Sicherheit von Journalisten nicht mehr garantiert

2. März 2018 • Pressefreiheit • von

In der Slowakei wurden vergangenen Montag der 27-jährige Enthüllungsjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová erschossen. Wahrscheinlichstes Tatmotiv: die Arbeit des Investigativreporters. Kuciak arbeitete für das zum Verlag Ringier Axel Springer Slovakia gehörende Online-Nachrichtenportal Aktuality.sk, wo er vor allem über Fälle von mutmaßlichem Steuerbetrug berichtete. Vor seiner Ermordung hatte er an einem investigativen Bericht zum Einfluss der italienischen Mafia auf die slowakische Regierung gearbeitet.

Der ermordete Journalist Ján Kuciak; Foto: Aktuality.sk

Dies ist der erste Mord an einem Journalisten in der Geschichte der Slowakei. Nicht nur dort hat er Entsetzen ausgelöst. „Es ist für uns alle nur sehr schwer zu ertragen und ich bin traurig, verzweifelt und frustriert. Unser Kollege ist wegen seiner Arbeit ermordet worden, aufgrund dessen, was er geschrieben und gesagt hat? Das ist widerlich“, sagte Jaroslav Kmenta, einer der bekanntesten Investigativjournalisten Tschechiens, gegenüber EJO.

Der slowakische Polizeipräsident äußerte sich ebenfalls entsetzt: „Es ist ein beispielloser Angriff auf einen Journalisten und die Slowakei hat noch nie ein so schweres Verbrechen erlebt. Ich verurteile dieses Verbrechen aufs Schärfste, und ich schwöre, dass wir die größtmöglichen Kapazitäten aufbringen, um den Fall zu untersuchen und alle Fragen zu beantworten“. Inzwischen wurden mehrere Italiener festgenommen, die in Kuciaks unvollendeter Reportage (auf deutsch bei der Welt zu lesen) erwähnt wurden.

Der investigative Journalismus soll zum Schweigen gebracht werden

Sicherheit sei für Journalisten keine Selbstverständlichkeit mehr, meint Pavla Holcová, die Gründerin des tschechischen Zentrums für investigativen Journalismus. Sie kannte Ján Kuciak persönlich. „Mir ist kalt und heiß zugleich“, sagte sie im Gespräch mit EJO, „ich habe das Gefühl, dass mein Kopf gleich explodiert und ich bin zutiefst deprimiert. Ich fürchte, dass auch andere Journalisten aus unserer Region in Gefahr sein könnten.“

Wie sich herausgestellt hat, geschah der Mord nicht ohne Vorwarnung – Ján Kuciak hatte in den vergangenen Monaten mehrere Drohungen erhalten, von denen er auch der Polizei berichtet hatte. Für den tschechischen Journalisten Kmenta macht der Mord das Versagen des Systems deutlich. „Die Polizei konnte den Mord an einem Journalisten nicht verhindern, der zu Steuerbetrugsfällen recherchierte, die in der Slowakei bekannt waren und sogar von der Polizei untersucht wurden. Die Polizei hat diesen Fall entweder unterschätzt oder war einfach nicht schnell genug”, so Kmenta.

Der slowakische Journalist Peter Hanák, der für den slowakischen öffentlichen Rundfunk arbeitet, sieht den Mord an Ján Kuciak als einen Versuch, den investigativen Journalismus zum Schweigen zu bringen, als ein Signal der Reichen und Mächtigen, die alles, was ihren Geschäften schaden könnte, aus dem Weg räumen. „Die einzige richtige Reaktion der Journalisten kann nur sein, sich nicht entmutigen zu lassen. Sie müssen zeigen, dass dies nicht der richtige Weg ist – und wenn einer zum Schweigen gebracht wird, machen die anderen trotzdem weiter. In Zeiten, in denen der Journalismus von mehreren Seiten angegriffen wird, brauchen wir noch mehr Mut“, so Hanák.

Journalisten werden von Politikern verbal angegriffen

In Mitteleuropa kommt es öfter vor, dass „unbequeme“ Journalisten eingeschüchtert werden. „Journalisten sind schon fast daran gewöhnt“, sagt Janek Kroupa, Leiter des Investigativressorts des Tschechischen Radios. „Was jetzt in der Slowakei passiert ist, ist aber natürlich total irrsinnig und jenseits jeder Vorstellungskraft.“

Journalisten in dieser Region werden auch oft von Politikern verspottet und mit Worten angegriffen. So ist auch der tschechische Präsident Miloš Zeman bekannt für seine verbalen Attacken auf Journalisten. Im Mai vergangenen Jahres hat er während eines Treffens mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verkündet, dass es „zu viele Journalisten“ gebe, sie sollten „liquidiert werden”, was natürlich als Übertreibung gemeint war, aber sicherlich nicht zum guten Ruf von Journalisten in Tschechien beigetragen hat.

Auch körperliche Angriffe müssen Journalisten mitunter über sich ergehen lassen. Nach Zemans Wahlsieg filmten Journalisten einige seiner Anhänger, die offensichtlich wegen Alkoholkonsums bewusstlos geworden waren. Als sie Anweisungen, das Filmen zu unterlassen, ignorierten, wurden die Journalisten von einem Zeman-Unterstützer zusammengeschlagen. Hinterher stellte sich heraus, dass es sich bei den Ohnmächtigen um freie Mitarbeiter des Tschechischen Journalistenverbandes gehandelt handelte. Einer von ihnen arbeitete für die Seite Parlamenti Listy, die bekannt dafür ist, Fake News zu verbreiten.

„Wenn Politiker wiederholt von Journalisten als Schurken sprechen, die liquidiert werden sollten – auch wenn es gar nicht so gemeint ist – schafft dies eine Atmosphäre der Gewalt in der Gesellschaft. Aus solchen Worten können sehr schnell Taten entstehen“, sagt Kmenta.

Morddrohungen und Gewalt gegenüber Journalisten

Auch in Tschechien wäre 2002 beinahe eine Journalistin getötet worden. Die populäre Enthüllungsjournalistin Sabina Slonková der Tageszeitung Mlada fronta dnes sollte ermordet werden, die Polizei wurde aber von einem der mutmaßlichen Auftragsmörder selbst rechtzeitig über die Tat informiert. Wie die polizeilichen Ermittlungen ergaben, hatte Karel Srba, ehemaliger Generalsekretär im tschechischen Außenministerium, den Mord in Auftrag gegeben.

Sabina Slonková, die heute Chefredakteurin der tschechischen investigativen Website Neovlivní.cz ist, bezeichnete den Mord an Ján Kuciak als „schändlich“ und drückte ihr tiefes Mitgefühl für die Familien beider Opfer aus. „Ich hoffe, dass die Politiker diesen grausamen Mord eindeutig verurteilen und sicherstellen werden, dass die Mörder und diejenigen, die den Mord in Auftrag geben haben, festgenommen werden, egal aus welchen Bereichen sie kommen. Ich halte es für sehr gefährlich, wenn Politiker Journalisten schlechtmachen und sie damit zum Ziel machen “, sagte Slonková gegenüber EJO. Sie selbst wird die Bedrohung, der sie aufgrund ihrer investigativen Recherchen ausgesetzt war, nie vergessen.

1992 konnte der Mord an einem tschechischen Journalisten nicht verhindert werden. Václav Dvořák wurde vor seinem Haus erschossen. Er hatte Informationen über den tschechischen Unternehmer František Mrázek enthüllt, der als Boss der tschechischen Mafia galt. Erst nach mehr als 14 Jahren wurde die Akte geschlossen und festgehalten, dass sein Mord wohl von Mrázek in Auftrag gegeben worden war.

In den 90er Jahren wurde die tschechische Mafia beschuldigt, den Mord am Journalisten Stanislav Čech der Boulevardzeitung Blesk in Auftrag gegeben zu haben – die Täter wurden aber während der Vorbereitung des Mordes überführt.

In der Slowakei wird Miroslav Pejko, Reporter der Zeitung Hospodárské novíny, seit 2015 vermisst. Und vor zehn Jahren verschwand Pavol Rýpal, ein investigativer Reporter des slowakischen Fernsehens, der sich mit Mafia-Verbrechen befasste.

In einer Erklärung tschechischer Journalisten, die vom Endowment Fund of Independent Journalism einen Tag nach dem Mord an Ján Kuciak veröffentlicht wurde, heißt es: „Angriffe, verbale Angriffe eingeschlossen, auf Journalisten sind Angriffe auf die Meinungsfreiheit. Ihre Ermordung aufgrund ihrer Arbeit ist blanke Barbarei, die in Demokratien nicht als stillschweigend akzeptiertes Berufsrisiko hingenommen werden können.“

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Laut Reporter ohne Grenzen sind im Jahr 2017 weltweit 54 Journalisten in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet worden, im Jahr 2018 bislang sechs.

Die gefährlichste Region für Journalisten war in den vergangenen Jahren Lateinamerika; in Mexiko wurden allein im vergangenen Jahr elf Journalisten getötet. Zu den anderen extrem gefährlichen Ländern für Journalisten gehören auch der Irak, Pakistan, Syrien und Russland. In Europa geschah der letzte Journalistenmord im Oktober 2017 auf Malta.  Die Journalistin und Bloggerin Daphne Caruana Galizia wurde durch eine unter ihrem Auto angebrachte Bombe getötet.

 

Originalversion auf Tschechisch: „Je jen náhoda, že k podobnému činu zatím nedošlo i u nás,“ reaguje Kmenta na vraždu slovenského novináře

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