Wie Schikane die Arbeit von Journalisten beeinflusst

2. Juli 2019 • Aktuelle Beiträge, Pressefreiheit • von

Die italienische Journalistin Annalisa Camilli berichtete über Migration – und wurde daraufhin in den sozialen Medien, per E-Mail und Telefon attackiert. Belästigungen dieser Art wirken sich zum einen direkt auf die Betroffenen aus, bedeuten zum anderen aber auch einen Angriff auf die Pressefreiheit.

Die italienische Reporterin Annalisa Camilli war sich darüber bewusst, dass Journalisten Opfer von Belästigungen und Beleidigungen werden können, aber sie hätte nicht gedacht, dass ihr das passieren würde, als sie zum Thema Migration arbeitete: „Ich dachte immer, so etwas käme vor, wenn Journalisten zum Beispiel über kriminelle Organisationen, Krieg oder Terrorismus berichten, aber nicht, wenn sie über Einwanderung berichten“. Aber als die Tragödie der Migranten im Mittelmeer immer stärker politisiert wurde, was wiederum in ganz Italien Propaganda gegen Migranten entfachte, wurde Camilli zum Ziel von rechtsextremen Trollen. Über das Internet erhielt sie frauenfeindliche Beleidigungen, abwertende Vorwürfe sowie sexuelle und physische Drohungen. Die Belästigungen verschlimmerten sich im vergangenen Sommer, nachdem sie an Bord eines Schiffes der NGO Open Arms über die Rettung eines Migranten schrieb, den die sogenannte libysche Küstenwache zurückgelassen hatte.

„Die Attacken beschränkten sich nicht auf die sozialen Netzwerke, sondern ich bekam auch Anrufe und E-Mails“, so beschreibt Camilli die Versuche, sie einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. „Sie behaupteten, ich hätte die Geschichte erfunden oder dass sie nicht wahrheitsgetreu sei – damit attackierten sie den Punkt, der für eine Journalistin am bedeutendsten ist, nämlich meine Glaubwürdigkeit.“ Die Anrufe – zu jeder Tages- und Nachtzeit – waren besonders beunruhigend und noch immer weiß Camilli nicht, wie die Anrufer an ihre Nummer gekommen waren. „Ich bin nicht mehr allein nach Hause gegangen und habe mich ständig gefürchtet.“

Der Fall wurde dem Committee to Protect Journalists (CPJ) gemeldet, einer US-amerikanischen Non-Profit-Organisation, die Journalisten weltweit gegen Angriffe verteidigt. In diesem Moment wurde Camilli klar, dass ihre Situation kein Einzelfall ist und dass besonders weibliche Kollegen ähnliche Erfahrungen machen. 2018 zeigte ein Bericht von Amnesty International, dass alle 30 Sekunden eine Journalistin oder eine Politikerin über Twitter belästigt wird. In diesem Jahr ergab auch eine weltweite Studie der International Women’s Media Foundation in Kooperation mit TrollBusters, dass fast ein Drittel aller Journalistinnen aufgrund von Online-Attacken und Bedrohungen schon einmal darüber nachgedacht habe, den Beruf zu wechseln.

Tief bestürzt und besorgt um ihre Sicherheit, zog Camilli sich als erste Reaktion vorübergehend aus den sozialen Medien zurück und pausierte mit ihrer Berichterstattung über Migration. Nach einigen Wochen nahm sie das Thema jedoch wieder auf und veröffentlichte ein Buch darüber. „Meine Herangehensweise an die Arbeit hat sich nicht geändert, ich gehe nur ein wenig überlegter vor“, betont Camilli. „Ich bin solchen Angriffen ausgesetzt und wenn eine Welle des Hasses gegen mich oder meine Kollegen losgeht, weiß ich, dass ich sie nicht unterschätzen darf.“ Maria Salazar Ferro, Direktorin des Emergency Department im CPJ, weist darauf hin, dass die Belästigungen sich zum einen direkt auf die Betroffenen auswirken, zum anderen aber auch einen Angriff auf die Freiheit und Unabhängigkeit der Presse bedeuten – es ist ein Versuch, einige Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Nachfolgend finden Sie einige der häufigsten, direkten und negativen Folgen, die die Schikane von Journalisten auf die weltweite Berichterstattung hat.

Wichtige Geschichten, die nie erzählt werden können
Ziel von Bedrohungen zu sein kann sehr anstrengend sein, wie Salazar Ferro betont, und kann von den betroffenen Reportern, Redaktionen und anderen Kollegen einen enormen psychischen Tribut fordern. „Eine spürbare Folge ist Zensur – Menschen, die nicht über bestimmte Themen sprechen, weil sie von wütenden Attacken eingeschüchtert wurden“, so Ferro. „Ich habe mit Leuten gesprochen, die mir erzählt haben, dass sie nicht über ein Thema geschrieben oder eine Story vermieden hätten, weil sie Angst vor den Konsequenzen hatten.“

Die Mächtigen werden nicht zur Verantwortung gezogen
Journalisten sind Wächter, die sich für Transparenz und Verantwortlichkeit einsetzen. Als solche können sie Opfer von Strategien werden, die sie zum Schweigen bringen sollen, wenn sie Themen ansprechen, die den Interessen Mächtiger widersprechen oder Regierungen oder Prominente im Namen des öffentlichen Interesses bloßstellen. Genau dies passiert zum Beispiel auf den Philippinen, wo die Chefredakteurin des Online-Nachrichtenportals Rappler, Maria Ressa, bereits mehrmals verhaftet wurde. Ihr wird vorgeworfen, gegen ein Finanzgeschäfte-Gesetz verstoßen zu haben. Zuvor hatte Rappler kritisch über das harte Vorgehen von Präsident Duterte gegen Drogenkriminalität berichtet.

Nicht alle Silencing-Techniken sind so offensichtlich, aber auch diskretere Formen der Einschüchterung können sich auf die Arbeit von Journalisten auswirken, wie zum Beispiel die Bedrohung mit rechtlichen Konsequenzen – etwa gegen Bürgerjournalisten oder Freelancer ohne starke Medienunternehmen im Rücken – oder das Eindringen ins Privatleben eines Journalisten.

Ein Risiko für die Medienpluralität
Es ist möglich, dass Frauen sich aufgrund von Belästigungen aus traditionell männerdominierten Bereichen zurückziehen und die Zahl der weiblichen Stimmen so noch weiter absinkt. „Wir wissen mit Sicherheit, dass Journalistinnen überproportional oft Opfer von Online-Attacken sind“, so Ferro, „und das ist noch häufiger der Fall, wenn sie über Themen wie Sport schreiben. Daher denke ich, dass Belästigungen und Angriffe die Vielfalt in Redaktionen beeinträchtigen.“

Wahrscheinlich können ähnliche Mechanismen sich auch auf andere Minderheiten in den Redaktionen auswirken, wie LGBTQ oder JournalistInnen of Colour. Wie der CPJ betont, sind auch Journalisten, die über LGBTQ-Themen berichten, einem hohen Risiko der Bedrohung ausgesetzt. Ein Amnesty-International-Bericht von 2018 hat außerdem ans Licht gebracht, dass Frauen of Colour besonders häufig zum Ziel von Online-Mobbing-Kampagnen werden – es ist zu 34 Prozent wahrscheinlicher, dass sie in ausfälligen oder problematischen Tweets erwähnt werden. Und bei schwarzen Frauen steigt diese Wahrscheinlichkeit auf 84 Prozent.

Diese zunehmenden Bedrohungen gegen Journalistinnen und Journalisten, die Minderheiten angehören, könnten sie entmutigen und letztendlich die Vielfalt in den Redaktionen und Medien beeinträchtigen, was wiederum zu größeren Schwierigkeiten und Einschränkungen in der gesamten Branche führen würde.

 

Dieser Artikel wurde erstmals am 4. Juni 2019 auf der Seite des ’International Journalists’ Network’ veröffentlicht sowie am 19. Juni auf der italienischen EJO-Seite. Übersetzt von Johanna Mack

Bildquelle: „Moebius Spew”/Balvis Rubess; CC BY-NC-ND 4.0

 

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