Wenn Sportreporter Missstände aufdecken

12. Januar 2017 • Internationales, Pressefreiheit • von

Laut Freedom House ist investigativer Journalismus in Rumänien aufgrund von wirtschaftlichem Druck rückläufig. Dennoch gibt es auch dort Journalisten, die es schaffen, investigativ zu recherchieren. Vier von ihnen arbeiten für die Sportzeitung Gazeta Sporturilor.

dosarul-transferurilor-768x499Die Artikel der vier Sportjournalisten haben in den vergangenen 16 Jahren zu Änderungen der Regierungspolitik geführt sowie zu einer Sozialreform beigetragen. Einige der bekanntesten Politiker, Geschäftsleute, Fußballspieler und Sportfunktionäre Rumäniens wurden nach den Enthüllungen der Journalisten verurteilt. Ihre Arbeit ist so effektiv, dass einige scherzen: Wenn die Gazeta Sporturilor über einen schreibt, ist es Zeit, seine Gefängniskluft zu bestellen.

Die Journalisten selbst sagen, es sei nicht ihre vorrangige Absicht, Verurteilungen zu erzielen. Sie möchten die Wahrheit ans Licht bringen – zugunsten des Allgemeinwohls. „Es ist nicht so, als würden wir eine Strichliste führen über jeden Mann, den wir in den Knast gebracht gehaben“, erklärt Cătălin Tolontan, Mitglied des Investigationsteams und Chefredakteur der Sportzeitung, gegenüber EJO. „Und wir glauben nicht, dass wir die einzigen in Rumänien sind, die nach Gerechtigkeit streben. Wir erhalten nur Informationen, entscheiden, welchen wir nachgehen, und machen uns an die Arbeit”, so Tolontan. „Wir denken, dass es unsere Pflicht ist die Wahrheit zu verbreiten, damit die Öffentlichkeit davon erfährt. Was die Staatsanwälte damit machen, ist nicht unsere Angelegenheit”, fügt er hinzu.

Die vier Journalisten betonen, dass sie nicht mit der Justiz zusammenarbeiten. „Wir geben nie offizielle Statements, wir liefern keine Beweise, wir behalten alle Aspekte unserer Untersuchungen für uns. Sie können wie jeder andere auch alles von uns erfahren, wenn sie unsere Zeitung lesen. Wir drucken jede relevante Information und das ist unsere einzige Pflicht”, sagt Marius Mărgărit, ein weiteres Mitglied des investigativen Rechercheteams.

Am Anfang habe die Staatsanwaltschaft sie sogar aufgefordert, nicht weiter zu recherchieren. „Sie sagten, wir machten ihnen die Arbeit schwerer“, so Tolontan. Die Journalisten aber hätten diese Weisungen immer ignoriert, bis die Staatsanwaltschaft irgendwann aufgegeben hätte: „Deren Ermittlungen kümmern uns nicht besonders. Uns ist wichtig, was die Öffentlichkeit will. Und die Öffentlichkeit will die Wahrheit.”

„Es ist ein Vorteil, als Außenseiter auf ein Thema zu blicken“

In den vergangenen Jahren hat das Team der Gazeta Sporturilor unter anderem Skandale im Gesundheitssystem aufgedeckt wie die Nutzung verdünnter Desinfektionsmittel im OP oder Ärzte, die von Pharmafirmen bezahlt werden. Auch in Regierungsministerien wie dem Tourismusministerium und dem Jugendministerium haben sie Missstände entlarvt. So sind sie Vorwürfen der Bestechung und betrügerischer Verträge im öffentlichen System nachgegangen.

Was motiviert die Journalisten, ihre „Komfortzone“ des Sportjournalismus zu verlassen und sich auf neues Terrain zu wagen? „Es ist ein Vorteil, als Außenseiter auf ein Thema zu blicken“, sagt Tolontan, „wir sind schlicht neugierig, stellen Fragen und erhalten Antworten. Außerdem tendieren die Leute dazu, uns nicht ernst zu nehmen. Sie sagen, ein Sportreporter könne keinen fundierten Artikel über das Gesundheitssystem schreiben.“

Er glaubt auch, dass Medizinjournalisten ihren Themen zu nah seien und dadurch Objektivität verlören. „Wann immer Leute ein Gesundheitsproblem haben, bitten sie Medizinjournalisten, ihnen einen guten Arzt zu empfehlen. Wie können wir da noch erwarten, dass sie über dieselben Ärzte gute investigative Stücke schreiben können?”

Eines der letzten investigativen Projekte des Teams hatte ein tragisches Ende. Nachdem die Journalisten enthüllt hatten, dass eine Firma verdünnte Desinfektionsmittel hergestellt und an Krankenhäuser in ganz Rumänien verteilt hatte, beging der Chef der Firma Selbstmord.

„Aber Menschen bringen sich nicht wegen dem um, was die Medien schreiben. Sie haben andere Dinge, die sie bedrücken. Und wir denken immer, dass wir für das Allgemeinwohl handeln sollten: das öffentliche Interesse. Wie viele Menschen sind in rumänischen Krankenhäusern an Infektionen gestorben, weil sie mit Operationsinstrumenten operiert wurden, die nicht ordnungsgemäß sterilisiert waren? Es ist unsere Pflicht, die Wahrheit zu sagen“, erklärt Teammitglied Mirela Neag.

Sie hätten immer Zweifel, bevor sie eine investigative Story veröffentlichten. „Wir zweifeln nicht an unseren Informationen, die checken wir vorher doppelt und dreifach“, so Neag, „aber wir realisieren, welche Auswirkungen wir auslösen könnten wenn die Zeitung erst einmal in den Druck geht und wir wissen, dass wir die Gesellschaft wieder einmal erschüttern werden.  Das kann einen nicht kalt lassen.“

„Die Medien sind die einzige Chance, die die Demokratie hat”

Es ist in Rumänien nicht einfach, ein investigativer Journalist zu sein. Aber es ist auch nicht so gefährlich, wie es in amerikanischen Spionagefilmen dargestellt wird, in denen Journalisten manchmal Waffen benutzen, um sich selbst zu schützen. Trotzdem hat es Konsequenzen, wenn man das System kritisiert. „Die Regierung versucht, uns zu verunglimpfen und uns einzuschüchtern. Die ANAF (nationale  Finanzverwaltungsbehörde) hat uns überprüft und wir werden vom Geheimdienst überwacht. Das lustige ist, je mehr sie versuchen, etwas zu verdecken, je mehr sie versuchen, uns Angst zu machen, umso neugieriger werden wir. Also schreiben wir noch besser und machen unsere Arbeit noch besser, damit wir ihnen zeigen können, dass wir nicht aufgeben werden“, sagt Tolontan.

„Sie versuchen vor allem, die einzige Frau in unserem Team einzuschüchtern. Sie glauben, sie sei die Schwachstelle und versuchen, sie zu bedrängen”, fügt er hinzu. Aber seine Kollegin Mirela Neag zuckt nur mit den Schultern, um zu zeigen, dass die Angelegenheit für sie noch nicht einmal diskussionswürdig ist. Dann wechselt sie das Thema: „Das Gute ist, dass sie in den letzten zehn Jahren aufgehört haben, unser Schweigen kaufen zu wollen, uns zu bestechen. Die Zeiten haben sich geändert, für so etwas gibt es keinen Raum mehr.”

Freedom House stufte Rumäniens Medien im seinem Bericht 2015 als „teilweise frei” ein. Demnach wird Pressefreiheit von der rumänischen Verfassung zwar geschützt, ist aber in der Praxis durch finanzielle Unsicherheit und übergeordnete politische und wirtschaftliche Interessen gefährdet. Investigativer Journalismus ist laut Freedom House in dem Land aufgrund von kommerziellem Druck rückläufig.

Die Investigativjournalisten der Gazeta Sortulor fühlen sich trotz des generellen Misstrauens in die Presse, das vom Einfluss der Politik, der Häufung von Fake News, der Jagd nach Klicks und schlechtem Journalismus herrührt, von der rumänischen Bevölkerung unterstützt. Sie spüren ihre Unterstützung hinter jeder Zeile, die sie schreiben und glauben, dass sie „einer immer verwirrteren Gesellschaft“ helfen, Lösungen für andauernde Probleme zu finden. „Wenn viele Leute sich erschöpft fühlen, wenden sie sich an die Presse. Sie vertrauen dem System nicht mehr, aber sie vertrauen den Journalisten. Die Medien sind die einzige Chance, die die Demokratie hat”, meint Tolontan.

Bildquelle: gsp.ro

Originalversion auf Englisch: Romania: The Sport Reporters Uncovering Corruption, Bribery And Fraud

Übersetzt aus dem Englischen von Johanna Mack

 

 

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