„Bürger müssen Arbeit von Journalisten nachvollziehen können“

29. Januar 2019 • Qualität & Ethik • von

Was braucht vertrauenswürdiger Journalismus? Über diese Frage haben Medienmacher, Experten, Bürger und Journalistik-Studierende im Erich-Brost-Institut der TU Dortmund diskutiert.

“Es gehört zur Sorgfaltspflicht eines Journalisten zu dokumentieren, wie er an seine Informationen gekommen ist“, sagt Cristina Helberg von Correctiv // Foto: Oliver Schaper

In den sozialen Netzwerken kursierende „Fake News“, „Lügenpresse“-Vorwürfe von Teilen der Bevölkerung und nun auch noch der Spiegel-Reporter Claas Relotius, der viele seiner Reportagen gefälscht hat – Glaubwürdigkeit im Journalismus ist ein Thema, das brisanter ist denn je.

Was Medienmacher dafür tun können, um das Vertrauen in den Journalismus wieder zu stärken, darüber diskutierten Cristina Helberg vom Recherchezentrum Correctiv, Mathias Tauche vom Bürgermedium LokalFernsehen AhlenTV sowie die beiden Kommunikationswissenschaftlerinnen Wiebke Möhring (TU Dortmund) und Katherine Engelke (WWU Münster) vergangene Woche im Erich-Brost-Institut in Dortmund. Die Veranstaltung wurde von Florian Meißner vom Institut für Journalistik organisiert und von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt.

Auf den Fall Relotius kamen die Diskutanten unter der Moderation der Journalistik-Studierenden Lena Feuser und Jonas Hüster ziemlich schnell zu sprechen. Mathias Tauche vom LokalFernsehen AhlenTV geht davon aus, dass der Fall in jedem Medium hätte eintreten können. Die Dortmunder Journalistik-Professorin Wiebke Möhring teilt seine Ansicht: „Ich glaube, in einigen von uns steckt vielleicht manchmal auch ein Mini-Relotius.“ Ihr zufolge setzt der wachsende Druck im Journalismus, spannende Geschichten zu liefern, problematische Anreize.

Katherine Engelke von der WWU Münster sieht eine positive Entwicklung darin, dass sich der Journalismus im Zuge dieses Vorfalles auch mit sich selbst beschäftigt. In der Forschung spreche man dabei von „Meta-Journalismus“. Hierbei gehe es nicht länger nur um das Vertrauen der Bürger in den Journalismus, sondern auch um Vertrauensbeziehungen innerhalb des Journalismus.

Auf dem Podium diskutierten Cristina Helberg (1.v.l.), Wiebke Möhring (2.v.l.), Mathias Tauche (2.v.r.) und Katherine Engelke (1.v.r.) unter der Moderation von Lena Feuser und Jonas Hüster. // Foto: Oliver Schaper

Zu klären sei, so Engelke, wie Vertrauen überhaupt definiert werde. Vertrauen bzw. Misstrauen könne auf verschiedenen Ebenen geschaffen werden – durch den Verfasser, das Medium oder das Thema. Vertrauen gegenüber dem Verfasser könne auf zwei Wegen erreicht werden, argumentiert Journalistik-Professorin Möhring. Zum einen durch „faktische Transparenz“, etwa eine konsequente Offenlegung von Quellen, zum anderen durch „persönliche Transparenz“, also eine Erläuterung zum persönlichen Hintergrund des Autors und seines Bezuges zum Thema oder zu handelnden Personen. Schließlich habe jeder Journalist zu dem von ihm aufgearbeiteten Thema eine Meinung, erklärt Möhring. Ob Transparenz das Vertrauen in den Journalismus wirklich stärkt, bleibe jedoch umstritten, auch weil Teile der Gesellschaft sich vom Journalismus bereits losgesagt hätten.

Faktencheck erreicht nicht jeden

Katherine Engelke zufolge gibt es neben den Menschen, die dem Journalismus vertrauen und denen, die Misstrauen hegen, eine dritte Gruppe, die sie als „Distanzierte“ oder „Losgelöste“ beschreibt. „Die dritte Gruppe beschäftigt sich gar nicht mit Jour­na­lis­mus und das ist gefährlich“, so die Kommunikationsforscherin. Viele nähmen den Journalismus als Elite wahr, der dem einfachen Bürger keine Beachtung schenke. Dies führe zu einer „Entfremdung“ vom Journalismus durch Teile der Gesellschaft. Umstritten bleibt, wie man diese Gruppe erreichen kann.

Die „Distanzierten“ könne man nur schwerlich für sich gewinnen. Dies berichtet auch Faktencheckerin Cristina Helberg von ihrer Arbeit beim Recherchezentrum CORRECTIV.  Ihre Faktenchecks prüfen zum Beispiel Gerüchte in sozialen Netzwerken oder zweifelhafte Aussagen von Politikern. Dabei ist Cristina Helberg zufolge Transparenz über die zum Faktencheck verwendeten Quellen oberstes Gebot: „Es gehört zur Sorgfaltspflicht eines Journalisten zu dokumentieren, wie er an seine Informationen gekommen ist.“ Im digitalen Zeitalter sei das beispielsweise durch Verlinkungen im Text möglich. Häufig sei es jedoch schwierig, Leser mit Argumenten zu erreichen. Helberg spricht in diesem Zusammenhang auch die Herausforderung an, einen faktenreichen Text zu verfassen, der gleichzeitig gut zu lesen ist.

Katherine Engelke macht darauf aufmerksam, dass die Möglichkeiten von Faktenchecks begrenzt sind, da auch die Möglichkeiten derer steigen, die manipulieren. Dies führe zu einer Erhöhung von Zeit und Kosten, die in den Faktencheck investiert werden müssten.

Vermittlung von Medienkompetenz

Wichtig sei, darin sind sich die Diskutanten einig, dass die Gesellschaft Medienkompetenz erlerne, um die Arbeit von Journalisten nachvollziehen zu können. Das sieht auch Hobby-Journalist Mathias Taucher so, der durch seine Arbeit beim Bürgerfernsehen Grundzüge des journalistischen Arbeitens kennt. Das Problem mangelnder Transparenz löst Mathias Tauche mittlerweile durch die vollständige Publikation von Interviews. So will er verhindern, dass Informationen durch den fehlenden Zusammenhang falsch interpretiert werden können. „Im Schnitt muss ich mich gezwungenermaßen für einzelne Aussagen meiner Interviewpartner entscheiden, damit der Beitrag nicht zu lang wird. Ich bilde also nicht die komplette Realität ab. Das versuche ich wiedergutzumachen, indem ich die ganzen Gespräche zusätzlich zur Verfügung stelle“, so Tauche.

Für den professionellen Journalismus schlägt er vor, dass verifizierte Artikel eine Art Qualitätssiegel bekommen sollten – ein Ansinnen, das von den Podiumsteilnehmern kontrovers diskutiert wurde, auch weil fraglich ist, welche Instanz ein solches Siegel vergeben könnte. Cristina Helberg betont zudem, dass es eher eine Ausnahme darstelle, wenn eine Recherche Lücken aufweise und Texte normalerweise komplett verifizierbar sein sollten. Sicher sei eins, so Wiebke Möhring: „Glaubwürdigkeit bleibt ein Geschenk der Gesellschaft, dass sich der Journalismus immer wieder neu verdienen muss.“

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