So verschieden sie in ihrem Habitus, ihren Arbeitsweisen und Zielen, professionellen Erwartungen und Träumen auch sein mögen: Werber und Journalisten haben womöglich mehr Gemeinsamkeiten, als ihnen lieb ist und sie sich selbst einzugestehen bereit sind.
Zwei dieser Gemeinsamkeiten sind so offensichtlich, dass es fast schon einer Binse gleichkommt, sie zu erwähnen: Beide üben Kommunikationsberufe aus, die unser aller Verhalten steuern, indem sie unsere Wahrnehmung der Welt, unsere Ängste und unsere Wunschvorstellungen beeinflussen. Veröffentlichte Meinung – sei es in Form von Journalismus, sei es in Form von Public Relations oder Werbung, sei es in Form von Kommentar-Einträgen in den sozialen Medien, die womöglich von „social bots“, also von Robotern stammen – wird ja vor allem deshalb publiziert, weil bestimmte Akteure die öffentliche Meinung und damit unser Konsum-, Wahl- oder sonstiges Entscheidungsverhalten in eine bestimmte Richtung lenken möchten.
Die zweite Gemeinsamkeit: Weil das so ist, stehen beide Berufsgruppen am Pranger und unter Manipulationsverdacht. Sowohl die Werber als auch die Journalisten haben Glaubwürdigkeitsprobleme und rangieren in Rankings, die Ansehen und Vertrauenswürdigkeit messen, jeweils am Ende der Skala. Zwar fehlen meines Wissens Vergleichsdaten für die Schweiz. Im benachbarten Deutschland war und verblieben die Werte jedoch über Jahrzehnte hinweg im Keller, wie entsprechende Meinungsumfragen immer wieder belegen. Die aktuellen Zahlen: Dem GfK-Verein zufolge genießen in Deutschland Feuerwehrleute, Sanitäter und Krankenpfleger höchstes Vertrauen (97, 96 und 95 Prozent); Journalisten (37 Prozent) rangieren dagegen im unteren Drittel des Rankings zwischen Bankangestellten und Profifußballern (jeweils 39 Prozent) und Werbefachleuten (27 Prozent). In den USA, so Gallup, genießen im Blick auf „Ehrlichkeit“ und „Ethik“ Krankenschwestern, Apotheker und Ärzte hohes und höchstes Ansehen (85, 68 und 67 Prozent der Befragten), während Journalisten nur ganz knapp vor Bankern und Bauunternehmern rangieren (27, 25 und 25 Prozent). Werber (11 Prozent) sind noch weiter abgeschlagen und bilden zusammen mit Versicherungsagenten, Autoverkäufern und Kongressabgeordneten das Schlusslicht.
Journalisten und Werber sind zudem ökonomisch sehr eng miteinander verbandelt, denn ohne Werbeerlöse läuft im Journalismus seit Erfindung der Penny Press wenig. Schon einer der ersten deutschen Medienwissenschaftler, der Leipziger Ökonom Karl Bücher, beobachtete, Zeitungen hätten den „Charakter einer Unternehmung, welche Anzeigenraum als Ware produziert, die nur durch den redaktionellen Raum absetzbar wird“. Der Geschäftserfolg der Medien gründete seither darauf, mit Journalismus oder Unterhaltung Aufmerksamkeit zu generieren, und letztere, sprich: die „eyeballs“ des Publikums, in Form von Tausender-Kontakten an die Werbebranche zu verkaufen.
Dieses traditionelle, symbiotische und über ein Jahrhundert hinweg äußerst einträgliche Geschäftsmodell stottert inzwischen. Zum einen können die Werbetreibenden ihre Zielgruppen über Google und Facebook effizienter erreichen als über herkömmliche Medien. Zum anderen sind beide Berufsgruppen, Werber wie Journalisten, sogenannte „Intermediäre“. In Zeiten der digitalen Direktkommunikation müssen sie es aushalten, dass es Akteure gibt, die sie für überflüssig halten. Jedenfalls haben die Journalisten im Nachrichtengeschäft ihre Schleusenwärterfunktion eingebüßt, und weltweit attackiert die erstarkende politische Rechte die Mainstream-Medien als „Lügenpresse“. Die Werber werden dagegen eher von links mit der Forderung nach Werbeeinschränkungen malträtiert.
Sollten sich Adblocker weiter durchsetzen, so bedrohen diese sowohl die wirtschaftliche Existenz von Werbern als auch von Journalisten, deren Arbeit weiterhin zum Löwenanteil aus Werbeerlösen finanziert wird. Für beide Berufsgruppen wird somit der Wind rauer, der ihnen entgegenweht, wobei die Probleme des Journalismus bisher weit mehr öffentliche Aufmerksamkeit erhalten haben als die der Werbebranche. Mit seinem neuen Buch „Werbung – nein danke“ versucht der Wirtschaftswissenschaftler Christian Kreiß soeben, dies zu ändern.
Er bläst zum Totalangriff, der an Vance Packards Streitschrift „Geheime Verführer“ von 1957 anknüpft. Wer sich im Lager der Werbetreibenden für kommende Auseinandersetzungen wappnen möchte, findet hier immerhin eine gut aufbereitete Sammlung von Material und Argumenten. Kreiß‘ Generalthese, dass „wir ohne Werbung viel besser leben könnten“, muss man sich deswegen nicht zu eigen machen. Und auch das Pauschalurteil, Außenwerbung sei Umweltverschmutzung, widerlegt eigentlich bereits die Titel-Illustration: Wer genug Phantasie aufbringt, um sich die dort gezeigte Großstadt-Silhouette werbefrei vorzustellen, möchte vermutlich die bunte, schrille Bilderwelt nicht gegen sozialistisches Grau-in-grau tauschen.
Erstveröffentlichung: Werbewoche Nr. 1/2017
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Buchcover: Europa-Verlag
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