Die Staatsgläubigkeit der Journalisten erreicht neue Rekordwerte. Sie arbeiten nun als Steuerfahnder.
Zur Einleitung zitieren wir den Satz, mit dem Hanns Joachim Friedrichs den Kodex der Medienbranche beschrieb: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“
Und was ist, wenn er sich mit einer schlechten Sache gemein macht?
86 Journalisten aus 46 Ländern haben monatelang am Fall Offshore-Leaks gearbeitet. Sie beackerten mit Begeisterung illegal beschaffte Dokumente. Sie klagten Hunderte von Privatpersonen und Unternehmen öffentlich an, via exotische Trusts bei den Steuern betrogen zu haben.
Die Anklagen waren ein Debakel. All die investierten Mannjahre der 86 „Rechercheure“ haben bisher nicht einen Beweis von kriminellem Verhalten ans Tageslicht gebracht. Die Journalisten müssen nun hoffen, dass die Behörden aus ihren dünnen Storys doch noch fette Fälle machen.
Das Triste an der Geschichte ist die beklemmende Haltung, die hinter der kollektiven Aktion steckt. Die Journalisten übernehmen die Rolle von darauf eingeschworenen Steuerfahndern. Sie arbeiten als freiwillige Zuträger der Obrigkeit. Sie verstehen sich als Hilfstruppe im Dienste des ausufernden Steuerstaats.
Das ist ein willfähriger Zeitgeist, den es früher nicht gab. Zu meiner aktiven Zeit in den achtziger und neunziger Jahren waren wir Journalisten der Staatsmacht gegenüber äußerst skeptisch eingestellt. Man verbrüderte sich nicht mit Staatsbeamten, Staatsanwälten und Staatssekretären.
Ausdruck dieses Misstrauens gegen die Zentralmacht war damals etwa der mediale Kampf gegen Fichen-Praktiken (mehr zum Fichenskandal von 1989 in der Schweiz) und gegen die geplante Bundespolizei. In beiden Fällen versuchte der Staat, tief in die Privatsphäre der Bürger vorzustoßen. In beiden Fällen opponierten die Medien vehement.
Die meisten Journalisten hatten bis vor zehn, fünfzehn Jahren eine natürliche Abwehrhaltung gegen die Obrigkeit und ihre Verachtung der individuellen Rechte. Viele sympathisierten durchaus mit dem ironischen Slogan, wonach aus dem Staat Gurkensalat zu machen sei. „Gurkensalat“ bedeutete Machtbeschneidung.
Inzwischen gibt es kaum mehr Journalisten, die sich der obrigkeitlichen Umarmung entziehen. Der Scheinskandal der Offshore-Leaks hat hier einen neuen Tiefpunkt gesetzt. Die Journalisten hatten nicht die geringsten Probleme, sich Seite an Seite mit den Staatsbehörden zu schlagen, vereint im Kampf gegen die vermeintlichen Staatsfeinde, obwohl die meisten davon legale Modelle zur Steueroptimierung nutzten. Die Journalisten, die früher Big Brother hassten, verehren ihn inzwischen als ihren Gott.
Noch gibt es Journalisten, die sich die echte Haltung bewahrt haben. Es ist an sich nicht meine Art, hier einzelne Medienschaffende hervorzuheben. Ich mache heute eine Ausnahme. Eric Gujer hat in der NZZ einen großartigen Text geschrieben. Er nannte ihn „Der Terror der Transparenz“. Gujer beschrieb am Beispiel Offshore-Leaks, wie die Überwachungsfanatiker von Staat und Medien das Rechtsgut der Privatsphäre gezielt zerstören. Sie tun es Hand in Hand, in einer Form des neuzeitlichen Totalitarismus.
Journalisten von außerhalb der NZZ fehlte diese Einsicht in solche gesellschaftliche Wertezerstörung. Stattdessen bejubelten sie sich selber als behördliche Hilfspolizisten.
Ich ende darum mit einem Aufruf zur Rückkehr zu den alten Tugenden: Journalistenfreunde, hört auf mit dieser Fraternisierung mit unserem natürlichen Feind. Wir sind nicht die erste, zweite oder dritte Gewalt. Das sind die institutionellen Gewalten.
Wir sind die vierte Gewalt. Wir sind die Gewalt der Freiheit.
Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 17. April 2013
Bildquelle: Gerd Altmann / pixelio.de
Schlagwörter:1989, Big Brother, Eric Gujer, Fichenskandal, Freiheit, NZZ, Offshore-Leaks, Schweiz, Staatsmacht, Steuerfahnder