Die Qualität der Berichterstattung über die Lage der Senioren

19. Oktober 2020 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Die ältere Generation wird in deutschen Medien überwiegend in negativen Kontexten dargestellt und kommt primär dann in den Fokus, wenn es um Verteilungsdebatten in der Sozialpolitik (Rente, Pflege) geht. Ein realistisches Bild ist daraus kaum zu gewinnen.

Der „Sechste Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland – Altersbilder in der Gesellschaft“ hat verschiedene Facetten von Altersbildern unter die Lupe genommen, insbesondere im Kapitel „Altersbilder und Medien“. Demnach würden ältere Menschen in den Massenmedien eher einseitig dargestellt, entgegen weit verbreiteter Erwartung sogar eher einseitig positiv. Gleichzeitig konstatiert der Bericht, dass Studien für den deutschsprachigen Raum jeweils nur einen kleinen Ausschnitt der Medienlandschaft betrachteten (1). Die umfangreichen Untersuchungen dazu von Media Tenor (vergleiche Vollbracht 2015 und Vollbracht 2020) zeigen dagegen, dass die ältere Generation in den deutschen Medien entgegen ihrem wachsenden Anteil an der Bevölkerung stark unterrepräsentiert ist und die Berichterstattung über sie in der Regel in negativem Kontext erfolgt.

Abbildung 1: Medienpräsenz von Seniorinnen und Senioren 2012-2019 / Quelle: Vollbracht 2020, 10

 

1. Die Information über die ältere Generation liegt unter der Wahrnehmungsschwelle

Seniorinnen und Senioren als Gruppe bekommen in den deutschen Leitmedien etwa ein Viertel der Aufmerksamkeit, die Kindern und Jugendlichen zuteil wird. Um über die Wahrnehmungsschwelle zu kommen, müsste die Berichterstattung etwa sieben Mal höher ausfallen. Die Situation der älteren Generation ist in der medialen Öffentlichkeit nur zu bestimmten Anlässen ein Thema, wie nicht zuletzt die Corona-Krise gezeigt hat, bei der es in etlichen Senioreneinrichtungen zu dramatischen Infektionsverläufen mit zahlreichen Todesfällen kam.

2. Das Medienbild zur älteren Generation konzentriert sich auf die Rente

Im Hinblick auf die Themen, über die Medien im Zusammenhang mit der älteren Generation berichten, zeigt sich über die Jahre ein recht stabiles Bild: Im Mittelpunkt steht eindeutig die Rente (Anteil zwischen 44,8 und 70,1 Prozent an allen Beiträgen). Die Kranken- und Pflegeversicherung und Gesundheitsaspekte machten im Zeitverlauf zwischen 4,1 und 13,3 Prozent aus. Um die Beteiligung der älteren Generation am Arbeitsmarkt, vor allem die Frage des Renteneintrittsalters, ging es stärker in den Jahren 2012 bis 2014, getrieben allerdings vor allem durch Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung, nicht etwa unter dem Aspekt der selbstbestimmten Teilhabe. Nur ein Randaspekt der Berichterstattung ist das Thema Gesellschaft und Geschichte, wo es um Kultur, Werte, Identität und geschichtliche Erfahrungen geht.

Abbildung 2: Themenstruktur der Berichterstattung über die ältere Generation / Quelle: Vollbracht 2020, 10, an 100 fehlende Prozent: andere Themen

 

3. Seniorinnen und Senioren werden überwiegend in negativen Kontexten dargestellt

Die Tonalität der Darstellung zur älteren Generation in den ausgewerteten deutschen Leitmedien ist eher negativ. Im Zusammenhang mit den Rentenerhöhungen der letzten Jahre hat sich der Saldo von positiven und negativen Wertungen von -17 auf zuletzt -6 verringert. Insgesamt ist die Berichterstattung stark defizitorientiert. Das schlägt sich auch in der Semantik nieder, zum Beispiel in der Warnung vor einer „Überalterung“ der Gesellschaft oder der starken Zunahme der Berichterstattung über gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Demenz. Demenz ist das Hauptthema der Berichterstattung über gesundheitliche Einschränkungen von Senioren, sie ist im Vergleich zur medizinischen Statistik damit stark überpräsentiert (Vollbracht 2015, S. 61-62).

4. Konsequenzen

Ein vorwiegend negatives Bild der älteren Generation in den Medien verbunden mit einer eingeschränkten Themendiversität über einen längeren Zeitraum hat Konsequenzen für die Betroffenen und für die Gesellschaft insgesamt. Während prominente „Alte“ wie der Papst oder US-Präsident Donald Trump in den Medien stark vertreten sind, ist ein realistisches Bild der älteren Generation aus den Medien kaum zu gewinnen. Sie kommen primär dann in den Fokus, wenn es um Verteilungsdebatten in der Sozialpolitik (Rente, Pflege) geht. Die Analyse internationaler Nachrichten zeigt, dass in anderen Ländern gesellschaftliche und kulturelle Aspekte teilweise einen wesentlich höheren Stellenwert haben und in der Regel auch positiver vermittelt werden. Die Teilhabe der älteren Generation am Arbeitsmarkt wurde in Deutschland bis dato hauptsächlich im Kontext von Finanzierungsproblemen der Rentenversicherung dargestellt, nicht im Zusammenhang mit selbstbestimmten Entscheidungen über gesellschaftliche Teilhabe. Das primär negative Altersbild in den Medien hat erkennbare Abstrahlwirkungen auf das Berufsimage der Pflege und verstärkt damit den Personalengpass in diesem Bereich (Reuschenbach 2015, 128). Kessler (2015, 150) betont, dass Altersbilder in den Köpfen jüngerer Menschen das tatsächliche Leben im Alter beeinflussen und dass sich Altersbilder „über den Weg der Kommunikation zwischen alten und jungen Menschen kurz- und langfristig auf das Erleben und Verhalten älterer Menschen auswirken“.

Ein jährlicher  Report der Informationsqualität zur Berichterstattung über ältere Menschen als Anhang zum jährlichen Altersbericht der Bundesregierung könnte helfen, die genannten Herausforderungen anzugehen. Dieser sollte auch die Aspekte Altenpflege und die Diskussionen über Altersbilder und Altenpflege in den Social Media umfassen.

Literatur

Sechster Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland – Altersbilder in der Gesellschaft und Stellungnahme der Bundesregierung. Bundestagsdrucksache 17/3815, 2010, S. 141ff.

Vollbracht, M. (Hrsg.): Ein Heim, kein Zuhause? Das Medienbild von Altenpflege im Kontext von Altersbildern und Berufsprestige. Innovatio, Zürich, 2015

Vollbracht, M.: Ein Heim, kein Zuhause? Altersbilder und Berufsprestige Altenpflege in Nachrichtenmedien und Social Media im Jahr 2019. BGW Forschung, Hamburg 2020

Reuschenbach, B.: Imagepflege in der Pflege – Altenpflege ins richtige Licht gerückt. In: Vollbracht, M. (Hrsg.): Ein Heim, kein Zuhause? Das Medienbild von Altenpflege im Kontext von Altersbildern und Berufsprestige. Innovatio, Zürich, 2015

Kessler, E-M.: Altersbilder in den Köpfen und Altersbilder in den Medien – wie beeinflussen sie einander? In: Vollbracht, M. (Hrsg.): Ein Heim, kein Zuhause? Das Medienbild von Altenpflege im Kontext von Altersbildern und Berufsprestige. Innovatio, Zürich, 2015

 

Dieser Beitrag wurde zuerst im „Bericht zur Lage der Informations-Qualität in Deutschland“, herausgegeben von Roland Schatz (Media Tenor), veröffentlicht.

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Bildquelle: pixabay.com

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