UN-Radios in Friedenseinsätzen: Öffentlicher Rundfunk oder PR?

2. August 2023 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Qualität & Ethik • von

1992 ging das erste UN-Radio im Rahmen eines Friedenseinsatzes auf Sendung. Radio UNTAC stellte ein innovatives Format dar, um die lokale Bevölkerung in Kambodscha über den Friedenseinsatz, den Friedensprozess, die bevorstehenden Wahlen, Menschenrechte und andere relevante Themen zu informieren. Nach dem jahrelangen Bürgerkrieg stellte Radio UNTAC eine bedeutende Informationsquelle dar, die für breite Teile der Bevölkerung zugänglich war und nicht unter dem Einfluss der Konfliktparteien stand. Bis heute hat die UN mehr als ein Dutzend UN-Radios in Friedenseinsätzen errichtet. Einige dieser Radios entwickelten sich zu den größten und beliebtesten Rundfunksendern im ganzen Land. Trotzdem – oder deswegen – sind UN-Radios nicht unumstritten. Was genau ist die Rolle von UN-Radios? Wie wirken sich UN-Radios auf die lokale Medienlandschaft aus? Und was passiert mit den UN-Radios, wenn ein Friedenseinsatz endet?

Foto: Das Aufnahmestudio von UNMIL Radio (2003–2018) in Monrovia, Liberia (Credit: UNMIL/C. Herwig)

Hintergrund: UN-Friedenseinsätze

Die Vereinten Nationen (UN) wurden 1945 mit dem Ziel gegründet, die internationale Zusammenarbeit zu stärken, um dadurch den Weltfrieden und die internationale Sicherheit sowie Menschenrechte und menschliche Entwicklung zu fördern. Eine der Maßnahmen, die die UN ergreifen kann, um gegen Kriege und bewaffnete Konflikte vorzugehen, sind so genannte Friedenseinsätze (auf Englisch: „Peace Operations“). Diese bestehen aus militärischen, polizeilichen und zivilen Kontingenten, die verschiedene Aufgaben übernehmen, um die Lage vor Ort zu stabilisieren.

Im Rahmen des jeweiligen Einsatzmandats unterstützen die so genannten „Blauhelme“ unter anderem die Durchsetzung von Friedensabkommen und Waffenstillständen, Aussöhnungsprozesse zwischen den beteiligten Konfliktparteien, den Aufbau staatlicher Institutionen und die Durchführung von Wahlen. Weitere Aufgaben bestehen in der Bereitstellung humanitärer Hilfe und dem Schutz von Menschenrechten.

Weitere Infos unter:

https://peacekeeping.un.org/en

(Informationsportal der UN auf Englisch)

https://frieden-sichern.dgvn.de/friedenssicherung/un-friedensmissionen (Dossier der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen – DGVN)

Medien- und Öffentlichkeitsarbeit in UN-Friedenseinsätzen

Ein zentraler Aspekt von Friedenseinsätzen ist die Kommunikation zwischen der UN und der lokalen Zivilbevölkerung sowie beteiligten Konfliktparteien und politischen Akteuren. Zu diesem Zweck setzt die UN verschiedene Kommunikationsformate ein, z.B. Pressekonferenzen und Pressemitteilungen, Flugblätter, Radio- und Fernsehsendungen sowie zunehmend digitale Medien, um über die Friedenseinsätze, die Friedensprozesse und andere relevante Themen zu berichten. Darüber hinaus nutzt sie Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, um die Friedenskonsolidierung, Menschenrechte und menschliche Entwicklung aktiv zu fördern.

Bis in die 1990er Jahre spielte Medien- und Öffentlichkeitsarbeit in UN-Friedenseinsätzen kaum eine Rolle. Die Ausweitung von Friedenseinsätzen nach Ende des Kalten Krieges und die zeitgleich einhergehende Revolution von Informations- und Kommunikationstechnologien veranlassten die UN jedoch, die Rolle der Medien in Friedenseinsätzen zu überdenken. So waren die Friedenseinsätze in Namibia (UNTAG, 1989–1990) und Kambodscha (UNTAC, 1992–1993) die ersten Missionen, die umfassende Medienstrategien umsetzten.

Dennoch blieb die UN in darauffolgenden Friedenseinsätzen zurückhaltend, was den Einsatz von Medien- und Öffentlichkeitsarbeit anging. Hinzu kam, dass begrenzte Mandate und fehlende Kooperation der Regierungen vor Ort umfassende Medienstrategien zusätzlich erschwerten. Die enorme Bedeutung von Medien in bewaffneten Konflikten zeigte sich Mitte der 1990er Jahre besonders deutlich, als Hassmedien im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda trotz laufender Friedenseinsätze zu Genoziden aufriefen.

Die Unfähigkeit, diese Gräueltaten zu verhindern, führte zu einer katastrophalen öffentlichen Wahrnehmung der beiden Friedenseinsätze, die weithin als Desaster bezeichnet wurden. Dies bedrohte nicht nur die Glaubwürdigkeit der UN-Friedenseinsätze, sondern der gesamten UN. Seither hat die UN ihre Medienstrategien kontinuierlich ausgebaut, sodass diese heutzutage fester Bestandteil von Friedenseinsätzen sind.

UN-Radios in Friedenseinsätzen

Auch wenn digitale Medien weltweit zunehmend an Bedeutung gewinnen, spielt das Radio in vielen Friedenseinsätzen bis heute eine wichtige Rolle. Friedenseinsätze finden oftmals in einkommensschwachen Ländern mit eingeschränkten Informations- und Kommunikationstechnologien statt, die durch bewaffnete Konflikte zusätzlich in Mitleidenschaft geraten. Darüber hinaus ist der Anteil der Bevölkerung, der nicht lesen und schreiben kann, zum Teil erheblich. In diesen Fällen ist das Radio ein Medium mit hoher Reichweite. Außerdem können Radiosysteme im Vergleich zu anderen Technologien vergleichsweise schnell und kostengünstig aufgebaut werden, was in Friedenseinsätzen besonders wichtig ist.

In vielen Friedenseinsätzen strahlt die UN ihre Radioprogramme auf lokalen Sendern aus. Dies ist allerdings nur möglich, wenn die technischen und soziopolitischen Gegebenheiten solche Kooperationen zulassen. Sollte dies nicht der Fall sein, kann die UN eigene Radiostationen errichten. 1992 ging das erste UN-Radio im Rahmen eines Friedenseinsatzes, Radio UNTAC, in Kambodscha auf Sendung. Bis heute sind mehr als ein Dutzend weitere UN-Radios gefolgt. Vier davon – Radio Okapi in der Demokratischen Republik Kongo, Radio Miraya in Südsudan, Guira FM in der Zentralafrikanischen Republik und Mikado FM in Mali – sind bis heute „on air“. Einige UN-Radios, darunter Radio Okapi und Radio Miraya, errichtete die UN gemeinsam mit der in der Schweiz ansässigen Medienentwicklungsorganisation Fondation Hirondelle.

UN-Radios: Öffentlicher Rundfunk oder PR?

Mehrere UN-Radios, z.B. Radio UNAMSIL in Sierra Leone und Radio Okapi in der Demokratischen Republik Kongo, haben sich aufgrund ihrer Ausstattung und Professionalität zu den größten und beliebtesten Rundfunksendern im ganzen Land entwickelt. Darüber hinaus wird UN-Radios nachgesagt, einen erheblichen Einfluss auf den Friedensprozess und die lokale Medienlandschaft zu haben: „Von Kambodscha bis Liberia haben diese UN-Sender dazu beigetragen, gewaltsame Konflikte zu beenden und politischen Wandel zu ermöglichen. Sie haben der Zivilgesellschaft vertrauenswürdige lokale Nachrichtenprogramme und unparteiische Diskussionsforen geboten, oft zum ersten Mal“, berichtete etwa der ehemalige UN-Mitarbeiter und Medienentwicklungsexperte Bill Orme.[1]

Dabei dienen UN-Radios in erster Linie dazu, das Mandat der Friedenseinsätze zu unterstützen und sind somit Sprachrohr der UN. Gleichzeitig übernehmen sie – gewollt oder ungewollt – Aufgaben öffentlicher Rundfunksender: Sie berichten über aktuelle Ereignisse, veranstalten Talkshows und vermitteln bildungsrelevante Inhalte. Dadurch bewegen sie sich in ihrer redaktionellen Ausgestaltung zwischen öffentlichem Rundfunk und PR. Dies führt gezwungenermaßen zu medienethischen Fragen: An welchen Normen und Standards orientieren sie sich? Da es keine einheitlichen Richtlinien für die redaktionelle Ausgestaltung von UN-Radios gibt, obliegt die Beantwortung dieser Frage der Missionsleitung und dem zuständigen Führungspersonal.

Der Einfluss von UN-Radios auf die lokale Medienlandschaft

UN-Radios haben zudem einen erheblichen Einfluss auf die lokale Medienlandschaft: Sie heben professionelle Standards an, bilden Journalist*innen aus und treiben Informations- und Kommunikationstechnologien voran. In vielen Fällen kooperieren UN-Radios außerdem mit örtlichen Radiosendern. Dadurch leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Medienentwicklung des jeweiligen Landes. Hinzu kommt, dass UN-Radios in vielen Fällen über Budgets verfügen, die weit über die Möglichkeiten von lokalen und internationalen Medienentwicklungsorganisationen hinausgehen.

Trotzdem – oder deswegen – sind UN-Radios nicht unumstritten. Ihnen wird vorgeworfen, auch negative Auswirkungen auf die lokale Medienlandschaft zu haben. Der Medienentwicklungsexperte Robert Powell, zum Beispiel, kritisierte, dass UN-Radios durch ihre enormen Budgets lokalen Medieninstitutionen die besten Journalist:innen wegnehmen – und auch ihr Publikum. Viele der Journalist:innen, die für UN-Radios gearbeitet haben, kehrten danach nicht zu lokalen Medieninstitutionen zurück, sondern arbeiteten als Auslandskorrespondent:innen oder verließen das Land.[2]

Was passiert mit UN-Radios, wenn ein Friedenseinsatz endet?

Die ersten UN-Radios wurden nach Beendigung der Friedenseinsätze eingestellt. In Anbetracht der Tatsache, dass einige dieser Radiostationen eine systemkritische Informationsquelle für die lokale Bevölkerung darstellten, stellte sich jedoch die Frage nach Verantwortung und Nachhaltigkeit. Im Zuge dessen wurden einige UN-Radios nach Beendigung der Friedenseinsätze an nationale oder regionale Einrichtungen übergeben, die den Rundfunk weiterführten. In Sierra Leone, zum Beispiel, fusionierte das UN-Radio mit dem nationalen Rundfunksender SLBC.

Die Übergabe von UN-Radios an nationale oder regionale Einrichtungen kann zahlreiche Vorteile mit sich bringen, insbesondere die Kontinuität eines qualitativ hochwertigen und vergleichsweise unabhängigen Rundfunksenders, der zur nachhaltigen Friedenskonsolidierung beiträgt. Auf der anderen Seite gehen mit der Übergabe praktische Herausforderungen einher. Dazu gehört neben der finanziellen Tragfähigkeit insbesondere die Unabhängigkeit von staatlichen Einflüssen. Im Fall von SLBC zum Beispiel gelang dies nicht. Der Sender gilt heute als Sprachrohr der Regierung.

Die Übergabe von UN-Radios sollte daher sorgfältig durchdacht werden. Die Entwicklung einer pluralistischen und unabhängigen Medien- und Informationslandschaft sollte neben dem Aufbau staatlicher Institutionen als Grundpfeiler von Friedens- und Demokratisierungsprozessen anerkannt werden. UN-Radios können neben anderen Maßnahmen einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Friedensprozesse und die lokale Medienentwicklung zu fördern. Ratsam wäre es in dieser Angelegenheit, die Rolle der UN-Radios klar zu definieren und mögliche negative Auswirkungen auf die lokale Medienlandschaft frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken, etwa durch die gleichzeitige Förderung lokaler Medieninstitutionen.

[1] Orme, B. (2010), S. 8.

[2] Betz, M., & Papper, H. (2015), S. 174.

 

Quellen und weiterführende Literatur:

Betz, M., & Papper, H. (2015). UN peacekeeping radio: The way forward. In J. Hoffmann & V. Hawkins (Eds.), Communication and peace: Mapping an emerging field (pp. 163–178). Routledge.

Oksamytna, K. (2022). Public information and strategic communications in peace operations. In H. Dorussen (Ed.), Handbook on peacekeeping and international relations (pp. 148–162). Edward Elgar.

Orme, B. (2010). Broadcasting in UN blue: The unexamined past and uncertain future of peacekeeping radio. Washington DC. https://www.cima.ned.org/wp-content/uploads/2015/02/CIMA-UN_Radio.pdf

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