Journalismus im Bermuda-Dreieck

15. Februar 2009 • Medienökonomie • von

Erstveröffentlichung: Der Tagesspiegel

Wegbrechende Werbeerlöse, Abbau der Redaktionen, Leser, die ins Internet abwandern: Die US-Presse ist in der Abwärtsspirale.

Vor zwei Jahren spekulierte David Carr, prominenter Medien-Journalist der New York Times, darüber, wie Historiker die heutige Zeit im Rückblick bewerten werden: „Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit werden sie diese Periode der amerikanischen Geschichte examinieren und darüber erstaunt sein, dass der Journalismus verschwunden ist.“ Jetzt hat Michael Hirchorn im Atlantic Monthly nachgelegt. Ganz konkret mutmasst er, selbst eine Ikone des US-Zeitungsjournalismus wie die New York Times könnte bereits im laufenden Jahr pleitegehen.
In der Tat, wenn es einer Branche in Amerika noch schlechter geht als den Banken, dann sind das die Tageszeitungen. Und noch etwas haben Medienunternehmen mit den Finanzjongleuren von der Wall Street gemein. Es ist noch nicht allzu lange her, da gab es nur einen einzigen Wirtschaftszweig, in dem sich mit eingesetztem Kapital noch mehr Geld verdienen ließ – Spielcasinos. Inzwischen ist in Amerika allerdings nicht nur die Zeitungsbranche in ihrer Existenz gefährdet; mit ihr droht vielmehr auch der seriöse Journalismus im Bermudadreieck zu verschwinden.

Das Bild passt, denn die Zeitungen – und mit ihnen ihre Redaktionen – sind von mehreren Seiten gleichzeitig und massiv unter Druck geraten. Die Leserinnen und Leser wandern scharenweise ins Internet ab. Das ist deshalb kein Wunder, weil es dort alles gratis gibt – meist sogar früher und nutzerfreundlicher aufbereitet. Gewiss, mit dieser Veränderung der Lesegewohnheiten mussten die Verlage seit vielen Jahren rechnen. Gratis ins Netz gestellt haben sie, weil sie die Hoffnung hegten, dass zusammen mit den Nutzern auch die Werbeeinkünfte von Print ins Internet abwandern würden. Geschähe dies, wären die Zeitungshäuser aus dem Schneider. Denn ihren größten Kostenblock – Papier, Druck und Vertrieb – könnten sie schlicht sparen, wenn das Publikum ihre Zeitung online läsen, statt am Frühstückstisch mit Papier zu rascheln.

Bei den Online-Offerten gab es bis vor kurzem noch satte Wachstumsraten: 40 Millionen mehr Besucher hatten die Top Ten der Zeitungswebsites 2008 gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen – ein Zugewinn von 16 Prozent. Folgt man indes dem letzten Report zum Zustand der US-Medien des Project for Excellence in Journalism, dann sind die Aussichten eher trübe: „Mehr und mehr kristallisiert sich als größtes Problem traditioneller Medien nicht mehr die Frage heraus, wo sich die Leute ihre Informationen holen, sondern wie für diese bezahlt werden soll. Es schält sich heraus, dass die Werbewirtschaft nicht zusammen mit den Konsumenten in den Bereich der Online-Nachrichten übersiedelt. Nachrichtenangebote und Werbung scheinen sich fundamental zu entkoppeln.“

Die Verlagsmanager haben sich an zwei entscheidenden Stellen verkalkuliert. In der „guten, alten“ Zeit hatten die meisten Blätter regionale oder lokale Oligopole oder Monopole, also eine marktbeherrschende Stellung. Damit konnten sie bei den Anzeigenpreisen kräftig zulangen, über Jahrzehnte hinweg erzielten sie Traumrenditen. Im Internet herrscht dagegen Wettbewerb. Der Konkurrent, der auf dieselben Anzeigenkunden hofft, ist nur einen Mausklick entfernt. Deshalb schrumpfen bei den Werbeumsätzen die Margen, aus denen sich früher Redaktionen großzügig finanzieren ließen. Vorbei sind damit die Zeiten, als nicht nur viele Verleger, sondern auch so manche Redakteure in ihren Nischen wie die Maden im Speck lebten.

Paradiesische Zustände herrschen für die Werbetreibenden aber auch noch aus einem anderen Grund. Sie können heute ihre Zielgruppen ohne allzu große Streuverluste erreichen – anders als Henry Ford, der sich sorgte, die Hälfte seines Werbebudgets sei zum Fenster hinausgeworfen, aber nicht wusste, welche Hälfte. Deshalb erzielen einen Großteil der Werbeeinkünfte, auf welche die Zeitungsverlage hofften, inzwischen Google und andere Suchmaschinen.

Und auch diesen Trend haben die Verlagsmanager verschlafen. Wer nach einer neuen Freundin Ausschau hält oder sein Auto verkaufen möchte, kann online inzwischen gratis inserieren, wenn er nicht selbst Gewerbetreibender ist. Das Geschäft mit den Kleinanzeigen, in den USA noch vor wenigen Jahren 40 Prozent der Werbeeinkünfte der Verlage, bricht in schwindelerregendem Tempo weg. Noch werden zwar mit Zeitungs-Classifieds jährlich rund 14 Milliarden Dollar Umsatz erzielt. Das ist aber ein Drittel weniger als zum Allzeithoch des Jahres 2000.

Dem dritten Eckpunkt des Bermudadreiecks wird in der Diskussion um die Zeitungszukunft am wenigsten Beachtung geschenkt – zu Unrecht, wie sich zeigen lässt. Kaum ein anderer Wirtschaftszweig wurde in den vergangenen Jahren so hochgerüstet wie die Public-Relations-Branche. Eine Armada von über 243 000 Menschen, die hier beschäftigt sind, stehen inzwischen nur noch rund 100 000 Journalisten gegenüber. Für die PR-Leute prognostiziert das Bureau of Labor Statistics, eine dem Statistischen Bundesamt vergleichbare Behörde. in den nächsten zehn Jahren weitere 18 Prozent Zuwachs, während die Redaktionen in nicht minder atemberaubendem Tempo weiter schrumpfen werden.

Damit beschleunigt sich absehbar ein Trend, den schon vor Jahren die Berliner Kommunikationsforscherin Barbara Baerns mit Sorge beobachtet hat: Die Einfallstore für Öffentlichkeitsarbeit werden immer weiter geöffnet, die Redaktionen verwandeln immer öfter ungeprüft und mit einem einzigen Mausklick Pressemitteilungen von Firmen, Ministerien und sonstigen Interessengruppen in „Journalismus“. Weil das so ist, zweifeln zumindest die klügeren Leserinnen und Leser mehr und mehr an der Glaubwürdigkeit ihrer Medien – und sehen immer weniger ein, dass sie dafür etwas bezahlen sollen. Umgekehrt fragen sich die Kommunikationsverantwortlichen in Unternehmen, in Politik und Verwaltung und bei Non-Profit-Organisationen, ob sie so viel Geld wie bisher für teure Werbung ausgeben sollen, wo sich doch viele Botschaften billiger und glaubwürdiger als PR-Mitteilung im redaktionellen Teil unterbringen lassen. Auch damit entziehen sie den Redaktionen neuerlich Ressourcen. Und wo diese fehlen, kann nicht hinreichend recherchiert werden; der Journalismus verkommt zur Sortierarbeit.

Ob sich die Abwärtsspirale aufhalten lässt? Derzeit beschleunigt sie sich eher, „Los Angeles Times“ und „Chicago Tribune“ werden absehbar nicht die letzten Zeitungen bleiben, die in den USA Insolvenz anmelden müssen. Viele Zeitungshäuser sind so überschuldet, dass ihre Aktien nur noch als „Penny“-Stocks notieren. Die meisten Redaktionen sind heute nur noch halb so groß,wie sie noch vor wenigen Jahren waren. Gewiss, im Vergleich zu deutschen Redaktionen klingt es noch immer beeindruckend, wenn etwa der „San Francisco Chronicle“ derzeit rund 280 Köpfe in der Redaktion zählt. Doch solche Vergleiche sind Milchmädchenrechnungen. Um das Elend ermessen zu können, muss man wissen, dass es vor ein paar Jahren noch doppelt so viele waren. Mit jedem Abgang schrumpft das „institutionelle Gedächtnis“ der Redaktion, geht den Lesern ein Spezialist verloren – und mit jeder Kündigungswelle verschärfen sich die Verteilungskonflikte und leidet das Arbeitsklima.

David Carr, der eingangs zitierte Medienjournalist der „New York Times“, hat soeben auf das Beispiel der Musikindustrie verwiesen. Dort hat sich inzwischen I-Tunes etabliert – die illegalen Raubkopien, die der Branche den Garaus zu machen drohten, sind eingedämmt. Ähnlich könnten sich auch die Zeitungsverlage retten. Sein Chefredakteur, Bill Keller, hat soeben in einer Leser-Fragestunde bestätigt, dass der in Not geratene Verlag ernsthaft darüber nachdenkt, sein Online-Angebot wieder zahlungspflichtig zu machen. Diese Kehrtwendung würde die letzte Kehre von vor zwei Jahren in ihr Gegenteil verkehren, aber solche Serien von Versuch und Irrtum sind ja auch auf dem umkämpften Berliner Zeitungsmarkt nichts Ungewohntes.

Jedenfalls zeichnet sich immer deutlicher ab, dass hochwertiger Journalismus mehr Geld kostet, als die Verlage im Internet auch bei steigenden Nutzerzahler durch Werbeeinkünfte erzielen können. Könnte also sein, dass sich die Leserinnen und Leser in Amerika schon bald daran gewöhnen müssen, dass ihr Leib- und Magenblatt mehr kostet als ein „Latte Macchiato“ bei Starbucks – auch dann, wenn sie es „nur“ online lesen möchten.

Zum Thema veröffentlicht der Autor ein Buch „Kreative Zerstörung. Niedergang und Neuerfindung des Zeitungsjournalismus in den USA“ im Herbst im Verlag UVK Konstanz.

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