Es ist ein Thema, das aktuell in aller Munde ist: Künstliche Intelligenz (KI). Nicht zuletzt durch eine Zunahme der Rechenleistung, bessere Software und immer mehr verfügbare Daten hat sich das Potenzial von KI in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt. In vielen Branchen wird KI als ‚Game-Changer‘ gepriesen. Warum? Weil Journalisten dabei helfen, sie (un)freiwillig als solche zu vermarkten.
Dies ist zumindest eines der Ergebnisse einer neuen Studie des Reuters Institut, die analysiert, wie britische Medien über Künstliche Intelligenz berichten. Nach Ansicht der Autoren fokussiert sich die Berichterstattung auf Industrieprodukte, Pressemitteilungen und die Forschung. Anstatt die Entwicklungen von Künstlicher Intelligenz kritisch zu hinterfragen, verstärke die Berichterstattung häufig eigennützige Behauptungen von Unternehmen über den Wert und das Potenzial der Künstlichen Intelligenz. Sie werde in erster Linie als privates, kommerzielles Unterfangen diskutiert, an der die Öffentlichkeit eigentlich keinen Anteil habe.
Nachrichten über KI sind nur Marketing für die Tech-Industrie
Für die Studie wurden 760 Berichte, Features und Kommentare, die zwischen Januar und August 2018 in sechs britischen Medien veröffentlicht wurden, analysiert. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass es in fast 60% der Artikel um neue Industrieprodukte, Ankündigungen und Initiativen rund um die Künstliche Intelligenz ging – von Smartphones über Laufschuhe bis hin zu Sexrobotern. Viele der untersuchten Medien berichteten auch regelmäßig über Werbeveranstaltungen der Branche sowie über Start-ups, Buyouts, Investitionen und Konferenzen.
Insgesamt stützte sich ein Drittel aller untersuchten Artikel auf Quellen aus der Industrie, hier kamen meist CEOs oder andere Führungskräfte zu Wort – das waren sechsmal so viele Artikel wie die, die auf Quellen von Regierungseinrichtungen beruhten und fast doppelt so viele wie die, die auf Quellen aus der Wissenschaft basierten. Interessanterweise verwiesen 12% aller Artikel auf den umstrittenen Technologieunternehmer Elon Musk.
Der Studie zufolge wurden KI-Produkte in der Berichterstattung oft als gute Lösungen für eine Reihe gesellschaftlicher Probleme dargestellt, angefangen mit der Erkennung von Krebs bis hin zur Verbesserung von erneuerbaren Energien. Die Journalisten fragten selten, ob Künstliche Intelligenz wirklich die beste Lösung für solche Probleme sei. Ebenso wenig wurde laufenden Debatten über die möglichen Auswirkungen, Vorurteile und Probleme der Künstlichen Intelligenz Platz eingeräumt.
Forderungen der Industrie werden verstärkt
Die Studie kam auch zu dem Ergebnis, dass die Berichterstattung über Künstliche Intelligenz politisiert ist und von parteipolitischen Gesichtspunkten beeinflusst wird: Die analysierten konservativen Medien fokussierten sich oft auf Fragen der Wirtschaft und Geopolitik, linksorientierte Medien thematisierten hingegen vor allem Fragen der Ethik, einschließlich Diskriminierung, algorithmische Verzerrungen und Einseitigkeiten sowie Fragen der Privatsphäre.
Laut dem Hauptautor des Berichts, J. Scott Brennen, haben die wirtschaftlichen Turbulenzen in der Medienindustrie die Berichterstattung über Künstliche Intelligenz beeinflusst: sie hat unter Kürzungen im Wissenschafts- und Technologiejournalismus gelitten. „Trotz dieser Herausforderungen sind die Mainstream-Medien ein wichtiger Raum für die öffentliche Diskussion über Künstliche Intelligenz und beeinflussen diese auch“, so Brennen. Gerade hierdurch komme dem Journalismus aber auch eine besondere Verantwortung bei dieser Thematik zu. Wenn die Medien vornehmlich die Marketingaussagen der involvierten Firmen verbreiteten, „KI als die Lösung für fast alle Bereiche unseres Lebens“ präsentierten, dabei aber die Debatten um die Probleme und Schwächen von KI außer Acht ließen, sei dies problematisch, so der Wissenschaftler.
Die Schwerpunktsetzung der Berichterstattung hat aber noch einen weiteren Nachteil. Wird KI hauptsächlich als privates, kommerzielles Unterfangen dargestellt, entsteht schnell der Eindruck, dass sich Gesellschaft und Politik nicht einzumischen hätten – ein mehr als fragwürdiger Trend, wenn man bedenkt, dass es sich um eine der wichtigsten technischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte handelt.
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Die folgenden Medien wurden in die Untersuchung mit einbezogen: The Telegraph, Mail Online/Daily Post (beide konservativ ausgerichet); Guardian und HuffPost (beide linksorientiert); BBC (öffentlich-rechtlich) und die britische Ausgabe von Wired (digital-only).
Die Studie „An Industry-Led Debate: How UK Media Cover Artificial Intelligence” kann hier (auf Englisch) heruntergeladen werden.
Dieser Beitrag wurde auch auf der englischen EJO-Seite veröffentlicht.
Schlagwörter:Berichterstattung, Großbritannien, KI, künstliche Intelligenz