Erstveröffentlichung: St. Galler Tagblatt
Enthüllungen, nichts als Enthüllungen: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy legte im Wahlkampf Schminke im Wert von 35’000 Euro auf, schmiert uns jetzt die internationale Presse aufs Baguette. Ein Betrag, so exorbitant höher als üblich, dass die Finanzkommission ihm nur ein Drittel zurückzahlt. Des Staatsmanns Tribut an trübe Zeiten: Verheiratet, den ganzen Tag nichts als Politik, ständig im Kampf um Aufmerksamkeit in den Medien.
Heute ist das anders. Heute erleben wir Frankreichs frisch gewählten Liebhaber unverheiratet, braun gebrannt und sonnenbebrillt, omnipräsent auf Allerwelts-Titelseiten. Unverhüllt hinterfragen Journalisten in und um Frankreich herum alle greifbaren seelischen und körperlichen Regungen: Geschieden? Affäre mit Model? Ein Flirt? Liebe? Verheiratet? Ein Baby?
Ja! Es stimmt. Es ist ein Bub!!! Der französische Präsident ist ein kleiner Bub, der gerne spielt. Mal den Staatschef, mal den Mann – und beides am Liebsten zusammen mit seinen Freunden aus der weiten Medienwelt. Sie amüsieren sich im jordanischen Wüsten-Sandkasten, die Juwelchen im Ring an Klein-Carlas Finger glitzern mit Nicis Goldkettchen in der Sonne über Petra. Die Journaille wirft sich Wort-Bälle zu: «Oui, Baby» (Süddeutsche Zeitung), «Voulez-vous-heiraten? – Ja». (B.Z., Berlin)…
Mehr, mehr – im Medienlager schwillt die Lust, das Niveau steigt ins Unerdenkliche, Wirklichkeit verschwindet, Visionen werden wach. Journalistenkollegen sehen in feuchtwarmen Enthüllungsträumen Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel mit Ex-Österreicher Gouverneur Arnold Schwarzenegger durch Weltklimazonen stapfen. Bundespräsident Pascal Couchepin wähnen sie am 1. August mit Michelle Hunziker ausgelassen über die Rütli-Kuhwiese hüpfen, Medienschaffende aller Länder rupfen Cannabis-Blättchen: Fliegt Nicolas mit ihr nach Indien, oder ohne, mit oder ohne, mit…- überall regiert Narretei.
Die Medienleute fiebern
Viele Medienleute träumen und fiebern noch neuen präsidialen Erektionen entgegen, obgleich medienpolitisch in Frankreich längst Aschermittwoch ist. Von vielen unbemerkt, macht Sarkozy Ernst: Dieser Präsident holt die, die früher allenfalls ans Schlüsselloch gelangten, nicht bloss mitten in sein Schlafzimmer. Er krempelt sie um.
Potenzial für Private
Die Werbung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen will er abschaffen, um Potenzial für die Privatsender freizusetzen – sie gehören seinen Freunden; im Beraterstab tauchen wohl gesonnene Journalisten auf… Das ist sein Baby, das ist Ernst, auf den Weg gebracht durch seine Wahl im Mai 2007. Kritiker vergleichen Sarkozy mit Berlusconi oder mit Putin in Softversion. Kaum einer nimmt sie ernst, alle gucken auf Carla. Sollen im Ernst alle Hüllen fallen? Oui…
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