Frappierend war das schon, wie anders die in der Schweiz (und auch die in den USA) lebenden Türken im Vergleich zu ihren Landsleuten in Deutschland über das Verfassungsreferendum, sprich Erdogans Ermächtigungsgesetz abgestimmt haben. Das ist fraglos ein Indiz für gelingende Integration in der Schweiz und in Amerika – und für das Entstehen von Parallelgesellschaften in der Bundesrepublik.
Deutschland hat nicht nur in der Einwanderungspolitik seit vielen Jahren vieles falsch gemacht. Dort haben auch Politik und Medien viel zu lange tatenlos dem Treiben von Erdogans Geheimdienst und seinen Propagandatrupps zugesehen. Besser; sie haben weggeguckt, um nicht zusehen und einschreiten zu müssen – und jetzt dafür unübersehbar eine Quittung bekommen.
An Erdogan (und ebenso an Putin) verblüfft, wie weit ihre Medienmacht inzwischen reicht und wie sie ihre Anhänger selbst in Deutschland zu mobilisieren vermögen – und damit in der Bundesrepublik innenpolitische Krisen und Kontroversen auslösen konnten. In beiden Fällen sind es jeweils vor allem, aber nicht nur „ihre“ russischen und türkischen Medien, die Desinformation verbreiten.
Zwar untersagten Gerichte und mutige Kommunalverwaltungen dem türkischen Präsidenten die Wahlkampfauftritte seiner Minister vor der Abstimmung über das Referendum und damit die aller-offensichtlichsten Propaganda-Aktivitäten in Deutschland. Erdogan wurde zuvor auch nicht bei der türkischen Großdemonstration in Köln nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 übers Fernsehen als Redner zugeschaltet.
Es ist dem „Sultan“ aber fraglos gelungen, türkischstämmige deutsche Politiker einzuschüchtern, als im Bundestag die Armenien-Resolution zur Abstimmung stand. Obendrein hat er die deutsche Bundesregierung und auch die EU-Kommission in Brüssel wiederholt zu skurillen Eiertänzen bewegt. Auch für professionelle Politikbeobachter blieb beispielsweise unklar, ob sich Merkel und ihr Aussenminiser Steinmaier von der Armenien-Resolution des deutschen Parlaments distanzierte – obschon die Regierung ja eigentlich im Auftrag des Bundestags handelt und ihm gegenüber verantwortlich und rechenschaftspflichtig ist.
Kein Ruhmesblatt ist auch, wie wenig die Medien darüber berichtet haben, wie Erdogan Journalisten schikaniert und die Pressefreiheit stranguliert. Ein Aufschrei der Empörung hallte erst durch den Blätterwald, als mit dem Welt-Korrespondenten Deniz Yücel ein Journalist inhaftiert worden war, der neben seinem türkischen auch einen deutschen Pass hat. Das Schicksal der anderen150 türkischen Journalisten hinter Gittern erwähnten die deutschen Medien eher beiläufig, als sie sich um Yücel zu kümmern begannen. Und was aus Tausenden Wissenschaftlern und Staatsbediensteten wurde, die bereits lange vor der Volksabstimmung in der Türkei unter „Terrorverdacht“ entlassen worden waren, haben uns die meisten Mainstream-Medien ebenfalls bisher vorenthalten.
Vieles, vor allem der Ausgang des Referendums, bei dem in Deutschland prozentual weit mehr Türken für Erdogans Sultanat gestimmt haben als in der Türkei selbst, deutet darauf hin, dass Erdogans AKP und deren Handlanger über Jahre hinweg im deutschen Untergrund erfolgreich Brainwashing betrieben haben. Einen detaillierten Überblick über das dichte Netzwerk von Kulturinstituten, Stiftungen, Zeitschriften und weiteren Initiativen, die dazu beigetragen haben dürften, hat der Historiker Joseph Croitoru zusammengetragen – und nicht etwa im Spiegel, der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung, sondern in der Neuen Zürcher Zeitung publiziert.
Den deutschsprachigen Medien hat Erdogan wiederholt geschickt sein Framing untergejubelt. Nach allem, was im Vorfeld des Referendums an Einschüchterung stattfand, war das ja – anders als von Erdogan und vielen Medien insinuiert – von vorneherein keine demokratische Abstimmung mehr. Deshalb ist auch die jetzige Diskussion über Wahlbetrug ebenso skurril wie müßig. Für Erdogans Narrativ, dass die Gülen-Bewegung Drahtzieher des Putschversuchs im Sommer 2016 war, gibt es bislang ebenfalls keine stichfesten Beweise, aber die Medien verbreiten sie willig weiter.
Höchste Zeit also, dass sich die Journalisten in den westlichen Demokratien mehr um die Machenschaften Erdogans, aber auch um die bei uns lebenden türkischen Minderheiten kümmern, und dass die Politik dem Sultan endlich den Geldhahn zudreht und die Beitrittsverhandlungen mit der EU beendet.
Erstveröffentlichung: Werbewoche vom 28. April 2017
Bildquelle: Mehr Demokratie / Flickr CC: Deutsch-türkisches Bündnis bringt die Demokratie zum Blühen; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
Schlagwörter:Deutschland, Erdogan, Schweiz, Türkei, Türkei-Referendum, USA