“Die Qualität der Medien nicht dem Staat überlassen”

25. November 2013 • Qualität & Ethik • von

Seit vier Jahren erscheint das Jahrbuch „Qualität der Medien” in der Schweiz. Jedes Mal lässt sich die Medienbranche von der Haupterkenntnis aus der Forschungswelt provozieren: die Qualität der Schweizer Medien nimmt kontinuierlich ab.

In den letzten Jahren hat vor allem einer in der Jahrbuch-Diskussion das Medieninteresse auf sich gezogen: Kurt Imhof, Soziologieprofessor und einer der Hauptverantwortlichen für die Jahrbuchstudien. Umso interessanter ist es, dass sich in diesem Jahr auch Mark Eisenegger, Co-Studienleiter des Jahrbuchs „Qualität der Medien”, zu Wort meldet. Er hat dem Schweizer Medienmagazin EDITO + KLARTEXT ein Interview gegeben, das zu reden gab.

Mit Bettina Büsser hat er über den Qualitätsbegriff der Studie, ihre Zielgruppen und Ergebnisse, über die Unterschiede zwischen NZZ on- und offline, Diskussionen mit der SRG und darüber, was Softnews und Junkfood gemeinsam haben, gesprochen.

Bettina Büsser: Es hat fast Ritualcharakter: Jedes Jahr erscheint das „Jahrbuch Qualität der Medien”, darauf reagiert der Verband Schweizer Medien ablehnend, schreibt dieses Jahr, dieses sei „kein Gradmesser zum Zustand der Schweizer Medien”.

Mark Eisenegger: Es ist schade, dass sich die Verleger nicht auf den Diskurs einlassen, und auch ungeschickt. Mittlerweile gibt es sehr breit abgestützte Kritik an der Qualität der Medien, vom linken wie vom rechtskonservativen parteipolitischen Spektrum, jüngst auch von Bundespräsident Maurer. Die Wirtschaft trägt die Kritik ebenfalls mit, das zeigt sich etwa darin, dass sie die Finanzierung des Jahrbuchs unterstützt. Wenn die Verleger sich nicht auf einen Diskurs über Qualität einlassen, müssen sie gewärtigen, dass die Politik noch aktiver wird und es mehr Regulierung gibt.

Dem Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft, (fög), Herausgeber des Jahrbuchs, wird Regulierungsinteresse vorgeworfen: Ziel der Jahrbuch-Macher sei es, dass der Staat eingreife.

Das ist falsch. Generell sind wir zurückhaltend mit medienpolitischen Empfehlungen. Im letzten Jahrbuch haben wir unter anderem eine staatsferne Stiftung – mit Betonung auf „staatsfern” – vorgeschlagen. Dies, weil es um sehr viel geht und man die Qualität der Medien nicht dem Staat überlassen sollte. Es wäre zu begrüßen, wenn sich die Zivilgesellschaft breit beispielsweise an der Finanzierung der Informationsmedien beteiligt.

Engagiert sich die Zivilgesellschaft wirklich zum Thema Medienqualität? Viele fluchen über die Medien, aber über das Jahrbuch zum Beispiel wird ja kaum irgendwo in der Beiz (Kneipe; Anm. d. EJO-Red. für die nicht Schweizerdeutsch sprechenden Leser) diskutiert.

Wir stehen am Beginn einer Entwicklung. Aber die Debatte hat eindeutig zugenommen, in der Politik wie in der Öffentlichkeit. Das letzte Jahrbuch wurde von einzelnen Verlagshäusern, etwa Tamedia, schlicht boykottiert. In diesem Jahr ist die Diskussion wieder viel breiter. Zudem gibt es neue Modelle, bei denen die Zivilgesellschaft ein Medienprojekt mitträgt, etwa bei „La Cité” oder der „TagesWoche”.

Wer ist denn das Zielpublikum des Jahrbuchs?

Alle Personen und Organisationen, die im Mediensystem aktiv sind, aber auch die Wissenschaft und die Politik. Außerdem wollen wir den Diskurs auch ins Bildungssystem hineintragen. Da dies sehr unterschiedliche Zielgruppen sind, ist unsere Öffentlichkeitsstrategie schwierig: Das Jahrbuch muss wissenschaftlich sein, trotzdem muss die Sprache in der Öffentlichkeit verstanden werden. Daran arbeiten wir.

Die fög-Forschung befasst sich mit der Qualität der Medien. Aber was ist Qualität? Im Jahrbuch kommen die Begriffe Vielfalt, Relevanz, Aktualität, Objektivität und Einordnungsleistung vor.

Informationsmedien erbringen zentrale Leistungsfunktionen für moderne Gesellschaften; ohne sie funktioniert die Demokratie nicht. Qualität bemisst sich daran, wie gut Medien drei Funktionen erfüllen. Erstens die Forumsfunktion: Thematisieren sie Dinge, die für das Gemeinwesen von Bedeutung sind – Hard News, politische, ökonomische, kulturelle Prozesse –, oder überwiegend Partikuläres, Unterhaltung und Soft News? Als Zweites haben wir die Integrationsfunktion: Gibt es einen Diskurs über die Sprachgrenzen hinweg, und sind in der föderalistischen Schweiz Bund, Kantone und Gemeinden genügend mit relevanter Publizistik versorgt? Funktion Nummer drei ist die Watchdog-Funktion: Informieren die Medien uns frühzeitig über problematische Entwicklungen und kontrollieren sie Herrschafts- und Machtträger? Diese Fragen werden anhand der Qualitätsdimensionen Relevanz, Vielfalt, Einordnungsleistung und Professionalität untersucht. Dieses Qualitätsverständnis finden wir auch im Journalismus selbst, etwa in den Richtlinien des Presserates.

Aber wenn die Landesteile auseinanderdriften, ist das ja nicht nur die Schuld der Medien, es ist ein gesellschaftliches Phänomen.

Die Informationsmedien sind für die Integration einer Gesellschaft absolut zentral. Es gilt, was der deutsche Sozialwissenschaftler Niklas Luhmann gesagt hat: Was wir über unsere Gesellschaft wissen, entnehmen wir den Massenmedien. Ohne diesen Spiegel hätten wir keine Vorstellung, was  überhaupt unsere Gesellschaft ausmacht. Auch wenn gewisse Themen die Barriere der Sprachregionen nicht überwinden, dürfen wir uns diesem Trend nicht beugen. Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist abhängig von der Qualität der öffentlichen Kommunikation und von reichweitenstarken Informationsmedien, die die gesellschaftsweiten Integrationsleistungen erbringen können.

Auch die Medien, die im Rating des Jahrbuchs als qualitativ hoch stehend bezeichnet werden, verlieren Publikum. Und seit es Medien im Internet gibt, ist klar: Die Leute klicken gerne auf Soft News.

Das führt uns zur Frage, welchen Qualitätsbegriff wir wollen. Viele Verleger haben einen Qualitätsbegriff, der sich daran orientiert, was im Informationsmarkt nachgefragt wird. Seit einigen Jahren haben wir aber das Problem, dass eine Generation von jungen Erwachsenen nachwächst, die mehrheitlich nur noch über Gratismedien sozialisiert wurde und nichts anderes mehr kennt. Wir sind konfrontiert mit negativen Gewöhnungseffekten, die dazu führen, dass man tatsächlich mehr Soft News und qualitätsmindere Inhalte nachfragt. Deshalb müssen wir einen demokratietheoretischen Qualitätsbegriff hochhalten. Wir kommen ja auch nicht auf die Idee, dass nur weil viele Menschen Junkfood konsumieren, Junkfood zwingend etwas Gutes sei.

Viele Medienschaffende würden gerne qualitativ hoch stehende Geschichten machen. Aber was nützt das, wenn diese nicht gelesen werden – und die Ressourcen fehlen?

Es zeigen sich auch erfreuliche Tendenzen. Bei der NZZ etwa gibt es im Zusammenhang mit der Paywall Anzeichen dafür, dass qualitativ hoch stehende Informationen durchaus ein Publikum finden. Aber natürlich bleibt das Problem mit der negativen Sozialisation bestehen. Dadurch ist die Nachfrage für hoch stehende Publizistik tatsächlich geschrumpft. Man muss deshalb auch in den Bildungsinstitutionen ansetzen, in Schulen, Mittelschulen, Universitäten und dafür sorgen, dass der Konsum guter Publizistik wieder ein Statusmerkmal wird. 

Was unternimmt denn das fög, damit seine Studierenden sich mehr für Medienqualität interessieren?

Wir verbieten, dass Studierende Pendlerzeitungen in den Vorlesungs- oder Seminarraum mitnehmen. „20Minuten” oder „Blick am Abend” gehören nicht in eine Universität oder Hochschule, außer sie werden analysiert. Außerdem wollen wir unsere Forschungsbefunde stärker an Mittelschulen einbringen.

Was sind die wichtigsten Befunde des Jahrbuchs? Die Situation der Medien – Verlust von Werbegeldern und Konzentrationsprozess – kann man ja als bekannt voraussetzen.

Man weiß vielleicht, dass sich die Konzentration im Pressebereich massiv gesteigert hat und Tamedia in der Suisse romande mittlerweile fast 70 Prozent und in der Deutschschweiz fast 40 Prozent Marktstärke erreicht. Was für uns verblüffend war, ist eine noch stärkere Konzentration im Online-Bereich:  Neben der SRG sind nur die drei größten Verlagshäuser in der Lage,  reichweitenstarke Newssites zu betreiben. Auf der strukturellen Ebene stellen wir fest, dass die Werbeeinnahmen des Informationsjournalismus wegbrechen, parallel dazu sinkt auch die Einordnungsleistung. Die durchschnittliche Einordnungsleistung reduziert sich kontinuierlich. Spielt diese nicht mehr, wird Wirklichkeit verzerrt: Werden wir als Leser etwa nur mit kurzen, episodischen Berichten über Kriminalfälle konfrontiert, ohne Einordnung, wird medial ein Bild vermittelt, das möglicherweise viel bedrohlicher ist als die Realität. Vorab in Gratis- und Boulevardmedien dominiert im Bereich Kriminalität dieser episodische Journalismus deutlich. Entsprechend groß sind hier die Wirklichkeitsverzerrungen.

Gerade der Bereich Boulevard hat aber 2012 laut dem Jahrbuch eine erhöhte Einordnungsleistung erbracht.

Das ist ein spannender Befund. Die Boulevardzeitungen „Le Matin”, „Le Matin Dimanche”, „Blick”, „SonntagsBlick” werden besonders stark konkurrenziert durch die Pendlerzeitungen. Boulevard-Medien waren ja früher politisch, haben eingeordnet, Themen gesetzt. Es wäre eine kluge Strategie, wenn sich der Boulevard im Konkurrenzkampf mit den Pendlerzeitungen auf diese ursprünglichen Tugenden zurückbesinnt.

Gab es Reaktionen von Seiten von Ringier auf das bessere Abschneiden des Boulevards?

Ich habe mit Hannes Britschgi, dem Leiter der Ringier-Journalistenschule, im SRF-Medientalk die Klingen gekreuzt. Er war mit der Schule auch hier im Institut, wir haben diese Dinge sehr intensiv diskutiert.

Radio SRF, ein Informationsleuchtturm, weist laut Jahrbuch eine stark gesunkene Einordnungsleistung aus.

Wir werden mit der SRG die Qualitätsdynamik, die wir bei den SRF-Informationssendungen festgestellt haben, noch intensiv diskutieren. Man muss nun aber auch abwarten, ob es sich bei diesem Rückgang um einen saisonalen Effekt handelt. 2011 war ja ein außergewöhnliches Jahr mit vielen, fundamentalen Ereignissen wie Fukushima, dem arabischen Frühling, der Schuldenkrise, auf die der öffentliche Rundfunk mit viel Einordnung geantwortet hat. 2012 war die Welt wieder ein bisschen überschaubarer. Dies könnte erklären, weshalb wir bei SRF-Informationssendungen 2012 weniger Einordnung gemessen haben. Wir müssen deshalb weiter beobachten, ob der Trend sich fortsetzt und ob etwa die Konvergenz von SRF auf die Qualität durchschlägt.

Gibt es sonst einen Austausch mit Medienunternehmen?

Es gibt Austausch, aber wir hätten gerne mehr. Wir werden unter anderem mit „24heures” einen Diskurs führen, da sie mit unseren Befunden zum eigenen Medientitel unzufrieden sind. Ansonsten harzt der direkte Austausch mit Tamedia.

Das Jahrbuch zeigt nur einen Ausschnitt aus der Schweizer Medienlandschaft: Regional- und Lokalzeitungen werden nicht erfasst.

Diese Zeitungen erbringen eine absolut zentrale Funktion, doch wir können aufgrund unserer Ressourcen leider nicht alles erforschen. Wir konzentrieren uns auf die reichweitenstärksten Informationsmedien der Schweiz, also jene Medien, die die größte Wirkung entfalten. Periodisch tauchen wir aber ab in tiefer liegende Schichten, haben etwa vor zwei Jahren in einer  Vertiefungsstudie in den Regionen Nordwestschweiz und Südostschweiz bis auf die Ebene der Lokalpresse geforscht und werden in einem der nächsten Jahrbücher eine entsprechende Studie zur Suisse romande vorlegen.

Ebenfalls kritisiert wird, dass in erster Linie die Frontseite, die Aufmacher die Grundlage der Jahrbuch-Forschung bilden – wiederum ein Ausschnitt.

Wir analysieren über das ganze Jahr hinweg Frontseiten und Aufmacher, doch wir analysieren jedes ausgewählte Medium zusätzlich über eine Woche lang integral. Wir schauen also beides an. Es gibt manchmal Unterschiede zwischen den Ergebnissen der beiden Analysen. Aber die Frontseiten bringen die publizistische Ausrichtung eines Mediums in der Regel sehr valide zum Ausdruck. Übrigens stammt dieser methodische Ansatz nicht von uns, sondern vom renommierten „Project for Excellence in Journalism” in den USA, ist also international anerkannt.

Ein weiterer Vorwurf: Es kann doch nicht sein, dass NZZ Online qualitativ schlechter ist als die NZZ Print, wenn die beiden aufgrund der Konvergenz dieselben Inhalte bringen.

nzz.ch bringt tagsüber sehr viele Updates, also Berichte, die so nicht in der Print-Ausgabe der NZZ zu finden sind. Das führt zu einem Unterschied zwischen der On- und der Offline-Ausgabe und zur Differenz im Befund.

Ein letzter Kritikpunkt: Das Konzept des Jahrbuchs sei rückwärtsgerichtet, weil es im Bereich Vielfalt heute mit Blogs und Social Media Alternativen gebe.

Wir sehen das Potential von Blogs und Social Media durchaus, doch sie können die traditionellen Informationsmedien nicht ersetzen. Dafür fehlen ihnen schlicht die Reichweite und die Ressourcen. Nur Informationsmedien mit entsprechenden Ressourcen können zum Beispiel eine glaubwürdige Kontrollfunktion übernehmen. Das konnten wir bei den Bombenanschlägen in Boston gut mitverfolgen. Zu Beginn hatten da Social Media eine riesige Bedeutung, und es wurden wild Menschen als Attentäter beschuldigt. Einigen wenigen Informationsmedien kam dann die wichtige Aufgabe zu, diese Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.

Mark Eisenegger, 48, ist Co-Studienleiter des Jahrbuchs „Qualität der Medien”, Co-Leiter des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Uni Zürich und Gastprofessor an der Uni Salzburg. Eisenegger hat in Zürich Soziologie, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Informatik studiert, über „Reputation in der Mediengesellschaft” dissertiert und ist seit 1998 fög-Leitungsmitglied.

Das Jahrbuch „Qualität der Medien” wird vom Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) herausgegeben. Das fög war bis Anfang 2013 an den Soziologie-Lehrstuhl von Professor Kurt Imhof angekoppelt, seither ist es ein eigenständiges, an die Uni Zürich assoziiertes Institut. Finanziert wird die fög-Forschung einerseits durch die Stiftung „Öffentlichkeit und Gesellschaft”; rund 350 000 der gegen 600 000 Franken, die das Jahrbuch jährlich kostet, kommen laut Mark Eisenegger via Stiftung, dabei sind die Donatoren andere Stiftungen, aber auch Unternehmen wie Allreal, Post oder die Credit Suisse Foundation. Andererseits bringt das fög Eigenmittel aus Forschungskooperationen mit politischen oder ökonomischen Organisationen ein, zudem finanziert die Uni fög-Forschungsstellen.

Erstveröffentlichung: Medienmagazin EDITO +KLARTEXT vom 5. November 2013

Bildquelle: Hartmut910 / pixelio.de

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