Emmanuel Macron und Marine Le Pen haben sich im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 einen harten Schlagabtausch geliefert. Ein Geschenk für deutsche und französische Medien – doch es gibt Grenzen.
„Ich bin die Kandidatin des Volkes“, brüstet sich Marine Le Pen im TV-Duell am 3. Mai 2017. „Und was schlagen Sie konkret vor? Nichts. Sie haben nur Ihr Mundwerk, keine Pläne“, entgegnet Emmanuel Macron, Le Pens Gegenkandidat im Kampf um das Amt des französischen Präsidenten. In seinen Augen ist sie eine „echte Erbin der Rechtsextremen in Frankreich“, eine „Hohepriesterin der Angst“. Sie nennt ihn in den Medien einen „geistlichen Sohn Hollandes“ und ein „Schätzchen des Systems und der Eliten“.
Am Ende gewinnt Macron die Wahl gegen Le Pen; damit siegt ein pro-europäischer Parteiloser über eine anti-europäische Rechtspopulistin. Doch die beiden polarisieren nicht nur mit ihren politischen Ansichten, sondern auch mit ihren Persönlichkeiten: So gilt Macron als politischer Neuling, hat vor seiner Kandidatur als Banker gearbeitet und ist mit seiner 25 Jahre älteren ehemaligen Lehrerin verheiratet. Le Pen ist selbstdeklarierte System-Gegnerin, seit langem in der französischen Politik bekannt und die Tochter des Front-National-Parteigründers Jean-Marie Le Pen.
Angesichts zweier so gegensätzlicher und gleichzeitig streitlustiger Kontrahenten stellt sich die Frage, ob es in der Berichterstattung überhaupt darum geht, welche politischen Themen die beiden vertreten oder ob die Persönlichkeit und das Privatleben Macrons und Le Pens von größerer Bedeutung sind. Dieses Phänomen wird in der Kommunikationswissenschaft unter dem Stichwort Personalisierung diskutiert und steht im Zentrum meiner Bachelorarbeit.
Der Begriff Personalisierung besagt einerseits, dass eine Orientierung an Personen zu Lasten von Parteien und Themen geht. Der Politiker kann dabei aber durchaus in seiner öffentlichen Rolle und nicht als Privatperson im Mittelpunkt stehen. Anders bei der Privatisierung: Hier wird der „private Politiker“ in den Fokus gerückt, unabhängig davon, dass er Träger eines öffentlichen Amtes ist. Es geht also verstärkt um seine nicht-politischen Eigenschaften.
Wie personalisiert berichten die vier Qualitätszeitungen Le Monde, Le Figaro, Süddeutsche Zeitung (SZ) und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) also über die Spitzenkandidaten Macron und Le Pen? Wie werden die zwei in den verschiedenen Medien bewertet? Und zeigen sich Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Berichterstattung?
Um diese Fragen zu beantworten, wurden insgesamt 150 Artikel aus den vier genannten Zeitungen mit Hilfe einer quantitativen Inhaltsanalyse untersucht. Erschienen sind sie zwischen dem 27. März und dem 5. Mai 2017. Macron oder Le Pen mussten darin mindestens drei Mal genannt werden und eine relevante Rolle spielen.
Personalisierung: Köpfe sind spannender als Themen
Die Studie zeigt, dass sich mehr als zwei Drittel der Beiträge an Personen orientieren; nur knapp ein Fünftel wird als sachorientiert eingestuft. Interessant ist, dass Macron als politischer Neuling stärker im Fokus steht als seine Gegenkandidatin Le Pen – das gilt sowohl für deutsche als auch für französische Zeitungen. Populistische Wahlkämpfer haben es damit also nicht leichter, in der Berichterstattung berücksichtigt zu werden.
Dass Personen in den untersuchten Beiträgen besonders präsent sind, bedeutet nicht automatisch, dass Sachthemen keine Rolle mehr spielen können. Wenn ein Artikel zum Beispiel Macron in den Mittelpunkt rückt, dabei aber über seine Vorhaben für die französische Außenpolitik berichtet, geht es trotzdem um ein politisches Thema. Deshalb hat die Studie die Kontexte in den Blick genommen, in denen die Kandidaten präsentiert werden. Doch auch hier spielen Sachfragen nur eine untergeordnete Rolle – sie sind in einem knappen Fünftel der Texte von Bedeutung. Dabei werden sie in Le Monde und Le Figaro fast doppelt so häufig thematisiert wie in SZ und FAZ.
An erster Stelle stehen in beiden Ländern Themen, die den Wahlkampf als sportlichen Wettbewerb darstellen: Wer hat die Nase vorn, können die anderen noch aufholen? Die Kandidaten werden gegenübergestellt, Umfrageergebnisse beschrieben. Diese Zuspitzung lässt sich dadurch erklären, dass der Ausgang der Wahl lange ungewiss war und sich vier Kontrahenten bis zum ersten Wahlgang ein nie dagewesenes Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert haben.
Privatisierung: Privat bleibt privat
Fest steht also, dass die Kandidaten als Personen stärker thematisiert werden als Sachfragen. Dabei liegt der Fokus jedoch nicht auf Macron und Le Pen als Privatpersonen, sondern auf ihren öffentlichen Rollen und Aufgaben. Nicht-politische Eigenschaften greifen deutsche und französische Journalisten kaum auf.
Im politischen Kontext berichten SZ und FAZ vor allem über Auftreten, Kompetenz und Einstellung der zwei Kontrahenten. Welche Position beziehen Macron und Le Pen zu Deutschland und Europa; was bedeutet das für die deutsch-französische Beziehung? In Frankreich nehmen Persönlichkeit und Führungsqualitäten im Vergleich dazu einen wichtigeren Platz ein – dies scheint insofern nachvollziehbar, als dass die Franzosen ihr neues Staatsoberhaupt wählen, das sie in den nächsten fünf Jahren leiten soll.
Bezüge zum Privatleben sind kaum und eher beiläufig in den Texten zu finden. Lediglich ein Text der FAZ sticht heraus, in dem Macron umfassend porträtiert wird. Ein überraschendes Ergebnis: Personen aus dem privaten Umfeld sind in beiden Ländern nahezu belanglos und machen nur vier Prozent aller ermittelten Akteure aus. Auch Macrons Ehefrau Brigitte, die dem ersten Anschein nach häufig in der Presse präsentiert wurde, spielt in den Qualitätszeitungen fast keine Rolle.
Bewertung: Die Deutschen lieben Macron
Nicht zuletzt wird Macron in der Berichterstattung sowohl deutlich häufiger als auch deutlich besser bewertet als Le Pen. An dieser Stelle zeigen sich zwischen den Ländern große Unterschiede: Deutsche Zeitungen stellen Macron nahezu ausgewogen dar. Le Monde und Le Figaro sind ihm wesentlich kritischer gesonnen. Der Tenor: Macron ist wohl die bessere Alternative zu Le Pen, seine Projekte sind trotzdem diskutabel. Daneben kommen viele Stimmen zu Wort, die in seiner Politik keine Lösung sehen.
In SZ und FAZ äußern sich insbesondere deutsche Politiker – allen voran Sigmar Gabriel – weitaus positiver über Macron. So wird Gabriel etwa in der SZ zitiert: „Er [Macron] wird ein toller Präsident. (…) Er ist eben auch ein ungeheuer sympathischer Mensch und guter Freund“. Le Pen wird in beiden Ländern gleichermaßen und eindeutig negativer als ihr Gegenkandidat bewertet.
Diese Ergebnisse könnten damit zusammenhängen, dass deutsche Journalisten keine Verantwortung für den Wahlausgang tragen und ihre Meinung über den vermeintlich besseren Kandidaten freier äußern können. Außerdem hat Macron einen pro-europäischen Wahlkampf geführt, während Le Pen angekündigt hat, dass Deutschland leiden werde, sollte sie an die Macht kommen.
Konfrontation statt Kompromisse
In dieser Aussage zeigt sich deutlich: Die politische Kultur Frankreichs ist keine Kultur der Kompromisse, sondern der Konfrontation – und darauf scheinen sich beide Kandidaten im Wahlkampf 2017 gerne eingelassen zu haben. Man treffe sich ja nicht „zu einer gemütlichen Tasse Tee“, bringt Le Pen es in der FAZ auf den Punkt. Sie und Macron haben den Medien ein Kräftemessen um das Amt des Präsidenten geboten, das sich in der „Wettkampfberichterstattung“ der vier Qualitätszeitungen wiederspiegelt. Personen stehen eindeutig im Fokus. Sind die Berichte damit inhaltsleer?
So verkürzt lässt es sich sicher nicht darstellen. Immerhin werden Macron und Le Pen fast ausschließlich als Politiker und nicht als Privatpersonen thematisiert. Ihre Charaktereigenschaften werden in einem politischen Kontext beschrieben, der für ihr politisches Amt durchaus wichtig sein kann. Ihr privates Umfeld ist nahezu bedeutungslos.
Spannend bleibt die Frage, was die abweichende Bewertung Macrons in Deutschland und Frankreich in der öffentlichen Debatte zwischen den Ländern bewirkt. Macron als Held Frankreichs und Europas? Die deutschen Lorbeeren hat der Kandidat jedenfalls schon im Vorfeld bekommen, die französischen muss er sich in der laufenden Legislaturperiode erst noch verdienen.
Kloos, Svenja (2018): Das „Schätzchen des Systems“ gegen die „Hohepriesterin der Angst“. Die Personalisierung der Berichterstattung über die Spitzenkandidaten Emmanuel Macron und Marine Le Pen im Frankreichwahlkampf 2017. Unveröffentlichte Bachelorarbeit am Institut für Journalistik der TU Dortmund.
Schlagwörter:Emmanuel Macron, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankreich, französischer Präsidentschaftswahlkampf, Front National, Le Figaro, Le Monde, Marine le Pen, Personalisierung, Privatisierung, Süddeutsche Zeitung