Immer mehr Menschen vermeiden Nachrichten bewusst. Grund dafür ist der Stress durch Krieg und Krisen. Könnte der Konstruktive Journalismus die Lösung sein?
Journalismus hat eine Scharnierfunktion zwischen Gesellschaft und Politik. Er soll informieren, Macht überwachen und öffentlich aufklären. Das Misstrauen in Journalismus wächst in Deutschland aber immer mehr und nicht nur das: Die Nachrichten haben einen spürbar negativen Effekt auf viele Menschen. Denn wer Nachrichten konsumiert kriegt gebündelt alles mit, was in der Welt passiert, und das kann aktuell sehr negativ ausfallen.
Nachrichtenmüdigkeit
Menschen reagieren auf negative Ereignisse evolutionsbedingt fünfmal stärker als auf neutrale oder positive Nachrichten, sagt Ellen Heinrichs vom Bonn Institute im Interview mit dem Deutschlandfunk. Und wer morgens die Tageszeitung aufschlägt und abends mit der Tagesschau einschläft, der bekommt diese negativen Nachrichten zu spüren. Krieg und Krisen ziehen sich durch die Berichterstattungen. Das kann für viele Menschen eine große Belastung darstellen und fördert die aktive Nachrichtenvermeidung. 2023 vermeidet deshalb jeder zehnte Internetnutzer aktiv Nachrichten, das geht aus dem diesjährigen Reuters Institute Digital News Report hervor. Vermieden werden bestimmte Themen wie z. B. der Ukrainekrieg und priorisiert werden Aktivitäten, die nichts mit Nachrichten zu tun haben.
Gleichzeitig gibt mehr als die Hälfte der Befragen in der Studie an sehr an positiven und lösungsorientierten Nachrichten interessiert zu sein. Könnte also eine andere Form des Journalismus die Abwärtsspirale des Nachrichtenkonsums aufhalten?
Was ist Konstruktiver Journalismus?
Konstruktiver Journalismus stellt eine andere Form des Journalismus dar. Hier wird unterschieden, wie die Informationen aufbereitet sind. Er hat das Ziel durch spezifische Elemente in der Berichterstattung die Leser zu entlasten, zu unterstützen und zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beizutragen. Aktuell sind viele der Nachrichten rein sachlicher Natur. Die Geschehnisse werden beschrieben und ihre Hintergründe erklärt. Im Sinne seines Titels möchte der konstruktive Journalismus aufbauen und entwickeln. Und das auf mehreren Ebenen. Auf der Mikroebene beim Nutzer, auf der Mesoebene die Bindung an das Medienunternehmen und auf der Makrobene geht es um einen Fortschritt in der Gesellschaft. Beim konstruktiven Journalismus wird nicht nur berichtet, sondern auch Lösungsansätze beschrieben. Mit den Nachrichten geht also auch noch ein Ausblick einher. Das kann dazu führen, dass Nutzer eher motiviert werden zu handeln und sich emotional besser fühlen. Konstruktiver Journalismus soll also in der Theorie eher ermutigen statt ermüden. Er stellt die W-Frage: Wie geht es weiter?
Seit 2015 wächst die Zahl der Redaktionen, die zumindest ab und zu konstruktiven Journalismus betreibt. Perspective-Daily ist ein Beispiel für funktionierenden Konstruktiven Journalismus. Seit 2016 macht das Online-Magazin Journalismus, der nach eigenen Aussagen Lösungen liefert. „Schluss mit dem endlosen Strom negativer Schlagzeilen! Unser Konstruktiver Journalismus gibt dir einen realistischeren Blick auf die Welt – damit du weißt, wie wir sie ändern können.“, mit diesem Slogan werben sie auf ihrer Seite und damit haben sie Erfolg. Sie zählen heute rund 14.000 zahlende Mitglieder. Es gibt aber auch viele andere neue Nachrichtenmodelle, die auf lösungsorientierten Journalismus setzen. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk bedient sich stellenweise an dieser Herangehensweise, aber nur vereinzelnd.
Die drei Elemente des Konstruktiven Journalismus
Das Bonn Institute stellt drei Kernelemente des Konstruktiven Journalismus vor.
- Lösungsfokus
Der herkömmliche Journalismus hört auf, wenn Probleme genug beschrieben wurden. Danach endet ihre Relevanz für die Berichterstattung. Beim Konstruktiven Journalismus geht es weiter. Er berichtet über Lösungsansätze gesellschaftlicher Probleme und so hört die journalistische Arbeit nicht auf, wenn bereits über ein Problem berichtet wurde. Journalisten haben dann die Aufgabe Lösungsansätze in den Vordergrund zu rücken, Evidenzen herauszufiltern, andere Ansätze auf das Problem zu übertragen und Grenzen und Hürden zu beschreiben. Diese vier Anforderungen hat das Solutions Journalism Network für Qualitätsjournalismus aufgestellt (https://www.solutionsjournalism.org/about/solutionsjournalism).
- Perspektivenreichtum
Im zweiten Punkt des Konstruktiven Journalismus wird die Diversität in den Vordergrund gerückt. Wie viele Perspektiven gibt es in einer Redaktion? Und welche personelle Diversität liegt vor? Gerade wenn man davon ausgeht, dass Journalisten eher Informationsquellen heranziehen, die in ihr kohärentes Weltbild passen, ist es wichtig viele Perspektiven in einer Redaktion zu verbinden. Konstruktiver Journalismus soll den Blickwinkel ändern.
- Konstruktiver Dialog
Journalisten sind hier Moderatoren zwischen Gruppen in der Gesellschaft. Im Journalismus kann die konstruktiv eine Debatte geführt werden, die friedlich in die Zukunft schaut, statt sich in einer Position zu verhärten. Das kann letztendlich Demokratie stärken.
Konstruktiver Journalismus löst positive Emotionen aus – Studie der ARD
Der ARD-Forschungsdienst hat für das Fachmagazin „Media Perspektiven“ mehrere internationale Studien zum Konstruktiven Journalismus zusammengefasst. So konnten einige Nutzungserfahrungen zusammengefasst werden und die Forschung zeigt, dass verschiedene Elemente unterschiedlich je nach Alter unterschiedlich bewertet wurden. Alter, Bildungsstand und Interessen beeinflussen die Wahrnehmung.
Der Konstruktive Journalismus trägt dazu bei, dass die Konsumenten sich als Teil der Gemeinschaft fühlen und sich eher für gemeinschaftliche Interessen einsetzten. Außerdem hat der Vergleich gezeigt, dass er positive emotionale Reaktionen bei den Lesern hervorruft und zur Resilienz beitragen kann. Die positiven Effekte werden verstärkt, wenn der Journalismus von den Nutzern als vertrauenswürdig, unabhängig und relevant wahrgenommen wird. Eine positive Bewertung des Journalismus korrelierte in Ländern mit liberaleren Mediengesetzen mit einer höheren Nutzungshäufigkeit.
Eine andere Studie der Zusammenfassung hat festgestellt, dass lösungsorientierter Journalismus mehr Vertrauen und Zustimmung erzeugt als problemorientierte Berichte. Außerdem gab es einen positiven Effekt auf Vertrauen und Zustimmung in die Berichterstattung, wobei andere Faktoren wie Identifikation mit den Protagonisten möglicherweise auch eine Rolle gespielt haben.
Insgesamt kann der Konstruktive Journalismus durch seinen lösungsorientierten Ansatz mehr positive Emotionen bei Rezipienten auslösen, was gegen Nachrichtenmüdigkeit helfen kann. Aktuell gibt es aber noch wenig Langzeitforschung zu der Form des Journalismus, trotzdem ist der Konstruktive Journalismus bereits erfolgreich und er gibt einen neuen Blickwinkel.
Schlagwörter:konstruktiver Journalismus, Studie
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