Journalismus muss re-politisiert werden

16. Mai 2022 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Das Vertrauen in Medienberichte über den (Ukraine-)Krieg könnte größer sein. Der Journalismus muss deswegen klarer erklären, wie er arbeitet.

Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine macht das Politische in der Gesellschaft wieder bewusst und verdeutlicht: Journalismus muss dies stärker abbilden, statt sich in vermeintlich ausgewogene Distanz zurückzuziehen.

Als „Teil der kritischen Infrastruktur der Demokratie“ müssten Journalistinnen und Journalisten die Menschen in ihrer Betroffenheit ansprechen, Sachverhalte und Geschehnisse einordnen, Konfliktlinien sowie Handlungs- oder Lösungswege zeigen, erklärt der Nürnberger Kommunikationswissenschaftler Volker Banholzer in einem jetzt veröffentlichten Fachaufsatz. Und sie sollten klarlegen, welchen Werten sie folgen und wo sie stehen. Seine Argumentation stützt er auf die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe und den amerikanischen Philosophen John Dewey und beschreibt sie als unerlässlich, um aktuelle Krisen zu bewältigen.

Wie relevant ein gestärktes demokratisches Bewusstsein ist, illustriert eine Studie des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) zu Verschwörungserzählungen beziehungsweise zur Ausbreitung russischer Desinformations-Propaganda im Ukrainekrieg: Zwei von zehn befragten Personen glauben ganz oder teilweise, der Westen habe sich aus eigenen Interessen gegen Russland und Putin verschworen oder die Ukraine baue gemeinsam mit den USA in geheimen Laboren Biowaffen. Bei der in der ersten Aprilhälfte durchgeführten repräsentativen Onlineerhebung unter rund zweitausend Personen fiel auf: die Verteilung nach Wahlpräferenz ergab die mit 58 Prozent höchste (zumindest teilweise) Zustimmung unter AfD-Anhängern. Mehr als die Hälfte der Menschen mit hoher Protestbereitschaft gegen die Coronaschutzmaßnahmen vermutete (eher) eine Verschwörung hinter dem Krieg gegen die Ukraine.

Nur 65 Prozent vertrauen Berichten über den Ukrainekrieg

Wenngleich auch bei solider Erhebung Vorsicht geboten ist, aus parallelen Beobachtungen zu schließen, dass die eine ursächlich für die andere ist: Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die große Mehrheit der Gesellschaft, 80 Prozent, vernünftigen Argumenten zugänglich sind, allerdings nur 65 Prozent Medienberichten über den Krieg in der Ukraine trauen. Darin steckt ein Appell an Journalismus, noch klarer zu erklären, wie er arbeitet.

 

Literatur

Volker M. Banholzer: Repolitisierung des Journalismus – Rollen und Aufgaben in einer agonalen Demokratie. In Medien & Kommunikation 1-2/2022. DOI: 10.5771/1615-634X-2022-1-2-97. https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/1615-634X-2022-1-2-97.pdf

Pia Lamberty, Maheba Goedeke Tort, Corinne Heuer (2022): Von der Krise zum Krieg: Verschwörungserzählungen über den Angriffskrieg gegen die Ukraine in der Gesellschaft. https://cemas.io/publikationen/von-der-krise-zum-krieg-verschwoerungserzaehlungen-ueber-den-angriffskrieg-gegen-die-ukraine-in-der-gesellschaft/

 

Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 16.05.2022

Beitragsbild: Matt C/unsplash.com

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