Die Verpackung der Welt

21. April 2010 • Qualität & Ethik • von

Erstveröffentlichung: Wiener Zeitung vom 14.04.2010

Der Wandel der medialen Wissensvermittlung: Zeitungen vergessen laut Kurt Imhof “die Aufklärung”.

Fügung, Vorhersehung und Schicksal – das war das religiöse Weltbild bis zur Aufklärung im 18. Jahrhundert. Die Aufklärung brachte die Vernunft an die Macht und damit auch den öffentlichen Diskurs, die Meinungs- und die Pressefreiheit. Die Aufklärung setzte die Grundpfeiler für die mediale Wissensvermittlung der Moderne, die derzeit laut dem Schweizer Soziologen Kurt Imhof mit Füßen getreten wird.

Imhof leitet den Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Hedy Lamarr Lectures 2010 des Medienhauses Wien hatte er eine klare Botschaft zu verlauten: “Österreich hat zwar eine stolze publizistische Tradition, rutscht aber jetzt in den Billigjournalismus.” Der Soziologe hat eine interessante Theorie aufgestellt: Die Medien gehen in ihrer Wissensvermittlung um 200 Jahre zurück. “Jetzt kommt das ‚Vermischte‘ wieder”, erklärt Imhof. Auch die “Wiener Zeitung”, die – als älteste Tageszeitung der Welt – 1703 gegründet wurde, hatte in ihren Anfängen Rubriken mit dem Titel “Vermischtes”. Darin befand sich eben Allerlei, Persönliches, Konfliktreiches, Empörungsthemen – “human interest”.

Mit dem Zeitalter der Aufklärung wurde die Welt jedoch neu geordnet. Die mediale Wissensvermittlung hatte es sich zur Aufgabe gemacht das Wahre, das Gute und das Schöne zu erklären. “Wie lässt sich soziale Ordnung begründen”, formuliert Imhof die zentrale Frage des damaligen öffentlichen Diskurses im Gespräch mit der “Wiener Zeitung”. Und damit waren die Kernressorts der Zeitungen geboren. Die “gelehrten Beiträge der Wissenschaft” (“das Wahre”), die Frage der sozialen Ordnung (“das Gute”) im politischen Ressort und “das Schöne” im klassischen Feuilleton-Teil einer Zeitung.

Ressorts werden aufgeweicht

Das sind laut Imhof die Grundstrukturen der Medien vom 19. Jahrhundert bis zum Ende des 20. Jahrhundert. Und bei Top-Qualitäts-Zeitungen sei das ja immer noch so. Doch diese Art und Weise, die Welt zu verpacken, in einzelne Ressorts, bricht laut Imhof weg. Der Boulevard mache sich breit mit all seinen Facetten. Der Rationalitätsgehalt sinke, Journalisten bräuchten kein Kern-Wissen mehr. Journalisten mit Spezialwissen seien nicht mehr gefragt, denn das sei viel einfacher. Es werden Generalisten ausgebildet. “Die Sozialfigur des ‚Journalisten‘ tritt also das Erbe des ‚naturwissenschaftlichen, technischen oder medizinischen Experten‘, des ‚Handelsredakteurs‘, des ‚politischen Redakteurs‘ und des ‚Kunstkritikers‘ an, und er moderiert, falls nötig, auch den ‚Intellektuellen‘ und den ‚Priester‘. Damit verwandelt sich die öffentliche Kommunikation grundsätzlich. Mit der Entdifferenzierung der Ressorts und der Redaktionsstrukturen in den Medien ohne Qualitätsanspruch sowie der Entdifferenzierung der Sozialfiguren der Wissensvermittlung in den Medien mit Qualitätsanspruch entdifferenziert sich auch der Publikumsbegriff: Das Publikum wird vom Staats- und Bildungsbürger zum Medienkonsumenten, um dessen Aufmerksamkeit mit vereinheitlichten Nachrichtenwerten gekämpft wird”, so Imhof.

Gratis-Zeitungen mit marktschreiendem Inhalt gestalten öffentliche Räume und Gedankengut. Gratis-Online-Zeitungen ziehen Leser von der meist noch qualitätsvolleren Print-Version ab. “Doch guter Journalismus kostet”, ist der Soziologe überzeugt. Er sieht den Grund für den Wandel der medialen Wissensvermittlung natürlich auch in der Wirtschaftskrise. “Wir brauchen neue Finanzierungsmittel.” Das könnten so wie im angelsächsischem Raum Stiftungen sein, die von der öffentlichen Hand mit staatlichen Geldern gefüllt werden, sagt der Soziologe. Die Geldkrise der Zeitungen besteht laut Imhof darin, dass branchenfremde Unternehmen wie Google oder Facebook Werbung abziehen.

Medienqualität bewerten

Für Imhof sind drei Schritte notwendig, um den medialen Wissenswandel in Richtung Boulevardjournalismus zu stoppen. Erstens muss die Medienqualität seitens der Wissenschaft verstärkt bewertet und publiziert werden. Zweitens sollte bereits an den Schulen Medienkompetenz unterrichtet werden. Schon die junge Generation sollte im Umgang mit den Medien sensibilisiert werden. Und drittens sollten sich die Journalisten nicht so schnell geschlagen geben. Sie sollten kämpfen und neue Finanzierungsquellen überlegen und zulassen.

Wiener Zeitung vom 14. April 2010

Kurt Imhof plant, ein Medien-Observatorium zu gründen, dessen Struktur dem US-amerikanischen „Project for Excellence in Journalism“ ähneln und die Entwicklungen in Schweizer Medien analysieren soll. Imhof hat bereits zwei Millionen Schweizer Franken für das Projekt gesammelt. Über Details seines geplanten Medien-Observatoriums hat Kurt Imhof mit der NZZ gesprochen. Zum Interview geht es hier.

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