In der Corona-Krise sprechen meist Männer

26. Juni 2020 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Dieses Bild ergab eine Studie zur bisherigen Berichterstattung über die Pandemie exemplarisch für Deutschland. Das ist kein Grund zu jammern, sondern ein Bild, mit dem man arbeiten kann.

Julia Jäkel, Chefin des deutschen Medienunternehmens Gruner + Jahr, zog Ende April in einem Gastbeitrag für die „Zeit“ eine ernüchternde Zwischenbilanz: In der Krise werde offenbar das Gebot der Diversität vergessen, auch in ihrem eigenen Unternehmen: „Wir Frauen sind so viel weniger weit, als wir es dachten“, erklärte die Verlagsmanagerin. Offenbar formierten sich in Zeiten der Krise andere Führungszirkel.

Das ist weit mehr als ein Gefühl, belegt eine Studie, die wenige Tage danach erschien. Die Kommunikationswissenschafterinnen Elizabeth Prommer und Julia Stüwe (Universität Rostock) sowie der schwedische Datenexperte Max Berggren haben im Auftrag der Malisa-Stiftung die Geschlechterverteilung in der deutschen Corona-Berichterstattung analysiert. Prommer untersuchte 174 Informationssendungen in der zweiten Aprilhälfte, in denen insgesamt 1.299 als Experten und Expertinnen eingeführte Personen auftraten. Berggren analysierte die Onlineauftritte von 13 Printmedien und damit rund 80.000 Artikel. Nur jeder fünfte aller Experten, die in Nachrichtensendungen die Pandemie erklärten, sind ihrer Studie zufolge weiblich, in Talks im Schnitt einer von dreien; und sogar nur in sieben Prozent der Expertennennungen in Onlinemedien erhielten Frauen das Wort.

Es war zwar erwartbar, dass Frauen seltener zu Wort kommen als Männer, nicht aber, dass es so selten ist. Und erst recht nicht, dass zum Beispiel ausgerechnet Frauen aus dem Pflegebereich, wo sie einen besonders hohen Teil der Beschäftigten stellen, anteilsmäßig noch spärlicher vertreten sind.

Und nun?

Natürlich kann man nicht einfach nur die Zahlen sehen. Wenn der Leiter des Robert-Koch-Instituts in Berlin ein Mann ist und der Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité ebenfalls, dann hat es nichts mit Genderungerechtigkeit zu tun, dass sie in Medien zu Wort kommen, wenn Chefexpertise aus ihren Institutionen gefragt ist. Anders sieht es aus, wenn Mediziner im Allgemeinen in Fernsehsendungen oder von Onlinemedien befragt werden und dabei die Auswahl in nur 20 Prozent der Fälle auf Frauen fällt, obwohl jeder zweite Mediziner weiblich ist.

Die Studie hat nicht die Entscheidungsmotive in den Redaktionen untersucht: Liegt es daran, dass Männer gefühlt einfach für die kompetenteren Experten gehalten werden? Kamen von Frauen häufiger Absagen? Liegt es an der oft beschriebenen Neigung von Redaktionen, die üblich verdächtigen Experten, von denen man weiß, dass sie sich gut artikulieren können, immer wieder neu anzurufen oder einzuladen? Letzen Endes ist das auch nicht entscheidend.

Denn spätestens dann, wenn einem die Schieflage bewusst ist, lässt sich sofort etwas verändern. Vorausgesetzt, man will das. Dies ist kein Problem, dem man hilflos ausgeliefert ist – und auch keines, das man einfach Männern in die Schuhe schieben kann.

Aktiv etwas tun

Heutzutage liegt der Anteil der Frauen im Journalismus in den deutschsprachigen Ländern bei rund 40 Prozent. Das heißt, jeder, auch Frauen selber, könnte aktiv etwas tun und selber bewusst nach weiblichen Experten recherchieren und diese anfragen. Talkmasterinnen müssen nicht auf alle Zeiten, wie zum Beispiel Sandra Maischberger dies bislang sehr häufig macht, im Verhältnis eins zu vier einladen: eine Frau, vier Männer.

Für die Schweiz und für Österreich sind mir leider keine entsprechenden Studien zur Verteilung der Corona-Expertise bekannt. Aber höchstwahrscheinlich ließe sich ein ähnliches Muster finden. Das liegt auch aufgrund von Beispielen aus anderen Bereichen nahe. Das österreichische Frauennetzwerk Medien hat 2019 im Vorfeld der Wahlen extra eine Liste veröffentlicht mit Namen von Politik- und Kommunikationswissenschaftlerinnen, Meinungsforscherinnen, Soziologinnen und Juristinnen, die zu vielen Fragen während eines Wahlkampfs Auskunft geben können, damit nicht wieder meistens männliche Experten zu Wort kommen. Die „Swiss National Covid-19 Science Task Force“, die Bund und Kantone berät, umfasst 17 Mitglieder aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen; ihr siebenköpfiges Beratungsgremium, das „Advisory Panel“, zählt nur eine Frau, nur drei der zehn Vorsitzenden der Expertengruppen sind Frauen.

Das hat eine Schweizer Parlamentarierin so empört, dass sie im Nationalrat eine Interpellation eingereicht hat. Solche Besetzungen, argumentiert sie, verstoßen unter anderem gegen die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sowie gegen den Verfassungsartikel zur Gleichstellung der Geschlechter und gegen eine entsprechende Weisung der Bundesverwaltung. Wenngleich auch hier noch andere Gründe wie zum Beispiel Absagen eine Rolle für die genderungleiche Besetzung gespielt haben könnten, ist dieser Vorstoß doch allemal ein Denkanstoß und ein Plädoyer für mehr Sensibilität.

Das klassische Familienbild überwiegt

Sich gewisse Muster bewusst zu machen, und damit potenziell sofort wirksame Handlungsoptionen, wäre in mehrerlei Hinsicht bedeutsam. In einer eigenen Studie zur Berichterstattung über Familien fiel nicht nur auf, dass wiederum in den vermeintlich „wichtigen“ Angelegenheiten – hier: sobald es um (Familien-)Politik ging – wieder eher Männer das Wort erhalten als Frauen, sondern auch, dass Medien generell meist sehr traditionell über Familien berichteten: Das klassische Bild (Mutter zu Hause, Vater im Büro, ein bis zwei Kinder) überwiegt, und zwar entgegen der sozialen Wirklichkeit. Und wiederum war es so, dass Journalistinnen und Journalisten all dies sehr ähnlich handhaben.

Was Bewusstseinsbildung bewirken kann, im Übrigen auch „in Corona-Zeiten“, sehen wir beispielsweise bei der BBC: Der „BBC 50:50 Project impact report“ vom April 2020 belegt, dass auch im „50:50 Challenge Month“ März 2020 trotz Umstellung der Arbeit wegen Corona erfolgreich auf ausgeglichene Repräsentation geachtet wurde. So wurde unter den Lockdown-Bedingungen, als die BBC auf die Grundangebote zurückfuhr, die 50:50-Regel vor und hinter der Kamera immerhin in zwei Dritteln der Fälle erreicht. Die BBC erklärt, mit der vergangenes Jahr gestarteten Initiative wolle man der eigenen Verantwortung gerecht werden, das Publikum tatsächlich zu repräsentieren. Das Projekt solle dauerhaft bewusst machen, dass die ganze Welt nur dann abgebildet ist, wenn dies auch in den Redaktionen der Fall sei. Der BBC-Initiative haben sich gegenwärtig über 60 Organisationen in 20 Ländern angeschlossen – unter anderem im Mediensektor und in der Wissenschaft.

Aufgeschlossen aber nichts aktiv tun

Auch die Schweizer Medienhäuser SRF und Ringier haben Ende 2019 die Initiativen „Chance 50:50“ und „Equal Voice“ lanciert – mit dem Ziel, dass Frauen öfter zu Wort kommen. Doch offenbar dauert es, bis Erfolge sichtbar sind. In der Corona-Krise schien das Expertenportfolio männlich dominiert, wobei einschränkend der Hinweis gilt, dass dies noch genau beziffert werden müsste. Der öffentlich-rechtliche Bayerische Rundfunk hat sich vergleichbare Ziele gesetzt und aktuell einen Anteil von 38 Prozent Frauen im ersten Quartal 2020 geschafft. Der BR will aber für weitere Dimensionen der Diversität sensibilisieren und sich ausdrücklich damit profilieren, bislang unterrepräsentierte soziale beziehungsweise gesellschaftliche Gruppen stärker ins Blickfeld zu rücken.

Studien belegen, dass viele Chefetagen von Medienhäusern hierfür sehr aufgeschlossen sind. Diese Aufgeschlossenheit umfasst im Prinzip auch eine deutlich diversere Mitarbeiterstruktur. Doch für diese wollen die meisten zumindest nichts aktiv tun. Sie ziehen sich auf die Devise zurück: Wer gut ist, setzt sich durch. Doch das übersieht die soziologische Erkenntnis, dass Menschen meist Menschen einstellen, die ihnen ähnlich sind, sowie dass unsere Entscheidungen von einem „unconscious bias“, einer unbewussten Voreingenommenheit, beeinflusst sind. Sich dieser bewusst zu werden ist der erste Schritt, sie zu überwinden. Erst wenn sie wegfällt, kann Qualifikation allein zum Kriterium gemacht werden – für alle.

 

Erstveröffentlichung: derstandard.at vom 17. Juni 2020

 

Bildquelle: pixabay.com

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