„Journalisten sind keine Halbgötter“

19. Juni 2015 • Internationales, Redaktion & Ökonomie • von

Über zehn Jahre lebte Jörg Armbruster in Kairo und berichtete als ARD-Korrespondent über den Nahen Osten. Während einer Recherche im syrischen Aleppo im März 2013 geriet er in einen Schusswechsel und wurde schwer verletzt. Die Arabische Welt beobachtet er dennoch weiterhin genau und schreibt politische Analysen für Tageszeitungen. Im Interview mit EJO-Reporterin Susann Eberlein sprach der 67-Jährige über die Berichterstattung aus einem Krisen- und Kriegsgebiet, Wahrhaftigkeit und aktive Zuschauer.

 

eine Region ist geprägt: Aber ist man mehr als Krisen- und Kriegsreporter im Nahen Osten?

Eine Region ist geprägt: Aber ist man “nur” Krisen- und Kriegsreporter im Nahen Osten?

Im überwiegenden Teil Ihrer Karriere waren Sie in der Auslandsberichterstattung tätig. Was muss ein Reporter für den Job mitbringen, speziell im Nahen Osten?

Ich halte nicht viel von den Fallschirm-Journalisten, die einfliegen, wenn es knallt und drei Tage später wieder abreisen. Man sollte in der Region, über die man berichtet, leben. Übrigens habe ich mich nie als Krisen- und Kriegsreporter verstanden. Natürlich musste ich über sie berichten, aber ich hätte viel lieber über andere Themen berichtet. Ohne diese Einstellung machen die Krisen und Kriege blind. Außerdem braucht man viel Leidenschaft und darf sich vor Angst nicht scheuen.

Sie verglichen die Korrespondentenarbeit einmal mit dem Zusammenfügen eines Mosaiks. Was meinen Sie damit?

In unseren Kurzberichten können wir die verschiedenen Farben meistens nur andeuten. In neunzig Sekunden, die einem in der Tagesschau bleiben, können wir nie das ganze Bild zeigen, sondern nur Ausschnitte. Deswegen glaube ich, dass am Ende erst die Gesamtheit aller Berichte das tatsächliche Bild ausmacht. Daher ist auch der Zuschauer gefordert, sich kontinuierlich zu informieren und nicht nur Konsument zu sein.

Das heißt, Sie erwarten einen aktiven Rezipienten?

Unbedingt. Anders kann ich es mir nicht vorstellen. Heutzutage hat der Zuschauer die Chance, sich aus unterschiedlichen Quellen zu informieren, wodurch er uns auch in Schwierigkeiten bringen kann. Das ist das Recht des Zuschauers, auch wenn man sich dann angegriffen fühlt.

Häufig wird kritisiert, die Medien zeigten nur eine Seite des Konflikts und würden die ganze Wahrheit „verschweigen“. Wie stehen Sie dazu?

Auf Pegida-Platt heißt es „Lügenpresse“. Das halte ich für eine ziemliche Frechheit. Tatsächlich ist es äußerst schwierig, wahr zu berichten. Deswegen spreche ich auch lieber von Wahrhaftigkeit: man berichtet über das, was man glaubt zu sehen und zu erleben. Und das muss dem Zuschauer mitgeteilt werden. Das Wissen eines Korrespondenten ist begrenzt, wir sind keine Wissenschaftler, die eine Rundum-Untersuchung machen und auch keine Halbgötter, die alles von oben betrachten. Dass Fehler passieren, ist völlig normal. Der einzige Fehler, der nicht passieren darf, wäre, diesen Fehler nicht zuzugeben.

Inwiefern wurden Sie als Korrespondent zum Spielball der Kriegsparteien?

Information ist eine Waffe. Man muss höllisch aufpassen, nicht benutzt und missbraucht zu werden, sowohl von der Seite der Regierungen als auch der Rebellen. Die Regierungen versucht, uns an der langen Leine zu halten, zum Beispiel indem wir kein Arbeitsvisum bekommen und uns kein eigenes Bild vor Ort machen können. Das hat man natürlich immer im Hinterkopf, aber ich glaube nicht, dass sich dieser Gedanke auf die Berichterstattung niedergeschlagen hat.

Sie hatten einst die Wahl zwischen dem südlichen Afrika und dem Nahen Ost, Sie entschieden sich für letzteres. Würde die Entscheidung heute genauso ausfallen?

Unbedingt. Im Nahen Osten wird Weltpolitik gemacht. Außerdem ist er noch sehr exotisch, die Menschen sind sehr liebenswürdig, abwechslungsreich und verschieden. Und er beheimatet eine Weltreligion.

Sie sprechen vom „bunten“ Nahen Osten. In den Medien überwiegen jedoch die Meldungen über Krisen und Krieg.

Das ist schade. Aber der Knall ist lauter als die stillen, schönen Geschichten. Wenn der IS vorrückt, kann man nicht über Kamelzucht in Dubai berichten. Aber es gibt selbstverständlich auch andere Geschichten. Ein Kollege hat neulich erst Bericht über einen Cellisten in Bagdad gemacht, der als Protest immer dort spielt, wo eine Bombe hochgegangen ist. Das sind sehr anrührende Geschichten, die nicht untergehen dürfen.

Inwiefern haben die vielen Jahre im Nahen Osten Ihr Leben geprägt?

In Deutschland fahre ich nur noch ganz selten Auto. In Kairo ist es hochspannend, weil äußerst anstrengend und herausfordernd: Rot zählt nicht, gegen die Einbahnstraße fahren gehört dazu. Nur Polizisten dürfen nicht überfahren werden, ansonsten herrscht auf der Straße eine gewisse Anarchie – genau wie in der Gesellschaft. Die vermisse ich hier in Deutschland. Hier ist es doch ein wenig zu geordnet.

 

Bildquelle: Béatrice Dillies au Kurdistan/flickr.com

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