Wie französische Zeitungen auf Podcasts setzen

10. Juni 2021 • Digitales, Internationales, Redaktion & Ökonomie • von

Der Erfolg von Podcasts ist auch den französischen Presseverlagen nicht entgangen, die seit drei Jahren ihre Aktivitäten im Audio-Bereich vorantreiben. Fast alle französischen Titel sind vertreten. Aber wie kann man von diesem Format wirklich profitieren? Hier sind einige Stimmen von Medienvertretern, die sich auf das Geschäftsfeld Podcast eingelassen haben.

Nur drei Jahre nach den ersten Podcast-Versuchen französischer Verlage (wie Tech off von Echos oder Chiffon von Grazia) gab es im ersten Quartal 2021 bereits mehr als 200 Podcasts, die von Verlagen ins Leben gerufen wurden.

Allerdings sind nicht alle Mediengruppen gleichermaßen engagiert. Einige haben sich entschieden, massiv in das Format zu investieren, wie Prisma Media, Le Figaro oder Ouest France, während andere noch in der Testphase sind. Die überwiegende Mehrheit der Presse-Podcasts umfasst, wie die meisten der Podcasts, die aus  Medienhäusern kommen, 8 bis maximal 20 Episoden. Es gibt jedoch ein paar Ausnahmen, wie z.B. L’envers du récit von La Croix oder Minute Papillon! von 20 Minutes, die beide seit mehr als zwei Jahren laufen.

Was Podcasts beitragen können

Ebenso wie die früheren sogenannten „neuen“ Formate wie der Blog, Videos, Lives oder die  Datenvisualisierung, ist der Podcast Teil der Content-Produktion der Medien geworden, die  traditionell eher auf das geschriebene Wort spezialisiert sind. Damit kommt eine Erzählform hinzu und es entsteht ein zusätzlicher Schreib- und Produktionsaufwand oder zumindest eine Adaption, wenn es sich um geschriebene Inhalte handelt, die dann in eine Audioversion umgewandelt werden (wie zum Beispiel bei Flash éco von Capital).

Was also bringt der Podcast für Presseverlage, denen es ohnehin nicht an Inhalten und Formaten mangelt? Der offensichtlichste Grund ist das Publikum. Der Podcast ist ein Mittel der Wahl, damit Leser ihr jeweiliges (Print-)Medium (wieder)  entdecken und ihr Vertrauen (zurück)gewonnen werden kann. Pierre Chausse, stellvertretender Redaktionsleiter von Le Parisien-Aujourd’hui en France, sagte gegenüber dem französischen Nachrichtenmagazin L‘Obs:

„Laut einer Studie ist die Wahrscheinlichkeit dreimal so hoch, dass diejenigen, die [den Podcast] ‚Code Source‘ hören, digitale Abonnenten bleiben. Einige von ihnen haben uns gesagt, dass sie in Zeiten, als sie sie keine Leser und sogar ein schlechtes Bild der Zeitung hatten, durch die Podcasts die Qualität der redaktionellen Arbeit erkannt haben.

Durch das Angebot neuer, origineller und qualitativ hochwertiger Inhalte und durch die Erneuerung dieses Vertrauensverhältnisses wird der Podcast zu einem Schaufenster für das komplette Angebot der Zeitungsverlage. Er führt oftmals zum Herunterladen der App oder sogar zum Abschluss eines Abos.

Podcasts werden auch von der Bevölkerungsgruppe geschätzt, die am meisten von den Medien umworben wird: der jüngeren Generation zwischen 20 und 35 Jahren. In einer Studie, die auf dem Pariser Podcast-Festival 2019 vorgestellt wurde, haben die französische Werbeagentur Havas und der Hohe Rat für audiovisuelle Medien (CSA) ein Porträt der Podcast-Hörer erstellt: 58 % sind unter 35 Jahre alt, sie sind urbaner als der durchschnittliche Franzose, es handelt sich dabei hauptsächlich um Studierende oder Führungskräfte in Unternehmen. Dabei ist zu beachten, dass sie bereits an den Konsum von Medien sowie anderen kulturellen Produkten (Radio, Bücher, Serien etc.) gewöhnt sind und sich durch ihre Hyperkonnektivität auszeichnen. Ein Glücksfall für Medienkonzerne, könnte man meinen.

Zudem reagieren Podcasts auf die aktuellen Medienkonsumgewohnheiten, losgelöst von einem Programmplan. Bei einem Podcast kann man sich aussuchen, welche Episode wann und wo gehört wird, ohne sich an ein durchstrukturiertes Papier- oder Digitalformat halten zu müssen.

Das merken auch die Presseverlage. Die Zeitung Ouest France zum Beispiel hat festgestellt, dass ihre Podcasts, vor allem die zum Thema Sport, ihr ein jüngeres Publikum bringen. Dies ist auch bei Prisma Media der Fall, die sagen, dass ihre „Podcast-Nutzer teilweise komplementär zu unserem klassischen Publikum sind”.

Für Prisma Media bietet der Podcast auch den Vorteil, dass er das Publikum in Momenten erreicht, die Presseverlage bisher nicht erreichen konnten. „Audio ermöglicht den Konsum zu Zeiten, in denen sich unser Publikum nicht wirklich unseren anderen Inhalten widmen kann – zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit oder bei der Hausarbeit”, sagt Gwendoline Michaelis, Executive Director der Premium Division und Chief Audio Officer bei Prisma Media.

Auch eine Frage der Ressourcen

Der Einsatz von Podcasts klingt also vielversprechend. Doch er wirft auch die Frage nach den Ressourcen auf: Wer kümmert sich um das Schreiben und die Produktion? Welche Ressourcen sind verfügbar? Und wie viel Zeit muss man je nach Häufigkeit der Veröffentlichung aufbringen?

Auch wenn die Mehrheit der französischen Presseverlage bereits 2019 die ersten Podcasts ins Leben gerufen hat, sehen ihn einige noch immer als eine Art Test an – weshalb sie nicht gerade intensiv in den Audio-Bereich investiert haben.

Edouard Reis Carona, stellvertretender Chefredakteur und verantwortlich für Digitales und Innovation bei Ouest France, erzählte uns in einem Interview Details zur internen Organisation. Für die Arbeit rund um die Podcasts hat Ouest France drei weitere Personen beschäftigt, darunter einen Produktionsleiter und einen Audiojournalisten. Darüber hinaus können die 500 Journalisten der Mediengruppe Inhalte vorschlagen und zu der Erstellung der Podcasts beitragen, immer unterstützt durch den Audiojournalisten. Der Produktionsverantwortliche ist insbesondere für den Schnitt der Episoden, die Musik und die Ausstrahlung zuständig. Gemeinsam arbeiten sie in einem Studio, das in der Hauptredaktion in Rennes gebaut wurde. Die Lokalredakteure sind zudem sind mit Mikrofonen für ihre Smartphones ausgestattet. Diese Inhouse-Struktur erlaube es, nicht von der Redaktion getrennt zu sein, so Edouard Reis Carona.

Auch innerhalb der Prisma Media Gruppe wird die gesamte Podcast-Produktion in-house durchgeführt. Dort arbeiten zehn Personen im Audio-Team, davon 2,5 in Vollzeit.

Für Christophe Israel, stellvertretender Redaktionsleiter der Tageszeitung Libération, ist Podcasting „ein Beruf, den man lernen kann“, wie er während einer Diskussionsrunde beim Pariser Podcast-Festival 2019 erklärte. Eine Beobachtung, die von seinen Gesprächspartnern geteilt wurde. Alexis Delcambre, stellvertretender Redaktionsleiter für digitale Transformation bei Le Monde erzählte, dass sein Verlag zwar über Journalisten mit Vorerfahrung im Radiobereich verfüge, sich aber dennoch Spezialisten wie den Journalisten Thomas Baumgartner ins Boot geholt habe. Die Gruppe Les Echos-Le Parisien erwarb eine Beteiligung an der Podcast-Produktionsgesellschaft Binge Audio, die sie zu Beginn unterstützte, insbesondere beim Konzept, der Stimmarbeit und dem Casting der Produzenten unterstützte.

Für den neuesten Podcast der Zeitung L’Équipe, L’enfer du banc, werden, so heißt es einem Artikel von Mind Media vom März 2021, die Aussagen von einem Journalisten aus der Redaktion eingeholt und die Aufnahme sowie der Schnitt in-house gemacht, während die Produktion an einen Experten ausgelagert wird.

Einige Medienkonzerne gehen in ihrer Strategie und Organisation noch weiter, indem sie ganz an Fremdproduzenten outsourcen. Zusätzlich zu den rund dreißig von Ouest France produzierten Podcasts hat die Zeitung beschlossen, ihr Angebot mit Produktionen von acht unabhängigen Partnerproduzenten zu ergänzen. Ein Beispiel ist der Podcast Pleine lucarne, der in Zusammenarbeit mit dem lokalen Fernsehsender TVR produziert wird. Und um ihre Schlagkraft zu verstärken, hat Ouest France sich mit anderen Medienkonzernen zusammengetan und 2019 die Plattform Saooti erworben, auf der sie ihre Podcasts bereit stellen mit dem Ziel, eine größere Unabhängigkeit von den Streaming-Giganten zu erhalten.

Ein Geschäftsmodell in der Testphase

Während er über die Anfänge des Podcasting bei Ouest France spricht, erklärt Edouard Reis Carona, dass sie nach dem Prinzip „Learning by doing“ vorgegangen sind, um zu sehen, ob sie mit dem Medium eine neue Zielgruppe ansprechen könnten und ob dieser Vertriebsweg letztlich seinen Markt finden würde. In einem ersten Schritt wurde das erreichte Publikum und die Zeit, die es mit dem Hören der Podcasts verbrachte, gemessen. Mithilfe dieser Beobachtungen konnte Ouest France sein Pocdast-Projekt schrittweise strukturieren und festigen.

Die “Podcast-Wand” (Le mur des podcasts) des Regionalverlags Ouest France. Bildquelle: Ouest France

Edouard Reis Carona ist sich auch bewusst, dass „ein Podcast weniger kostet als Video“ und dass diese kleine Investition einen „redaktionellen Mehrwert“ schafft und nicht nur eine neue Einnahmequelle. Mithilfe der Werbeagentur 366 hat Ouest-France auch schnell Werbekunden für einige seiner Podcasts gefunden. Bei ihrem Podcast über die Vendée Globe Regatta wurden sie beispielsweise vom Departément-Rat (Conseil départemental) unterstützt.  Auch wenn der stellvertretende Chefredakteur weiß, dass „der Markt noch nicht ausgereift ist und wir noch beweisen müssen, dass sich diese Werbeinvestitionen lohnen”, stellt er fest, dass immer mehr Anzeigenkunden Interesse an diesem Format zeigen.

Was die Audio-Sparte von Prisma Media betrifft, berichtet Gwendoline Michaelis von einem „sehr guten“ Geschäftsjahr 2020: „Trotz des atypischen Umfelds hat sich der Umsatz mit Werbung und produktionsbezogenen Einnahmen versiebenfacht […].“

L’Obs berichtete im Februar 2021 über das Podcast-Geschäftsmodells bei Le Monde. Sowohl die Plattformfinanzierung (für ihre ersten beiden Podcast-Produktionen hatte Spotify die Rechte erworben) als auch traditionelle Werbung erwiesen sich als erfolgreich. Laut Alexis Delcambre erlaubt die Tragfähigkeit dieses Modells nun, ein eigenes Team von sechs Redakteuren zu beschäftigen.

Die Zeitungen waren schnell dabei, das neue Content-Format in ihre bestehenden Abo-Angebote zu integrieren. Doch einige Fragen liegen dabei auf der Hand: Sollen Podcasts wirklich in ein bestehendes Angebot aufgenommen werden? Oder sollte ein eigenes Podcast-Angebot erstellt werden? Sollten alle Podcasts im Abo enthalten sein oder sollten einige kostenlos zugänglich sein? Wie erklärt man diesen eingeschränkten Zugang einem Publikum, das an freies Hören gewöhnt ist?

Einen neuen Weg schlägt die Sportzeitung L’Équipe ein: Ihr neuester Podcast, L’enfer du banc, ist den 300.000 Online-Abonnenten vorbehalten, während die anderen Podcasts alle frei verfügbar sind. Redaktionsleiter Jérôme Cazadieu erklärte gegenüber Mind Media die Strategie:

„Das Ziel ist es, Loyalität aufzubauen und neue Abonnenten zu gewinnen, und Podcasts sind eines der Formate, um dies zu erreichen. In Zukunft sollen die ‚Talk‘-Podcasts kostenlos bleiben, die anderen Podcasts sollen aber nur für Abonnenten zugänglich sein.“

Für Edouard Reis Carona von Ouest France ist es immer noch „einfacher“, Podcasts innerhalb eines Abos zu verkaufen, das Zugang zu vielen Inhalten bietet. Die Idee, ein Abo zu schaffen, das sich ausschließlich auf Podcasts bezieht, scheint für den regionalen Presseverlag nicht relevant zu sein, zum einen wegen der bereits etablierten Nutzung, aber auch wegen der ursprünglichen Aufgabe von  Podcasts, die oft als das „Piratenradio des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet werden.

Generell scheint sich in Frankreich ein tragfähiges Podcast-Geschäftsmodell für Presseverlage abzuzeichnen. Und in diesem Prozess der Strukturierung und Monetarisierung tragen sie implizit zur Professionalisierung von Podcasts bei. Um aber wirklich über die Nachhaltigkeit des Modells sprechen zu können, muss der nächste Schritt die Einbindung von Podcasts in die Gesamtstrategie sein, wobei sich die Frage stellt: gekoppelte Werbeeinnahmen oder gekoppelte Abonnements? Auch wenn es kein Allgemeinrezept gibt, werden Podcasts erst dann ihren festen Platz in einem stabilen Geschäftsmodell finden, wenn sie auf Augenhöhe mit anderen Content-Formaten betrachtet werden.

 

Dieser Beitrag wurde zuerst auf der französischen EJO-Seite veröffentlicht. Übersetzt aus dem Französischen von Tina Bettels-Schwabbauer. 

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