Zu viel Macht bei den Konzernen

26. Juli 2021 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Die Kontrolle über den politischen Diskurs darf nicht Privatunternehmen überlassen werden. Eine Studie belegt das Ausmaß der Sperrungen und zeigt riskante Lücken bei der Moderation.

Ein Forscherteam der Universität Oxford hat eben am Beispiel wichtiger Wahlen in Frankreich, Großbritannien und Deutschland für 2017 untersucht, in welchem Ausmaß Social Media-Plattformen wahlbezogene Inhalte gesperrt haben und welcher Art diese waren. Allein Twitter hat 5,6 Prozent der Nutzenden, die sich zu diesen Wahlen geäußert haben, gesperrt. Nur hinter 0,67 Prozent der gesperrten Konten steckten mutmaßliche oder potenzielle Bots. Die meisten gesperrten Konten haben Menschen betrieben. Sie posteten sehr häufig zu kontroversen Themen wie Immigration und Religion und rückten bestimmte, häufig im rechten Spektrum angesiedelte Personen in den Vordergrund. Viele gesperrte Inhalte stützten populistische Parteien auf der linken wie auch der rechten Seite, führten also die Nutzenden weg von den etablierten Parteien. Die genauen Effekte der Verbreitung dieser Inhalte misst die Studie zwar nicht. Aber schon das hohe Aktivitätsniveau von mehr als drei Millionen Tweets (also 4,2 Prozent der Gesamtzahl) legt nahe, dass sie wirkten, indem sie spaltende Themen auf Twitter sichtbarer machten und die Polarisierung der Wählerschaft vertieften.

Die Befunde offenbaren die Tragweite der Regelungslücke bei den Kriterien zu Moderation und Sperrung auf breiter Ebene und über bekannte Personen hinaus, wie zum Beispiel Ex-US-Präsident Trump, dessen Konto Twitter nach dem Sturm seiner Anhänger auf das Capitol in Washington gesperrt hatte. Noch immer liegt die Hoheit über die Normsetzung nahezu allein bei den Plattformbetreibern und damit bei privaten, gewinnorientierten Unternehmen, die keiner Rechenschaft und keiner Aufsicht unterliegen. So bleibt verborgen, ob ökonomische oder politische Interessen ihre Moderationsregeln beeinflussen. Wer aus seiner Sicht zu Unrecht gesperrt wurde, sollte unkompliziert erfahren, wie er sich wehren kann. Entwürfe für gesetzgeberische Korrektive gibt es, die Zeit drängt.

 

Silvia Majó-Vázquez, Mariluz Congosto, Tom Nicholls, Rasmus Kleis NielsenThe Role of Suspended Accounts in Political Discussion on Social Media: Analysis of the 2017 French, UK and German Elections, In: Social Media + Society, 4. Juli 2021. https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/20563051211027202

 

Bildquelle: pixabay.com

 

Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 25. Juli 2021

 

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