Korrupte Journalisten?

25. Juli 2013 • Qualität & Ethik • von

Wer jüngste Umfrageergebnisse bündelt, kommt um die Einsicht kaum herum, dass das Vertrauen der Publika in Massenmedien einen neuen Tiefstand erreicht hat: 54 Prozent der Deutschen halten die Medien für „korrupt oder sehr korrupt“, hat soeben Transparency International im Rahmen seiner jährlichen Befragung herausgefunden. Zum ersten Mal stehen die Redaktionen dabei schlechter da als die öffentlicher Verwaltung und das Parlament.

In einer Allensbach-Umfrage bewegen sich Journalisten im Blick auf ihr berufliches Ansehen seit Jahren in schlechter Gesellschaft von Politikern und Bankern, weit abgeschlagen von Ärzten und Krankenschwestern, Lehrern und Handwerkern, die die Spitzenpositionen im Ranking belegen.

Auch die Amerikaner beklagen sich heftig über Leistungsabfall und Glaubwürdigkeitsverluste der Medien. Ein knappes Drittel von ihnen, so ermittelte kürzlich das Project for Excellence in Journalism (PEJ), hat deshalb bereits seinen Nachrichten-Anbieter gewechselt. In einer vorangehenden PEJ-Studie beklagten 80 Prozent der Amerikaner, Journalisten würden häufig von „mächtigen Personen oder Institutionen beeinflusst“ und 75 Prozent, sie seien „nicht in der Lage, faktengetreu zu berichten“. Ergänzend wartete das Pew Research Center soeben mit einer Umfrage auf, wer aus Sicht der amerikanischen Bevölkerung am ehesten einen „Beitrag zum Allgemeinwohl“ leiste: Das Militär sowie Lehrer und Ärzte führten diese Rangliste an, auf den letzten Plätzen landeten Journalisten, Manager und Rechtsanwälte.

Insgesamt geht es seit Jahren, ja Jahrzehnten bergab mit der journalistischen Glaubwürdigkeit – und in den letzten Jahren hat sich die Abwärtsspirale offenbar beschleunigt.

Woher kommt das? Einmal gewiss durch die Umwälzungen, die das Internet mit sich gebracht hat. Seitdem die Publika online „alles gratis“ erwarten und die Werbetreibenden bei Google, Facebook & Co zielgruppengenauer ihre Adressaten erreichen als mit herkömmlichen Massenmedien, werden die Sparzwänge für viele Redaktionen immer absurder. Vor allem der journalistische Nachwuchs und freie Mitarbeiter werden gnadenlos ausgebeutet – und sind auf zusätzliche Einkommensquellen angewiesen, um zu überleben.

In den Redaktionen selbst ist weit weniger Recherche-Kapazität vorhanden als früher. Das tägliche Bombardement mit Pressemeldungen und PR-Botschaften, die in die Medien „reingedrückt“ werden, hat sich dramatisch verschärft. Zudem ist im Vorfeld der Redaktionen eine Grauzone entstanden: Vielfach lässt sich Journalismus nicht mehr trennscharf von Öffentlichkeitsarbeit abgrenzen, weil freie Mitarbeiter in beiden Bereichen tätig sind. Und clevere PR-Strategen zwingen obendrein die „alten“ Massenmedien zur Berichterstattung in ihrem Sinne – zum Beispiel mit Hilfe von „Guerilla Marketing“, bei dem sie im Cyberspace Blogger und soziale Netzwerke einspannen, um Themen zu setzen, welche die immer noch einflussreicheren traditionellen Medien schließlich aufgreifen müssen.

Vermutlich rührt der Glaubwürdigkeits-Verlust des Journalismus aber auch daher, dass Journalisten gerne mit zweierlei Mass messen: Von anderen fordern sie jederzeit Rechenschaft und Transparenz ein; wenn es ums eigene Geschäftsgebaren geht, mangelt es indes gerade an diesen Tugenden. Das großangelegte vergleichende Forschungsprojekt MediaAcT hat in zwölf europäischen und in zwei arabischen Ländern der Frage nachgespürt, wie sich Journalisten zu ihrem eigenen Fehlverhalten stellen. Die Ergebnisse, die kürzlich in Brüssel präsentiert wurden, sind in ihrer Zweideutigkeit sehr erhellend.

„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“, heißt es im Volksmund, und dieses Verhaltensmuster trifft ganz offensichtlich auch auf die Journalisten zu. Befragt wurden insgesamt 1762 von ihnen. In allen untersuchten Ländern bekannten sie sich durchgängig zur Rechenschaftspflicht der Medien, aber sobald es konkret wurde, wollten sie doch sehr viel lieber dem „eigenen Gewissen“ als irgendwelchen Selbstkontroll-Instanzen wie Presseräten, Ombudsleuten oder auch Vorgesetzten gegenüber verantwortlich sein. Erstaunlich ehrlich auch die Antwort, dass sie im Zweifelsfall eher ihren Quellen gegenüber als ihren Publika „voll und ganz“ Rechenschaft zu schulden glauben. Nur in Spanien und Jordanien gaben die Befragten die Antwort, die in den journalistischen Ethik-Kodizes vorgesehen ist – dass Loyalität vor allem den Lesern, Hörern und Zuschauern gebührt.

Das ist einerseits verständlich, denn außer seiner Oma und seinem persönlichen Freundeskreis kennt kaum ein Journalist seine Leserinnen und Leser. Zu den Quellen, sprich: Pressesprechern, aber auch wichtigen Politikern und anderen Würdenträgern, besteht dagegen nicht nur ein persönlicher Kontakt; vielmehr sind Journalisten im Alltagsgeschäft auf deren Wohlwollen angewiesen – denn von ihnen beziehen sie ja die Informationen, die sie an ihre Publika weiterreichen. Aber genau hier beginnt das Problem: Um glaubwürdig zu sein, müssen Journalisten als Treuhänder ihrer Leser, Hörer und Zuschauer agieren – und dürfen sich nicht mit ihren Informanten verbandeln.

Wahrscheinlich haben die Glaubwürdigkeits-Verluste auch damit zu tun, dass die Medien zwar über alles Mögliche „aufklären“, aber kaum über sich selbst. Mit Ausnahme einiger weniger Qualitätsblätter geht die Berichterstattung über Journalismus und über Medien gegen null, im Fernsehen gibt es zum Thema fast nur Comedy-Formate (wie z.B. die heute-show). Auch die Schulen tun sich mit Medienkunde schwer. Über den Pilotversuch in Bayern, in 30 Grundschulklassen einen „Medienführerschein“ einzuführen, hat man seit seiner Ankündigung im Jahr 2009 nur noch wenig gehört.

Gerade weil die meisten Menschen kaum hinter die Kulissen des Medienbetriebs gucken können, sind Medienmärkte sogenannte „Zitronenmärkte“. Auf solchen Märkten, so der amerikanische Nobelpreisträger George Akerlof, erfolgt der Wettbewerb nicht über die Produktqualität, sondern über den Preis. Wenn die Qualität eines Produkts für den Käufer intransparent ist oder auf der Käuferseite Qualitätsbewusstsein fehlt, werden gerne Güter relativ schlechter Qualität angeboten, eben sogenannte Zitronen – ein Begriff, der im amerikanischen Slang auch für Gebrauchtwagen steht.

Für solche Lemons sinkt dann die Zahlungsbereitschaft – und das wiederum erschwert es den Anbietern hochwertiger Qualität, sich am Markt zu behaupten. Durchbrechen lässt sich dieser Teufelskreis wohl nur, indem qualitätsbewusste Redaktionen den journalistischen Mehrwert, den sie erzeugen, auch kommunizieren. Das wiederum geht aber nicht allein mit teurer Werbung und mit PR. Am ehesten dürfte sich das Qualitätsbewusstsein – und damit auch die Zahlungsbereitschaft der Publika – wohl durch beherzten und unbestechlichen Medienjournalismus heben lassen, statt die Probleme in falscher Solidarität mit den Dreckschleudern der Branche unter den Teppich zu kehren.

Erstveröffentlichung: Der Tagesspiegel vom 25. Juli 2013         

Bildquelle: MyTudut/Flickr

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