners?“ die Wahrnehmung der Chefredakteurinnen und Akteure zusammen, die sie befragt haben. Viele von ihnen seien besorgt, die vielfältige Gesellschaft um sie herum nicht mehr abbilden zu können.

Die Forschenden haben sie danach gefragt, worin sie die Gründe für diese mangelnde Vielfalt sehen und wie sie die Situation ändern wollen. Einige beklagen sich über weniger Bewerber, die aus Arbeiterfamilien stammen oder migrantische Perspektiven einbringen können – und über das schlechte Image der Branche, wie Sven Gösman, Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur, der in der Studie zitiert wird: ‘Journalism is connected with expressions like death of newspapers, ‘fake news press’, paid content […]. There is nothing less sexy than that.“ (S. 18-19). Henriette Löwisch, Leiterin der Deutschen Journalistenschule, wird mit einer weiteren Erklärung zitiert: “To be honest, I believe that journalism has always tended to attract the children of so-called ‘highly educated families’, and that is still the case. One of the reasons for this might be that journalism is so text-focused with reading and writing.“ (S.29). Und Wolfgang Krach, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, deutet an, dass die soziale Selektion anhand der Motivation verläuft: “We have no problem finding excellently qualified employees. I think what has changed is that only the particularly motivated ones now want to become journalists. Firstly, because career prospects are worse than they were twenty or ten years ago. Secondly, it is the case that our salaries are by no means particularly good, especially not here in Munich, because the cost of living is extremely high.“ (S.29).

Fehlende Anreize, fehlende Sicherheit in der geschriebenen deutschen Sprache, oder fehlende Motivation – darauf beschränken sich die Erklärungsversuche eines überwiegenden Teils der befragten Chefredakteurinnen und Chefredakteure. An einem wirklich interessanten Punkt schlittert Wolfgang Krach dabei knapp vorbei: Die unterirdische Bezahlung. Sich darauf einzulassen, ist allerdings keine Frage der Motivation. So nehmen es die ebenfalls von den Forschenden befragten Journalismusschülerinnen und -schüler wahr, die mehrheitlich durch unbezahlte Praktika in den Beruf eingestiegen sind und sich über den komplizierten Ausbildungsweg beklagen. Auch äußern sie ein „habitus problem“ (S. 45): Das elitäre Image von Journalismusschulen und Redaktionen sei abschreckend. Damit nehmen sie drei wesentliche Problemfelder wahr, die auch in anderen Untersuchungen deutlich werden: Die durch soziale und finanzielle Hürden geprägte Ausbildung, das von ihnen benannte „habitus problem“ und die oft prekären Arbeitsbedingungen.

Letztere treffen manche Berufseinsteiger härter als andere. Das legen zum Beispiel die Ergebnisse der Dissertation „Prekäre Arbeit im Journalismus“ von Thomas Schnedler nah. Trotz gleich prekärer Arbeitsbedingungen ist die Wahrnehmung von Unsicherheit bei den von Schnedler in problemzentrierten Interviews befragten Journalistinnen und Journalisten unterschiedlich ausgeprägt. Die private materielle Sicherheitslage, so Schnedler, hat einen deutlichen Einfluss auf die subjektive Wahrnehmung von Sicherheit im Beruf. Er sieht hierin eine „Entwicklung […], die dazu führen könnte, dass der Journalismus zu einem Beruf wird, den man sich leisten können muss“ (S. 224).

Das ist ein Problem. Repräsentation, besonders im Journalismus, ist eng mit gesellschaftlicher Teilhabe verknüpft. Ihr Fehlen ist ein Zeichen mangelnder Teilhabechancen und fehlender Gerechtigkeit, wie sie das in Deutschland hochgehaltene Prinzip der Leistungsgerechtigkeit verspricht. Diversität ist daher nicht einfach eine Möglichkeit, neue Zielgruppen zu erreichen, eineHuman Ressource‘ – sondern eine demokratische Notwendigkeit. Als solche sollte die soziale Vielfalt in deutschen Redaktionen auch diskutiert werden.  Missstände im Journalismus wie diesen zu kritisieren und an diejenigen heranzutragen, denen der Journalismus Rechenschaft schuldet, ist eine zentrale Aufgabe des Medienjournalismus. Ihm wird das Potenzial zugeschrieben, dem Publikum Medienkompetenz zu vermitteln, als Frühwarnsystem für den Journalismus zu fungieren und Veränderungen anzuregen.

Diese normative Aufgabe habe ich zum Ausgangspunkt für das Projekt „Wer macht Medien?“ gemacht. Um Forschungsergebnisse mit der Lebensrealität von jungen Journalistinnen und Journalisten in Bezug zu bringen und Identifikation zu schaffen, habe ich vier Menschen aus der Medienbranche und ihre Wege in den Beruf in den Vordergrund gestellt. Das „habitus problem“ zeigt sich an Hüdaverdi Güngör, ehemals Redaktionsleiter der Jugendredaktion Salon5 von Correctiv, der sich als Jugendlicher in Bottrop nicht hätte vorstellen können, Journalist zu werden – obwohl er schon immer politisch interessiert war und Menschen erreichen und aufklären wollte. Dass schon die journalistische Ausbildung alles andere als niedrigschwellig ist, davon erzählt Carmen Colinas, heute freie Journalistin und Mitglied der Neuen deutschen Medienmacher*innen. Als Studentin wäre es ihr finanziell nicht möglich gewesen, ein unbezahltes Praktikum oder ein niedrig bezahltes Volontariat zu absolvieren. Sie kam erst Jahre später und durch Zufall in den Beruf. Und von prekären Arbeitsbedingungen berichten der freie Journalistin Tobias Hausdorf und Katapult-Online-Chefin Juli Katz: Hausdorf will sich nicht mehr damit abfinden, dass Praktika so häufig unbezahlt sind, Katz hat ihre Praktika mit anstrengenden Nebenjobs finanziert.

Das Projekt zeigt: Wer junge Journalistinnen und Journalisten fragt und sich einfach zugängliche Forschungsergebnisse anschaut, wird schnell erkennen, warum der Journalismus noch immer ein Beruf für „white children from privileged upbringings“ ist. Dass Geld sowie kulturelle und soziale Ressourcen mindestens genauso über den persönlichen Erfolg entscheiden wie Leistung und Talent, ist nicht nur im Journalismus ein Problem. Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit sind in unserer Gesellschaft mehr ein Versprechen denn ein Zustand. Es ist Aufgabe des Journalismus, diesen Missstand aufzuzeigen. Auch, wenn er sich im eigenen Berufsstand manifestiert.

Andraczek, A. (2021). „Wer macht Medien?“ – Konzeption und Produktion eines medienjournalistischen Podcast-Formats über Diversität und Berufswege im Journalismus. Unveröffentlichte Bachelorarbeit am Institut für Journalistik der TU Dortmund.

Zur Projektwebsite: https://wermachtmedien.wordpress.com

 

Quellen:

Borchardt, A., Lück, J., Kieslich, S., Schultz, T. & Simon, F. M. (2019). Are Journalists Today’s Coal Miners? The Struggle for Talent and Diversity in Modern Newsrooms – A Study on Journalists in Germany, Sweden, and the United Kingdom. Reuters Institut, Universität Oxford; Journalistisches Seminar, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/our-research/are-journalists-todays-coal-miners-struggle-talent-and-diversity-modern-newsrooms

Schnedler, T. (2017). Prekäre Arbeit im Journalismus [Dissertation]. Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/6133

Seethaler, J., Hanitzsch, T., Keel, G., Lauerer, C., Steindl, N. & Wyss, V. (2019). Zwischen Kontinuität und Wandel: Journalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In T. Hanitzsch, J. Seethaler & V. Wyss (Hrsg.), Studies in International, Transnational and Global Communications. Journalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz (S. 237–256). Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27910-3_10

 

Beitragsbild: Amy Elting/unsplash.com

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