Der Mord an Jan Kuciak und das slowakische Mediensystem

6. Juni 2023 • Aktuelle Beiträge, MediaDelCom • von

Dieser Beitrag ist Teil der Mediadelcom-Reihe.

Bildquelle: pixabay

Von Bjarne Overkott und Philip Altrock

Die Slowakei ist eines der von Mediadelcom untersuchten Länder, ein postkommunistisches Land und ehemaliger Teil der Tschechoslowakei. Während der vergangenen 20 Jahre machte es eine faszinierende Entwicklung durch, geprägt von Digitalisierung, aber auch Korruption und sogar einem Mord, der die politische Landschaft und Journalist:innen weltweit erschütterte. Die Forscher:innen der MediaDelCom-Studie konnten mehrere kritische Zeitpunkte von größter Bedeutung ausmachen.

Die beiden schockierendsten Ereignisse fanden in den Jahren 2011 und 2018 statt. 2011 sickerten Aufzeichnungen des slowakischen Geheimdienstes durch und lösten die sogenannte Gorilla-Affäre aus. Im Jahr 2018 wurden der Enthüllungsjournalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova ermordet. Beide Fälle sind verbunden durch die Verstrickungen von Politik und Finanzwelt. Der Mord am Investigativreporter Kuciak erschütterte Journalist:innen weltweit.

Gefährliche Ermittlungen

Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnírova waren beide 27 Jahre alt, als ein Attentäter ihnen am 21. Februar 2018 das Leben nahm. Sie wurden erschossen in ihrem eigenen Haus in der Nähe von Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei, gefunden. Das Spezialgebiet des Reporters war die Untersuchung von Verbindungen zwischen der Regierung, korrupten Geschäftsleuten und dem organisierten Verbrechen. Sein Tod war ein deutliches Zeichen für investigative Journalist:innen, wie gefährlich ihre Arbeit ist.

Bald tauchten Spekulationen auf, dass Kuciaks jüngste Ermittlungen die Ursache für den Mord waren. Er hatte gerade Verbindungen zwischen Mitgliedern der italienischen “‘Ndrangheta” und slowakischen Abgeordneten aufgedeckt. Aufgrund der öffentlichen Kritik traten zwei Politiker zurück. Sowohl der Innenminister als auch der sozialdemokratische Premierminister mussten ihr Amt aufgeben. Letzterer war bekannt für seinen harschen Umgang mit Journalist:innen, die ihm gegenüber kritisch eingestellt waren. Im Jahr 2016 wurde er von einer Anti-Korruptionsbehörde mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Laut The Guardian antwortete Fico: “Einige von Ihnen sind dreckige, antislowakische Prostituierte, und ich stehe zu meinen Worten. Ihr informiert nicht, ihr kämpft mit der Regierung”.

Nachdem die Nachricht an die Öffentlichkeit gelangte, brachen die größten Proteste seit der Samtenen Revolution von 1989 aus, die die kommunistische Herrschaft beendet hatte. Die Demonstrant:innen forderten wahrheitsgemäße Ermittlungen und den Rücktritt der Spitzen von Regierung und Polizei. Der slowakische Soziologe Michal Vaecka sagte dem Nachrichtenmagazin “Balkan Insight”, dass diese Proteste in der Slowakei beispiellos seien. “Dieser Fall bedeutete eine Emanzipation der Zivilgesellschaft in der Slowakei, und zwar in einer Form, die in der westlichen Welt üblich sein mag, die wir aber noch nie gesehen haben.”

Nach polizeilichen Ermittlungen wurde der slowakische Geschäftsmann Marian Kocner vor Gericht gestellt und beschuldigt, der mutmaßliche Drahtzieher hinter dem Attentat zu sein. Kuciak hatte Berichten zufolge im Zusammenhang mit seinen Recherchen über die Verbindungen zwischen dem organisierten Verbrechen und Regierungsbeamt:innen Untersuchungen zu dem Millionär angestellt. Während des Prozesses wurde bekannt, dass Kocner ein Telefonat mit Kuciak geführt hatte, in dem er dem Journalisten mit dem Tod drohte und ihn beschatten ließ. Zum Entsetzen der Medien und der Öffentlichkeit wurde der Geschäftsmann 2020 von der Anklage freigesprochen. Im Jahr 2022 wurde er jedoch erneut vor Gericht gestellt.

Das slowakische Mediensystem in den letzten Jahrzehnten

Das Verhältnis der Slowakei zu fairem und unabhängigem Journalismus war noch nie einfach, auch nicht vor dem Mord an Jan Kuciak im Jahr 2018. In den letzten Jahrzehnten gab es zahlreiche Fälle, in denen die Regierung Journalist:innen und Nachrichtenagenturen eingeschüchtert oder sabotiert hat. Ein Beispiel für die Einmischung der Regierung in die Berichterstattung ist die SME (eine slowakische Tageszeitung), die 1995 beim Versuch, ihre Zeitung zu drucken, in Schwierigkeiten geriet. Der Grund dafür war die Regierung unter dem medienkritischen Vladimír Mečiar, die Druck auf die Druckpartner der SME ausübte. Mečiars Führungsstil wurde von Journalist:innen in der Slowakei und in der ganzen Welt oft als autoritär bezeichnet.

Die Spannungen zwischen der Presse und der slowakischen Regierung gehen jedoch weiter und umspannen mehrere Mandatsperioden. Viele Politiker:innen in der Slowakei haben die Presse mit hasserfüllten Anschuldigungen angegriffen. Es gab negative Äußerungen von hoch- und niederrangigen Beamt:innen, wie z. B. die Äußerung “Ihr seid die größten Verbrecher der Welt” von Robert Fico im Jahr 2019, der ein Jahr zuvor zum Zeitpunkt der Ermordung von Jan Kuciak slowakischer Premierminister war.

Außerdem begannen zwischen 2000 und 2011 verschiedene Oligarchen und reiche Geschäftsleute mit Verbindungen zu Regierungsvertretern, die Pressefreiheit in der Slowakei weiter anzugreifen, indem sie zum Beispiel große Anteile an Zeitungsverlagen kauften. Ein Beispiel dafür ist der Verlag “Petit Press”. Er ist Eigentümer der bereits erwähnten Zeitung SME und wurde von der Organisation “Penta” aufgekauft. Das Unternehmen war 2011 in den “Gorilla”-Skandal verwickelt, der die Absprachen zwischen Regierungsbeamt:innen und Finanzgruppen wie Penta ans Licht brachte.

Die slowakischen Journalist:innen sind diesen Angriffen auf ihre Arbeit jedoch nicht völlig hilflos ausgeliefert. Im Fall der SME kündigten viele Journalist:innen bei der Zeitung, nachdem ihr Herausgeber von regierungsnahen Organisationen übernommen worden war. Anstatt für eine nun politisch abhängige Zeitung zu arbeiten, gründeten sie wie der ehemalige Chefredakteur der SME eine Nachrichten-Website namens “Dennik N”, um weiterhin unabhängig berichten zu können.

Doch trotz der komplizierten Geschichte der freien und unabhängigen Presse in der Slowakei scheint sich die Situation tatsächlich zu verbessern. Und der Grund dafür ist Jan Kuciak. Kurz nach Bekanntwerden seiner Ermordung füllten sich die Straßen mit Demonstrierenden, die mehr über die Ermordung des Journalisten erfahren wollten und den Rücktritt des Premierministers forderten. Und tatsächlich, nicht lange nach Beginn der Proteste trat der damalige Staatschef Fico von seinem Amt zurück und machte schließlich den Weg frei für die liberale Zuzana Caputova, die die Zügel in der Politik des Landes übernahm. All dies bedeutet nicht, dass investigativer Journalismus und eine freie Presse in der Slowakei nun sicher seien. Der Einfluss von Finanzgruppen mit Verbindungen zu populistischen Politiker:innen auf große Teile der Medienlandschaft ist nach wie vor beunruhigend. Seit Ficos Rücktritt hat sich dieser Einfluss noch weiter ausgedehnt. Die Journalist:innen sind jedoch vorsichtig optimistisch, dass die Slowakei und ihre freien Medien, wenn auch langsam, Fortschritte machen.

Quellen:

Verseck, K. (2019). Ein Jahr nach Journalistenmord in der Slowakei-
Staat unter Verdacht. Spiegel. https://www.spiegel.de/politik/ausland/slowakei-morde-an-jan-kuciak-und-martina-kusnirova-ein-staat-unter-verdacht-a-1254009.html

(2016). Slovakia’s PM calls journalists ‘dirty anti-Slovak prostitutes’. The Guardian. https://www.theguardian.com/world/2016/nov/23/slovakias-pm-calls-journalists-dirty-anti-slovak-prostitutes

Sirotnikova, M. (2020). Jan Kucial: A Murder That changed Slovakia. Reporting Democracy. https://balkaninsight.com/2020/08/05/jan-kuciak-a-murder-that-changed-slovakia/

(2021). Court cancels tycoon’s acquittal over Slovakia murders. BBC. https://www.bbc.com/news/world-europe-57487864

Lange, P. (Moderator). (2020). Deutschlandfunk. https://www.deutschlandfunk.de/mord-an-jan-kuciak-freispruch-fuer-unternehmer-kocner-fuer-100.html

Harris, C. (2019). Jan Kuciak murder: how has journalist’s slaying changed Slovakia?. Euronews. https://www.euronews.com/2019/02/21/jan-kuciak-murder-how-has-journalist-s-slaying-changed-slovakia

Sirotnikova, M. (2019). Never-Ending Story: The Fight for Media Freedom in Slovakia. Reporting Democracy. https://balkaninsight.com/2019/08/08/never-ending-story-the-fight-for-media-freedom-in-slovakia/

Weitere Informationen zum Mediadelcom-Projekt gibt es hier.

Alle bereits veröffentlichten Beiträge zum Projekt finden Sie hier.

Mehr über die Entwicklungen im bulgarischen Mediensystem finden Sie in der Mediadelcom-Studie.

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