Eine Studie zeigt: Journalisten von mehrsprachigen Nachrichtenagenturen in der Schweiz übersetzen nicht gerne. Übersetzungen sorgen aber für eine größere Diversität von Perspektiven und sind deshalb für eine ausgewogene Berichterstattung immens wichtig.
Die wichtigste Aufgabe sei „nicht die Übersetzung, sondern die Auswahl der Informationen“, erklärte einer der 27 Journalisten der Schweizerischen Depeschenagentur (sda) und des Schweizer Büros der Agence France-Presse (AFP), die ich für meine Studie interviewt habe.
Allerdings lassen sich diese beiden Tätigkeiten nur schwer voneinander trennen. So stellte ich bei der Analyse von 1200 Agenturmeldungen – auf Deutsch und Französisch bei der sda und auf Französisch und Englisch bei der AFP – fest, dass einige Quellen zum Beispiel nur in den deutschsprachigen Tickermeldungen und nicht in den französischsprachigen zitiert wurden. Und das offensichtlich deshalb, weil sie nur auf Deutsch und nicht auf Französisch vorgelegen hatten.
Unter den befragten Journalisten der beiden Schweizer Nachrichtenagenturen ist mir eine starke Abneigung gegen das Übersetzen aufgefallen. Hinzu kommt, dass die Journalisten in den beiden untersuchten Agenturen nicht sehr gut auf die Übersetzungsarbeit vorbereitet sind: Sie haben das Übersetzen nicht gelernt und ihre Kenntnisse in der Zweitsprache des Mediums sind teilweise begrenzt.
Aus diesem Grund tendieren sie dazu, diese langwierige, komplexe und riskante Aufgabe zu vermeiden. Dies hat allerdings zur Folge, dass nicht alle Quellen in einer Nachrichtenmeldung berücksichtigt werden. Journalisten übergehen manche Quellen also nicht nur, weil sie für ihr Publikum nicht relevant sind, sondern auch, weil die Übersetzung ihnen zu viel Mühe macht. Es kann vorkommen, dass sie sie entweder komplett vernachlässigen, sie nur indirekt wiedergeben oder sie lediglich zusammenfassen. Manchmal werden auch fremdsprachige Quellen durch Aussagen anderer Experten, die die Sprache des Publikums sprechen, ersetzt. Diese Methode führt zu einem Rückzug in das Gewohnte und zu einer Abschottung vom linguistisch und kulturell Anderen.
Die von mir untersuchten Agenturmeldungen weisen einen auffälligen Unterschied auf: Einige Vertreter muslimischer Organisationen in der Schweiz wurden nur in der deutschsprachigen Meldung der sda zitiert – weil sie nur Deutsch sprachen. Sie sagten allerdings nicht das Gleiche wie ihre französischsprachigen Pendants, sondern äußerten sich deutlich moderater.
Weil sie kein Französisch sprechen, sind die deutschsprachigen Vertreter der Muslime in den Medien der französischen Schweiz unterrepräsentiert. Ich habe dieses Phänomen bei der AFP in Genf näher betrachtet. Dort beachten die Journalisten nur sehr selten deutsche Quellen, wenn es um Schweizer Nachrichten geht. Zahlreiche politikwissenschaftliche Studien über Muslime in der Schweiz bestätigen meine Schlussfolgerung.
Einerseits könnte man nun den Pressesprechern empfehlen, ihre Pressemitteilungen in mehreren Sprachen zu veröffentlichen, wenn sie in mehreren Sprach- und Kulturgemeinschaften Gehör finden möchten. Eine bereits übersetzte Pressemitteilung wird mit größerer Wahrscheinlichkeit von den Journalisten aufgegriffen, als wenn diese sie erst selbst übersetzen müssten. Andererseits sollte man auch an das Verantwortungsbewusstsein der Journalisten und vor allem der Journalistenausbilder appellieren. Zu übersetzen bedeutet, sich für das Andere zu öffnen. Es sorgt für eine größere Diversität von Perspektiven und Meinungen – eine der fundamentalen Regeln des Journalismus.
Die Schuld liegt nicht allein bei den Agenturjournalisten. Im Gegenteil: Trotz des schnellen, unregelmäßigen Rhythmus, in dem sie Texte produzieren müssen, leisten sie eine hervorragende Arbeit. Jeder würde sich an ihrer Stelle für die schnellste und einfachste Lösung entscheiden. Aber warum werden sie nicht im Übersetzen ausgebildet, obwohl das Übersetzen in einem mehrsprachigen Land wie der Schweiz einen zentralen Aspekt ihrer Arbeit darstellt? Was bedeutet es für eine mehrsprachige Gesellschaft, wenn sie sich nicht um gegenseitiges Verständnis bemüht? Es ist an der Zeit, dass Journalisten dem Übersetzen offener gegenüberstehen, um zu vermeiden, dass einzelne gesellschaftliche Gruppen sich in ihrer kulturellen Blase einschließen.
Originalversion auf Französisch: La traduction, garante d’une information équilibrée
Bildquelle: EJO
Schlagwörter:Agence France Press, Nachrichtenagenturen, Schweiz, Schweizerischen Depeschenagentur, Übersetzen