Medienkritik als Feierabendveranstaltung

17. Oktober 2014 • Medienpolitik, Qualität & Ethik • von

Welches Potential steckt in den medienkritischen Organisationen der Schweiz? Während renommierte Schweizer Medienjournalisten wie Rainer Stadler von der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), Christof Moser von den AZ Medien oder der ehemalige Presserats-Präsident Peter Studer regelmäßig in den auflagestärksten Zeitungen des Landes über Missstände rund um das Mediensystem berichten, wären einige kleine medienkritische Organisationen froh, ihnen käme nur ein Bruchteil dieser Aufmerksamkeit zu.

Wie eine kürzlich veröffentlichte Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) über Strukturen der Medienkritik in der Schweiz zeigt, wird die Arbeit von Vereinen der Medienkritik, beispielsweise jene der Aktion Medienfreiheit, der Stiftung Wahrheit in den Medien oder auch des Vereins Medienkritik Schweiz, kaum wahrgenommen.

Im ganzen letzten Jahr sei die öffentliche Resonanz ihrer Tätigkeiten gleich Null gewesen. Philip Kübler, Präsident von Medienkritik Schweiz und Medienjurist sowie Aktion Medienfreiheit-Präsident Filippo Leutenegger begeben sich auf die Suche nach Gründen.

Bevölkerung interessiert sich nicht für Medienpolitik

„Sie haben Recht, bis jetzt konnten wir tatsächlich noch keine große Wirkung erzielen“, gibt sich der ehemalige Presserat Philip Kübler mit den Resultaten der ZHAW-Studie konfrontiert nachdenklich. Als mögliche Ursachen nennt er das oft ehrenamtliche Engagement der Vereinsmitglieder: „Ein solcher Verein ist natürlich eine Feierabendveranstaltung. Wir haben nicht die Zeit, eine Plattform professionell zu betreiben“. Ein Argument, dass man in den Gesprächen immer wieder hört. Der Zürcher Stadtrat Leutenegger verweist auf das grundsätzlich nicht vorhandene Interesse der Bevölkerungen an medienpolitischen Themen: „Wir haben damals alles probiert: Club, Talk-Sendungen – das Zuschauerinteresse blieb unterdurchschnittlich“. Kübler pflichtet bei: „Was wir machen ist halt nicht super sexy. Oft wird auf einer Metaebene berichtet, was von der breiten Masse wohl niemanden interessiert.“

Entsprechend werden die Angebote der verschiedenen Vereine dann auch nur von Fachpublika rezipiert: „Wir wissen, dass wir gelesen werden. Zurzeit zwar nur von der Medienbranche selbst, aber das Ziel ist es schon, vermehrt Mediennutzer und Wirtschaftsvertreter anzusprechen“, sagt Kübler. Leutenegger hingegen hält nichts von solchen Versuchen. Politische Weichenstellungen im Parlament seien einiges wirksamer als Medienkritik für die breite Masse. Dass es einer solchen Kritik grundsätzlich bedarf, darüber sind sich beide einig. Angesichts der lediglich 40 bis 50 User pro Tag, die sich auf der Plattform medienkritik-schweiz.ch tummeln, hält sich die Wirkung ihres Engagements jedoch in Grenzen. Kübler gibt jedoch zu bedenken: „Ich messe unsere Arbeit nicht ausschließlich an der Breitenwirkung, sondern wir möchten auch qualitative Resonanz haben“. Diese erhalte er von Kollegen regelmäßig. Zudem gebe es täglich dutzende von Vorträgen und Artikeln, die nur einem kleinen Kreis zugängig seien. Da frage dann auch niemand, was das bringt.

Wenn sich viele kleine Organisationen um Aufmerksamkeit zanken, kommt oftmals der Fusionsgedanke auf. Vielleicht hätte ja ein einziger großer Akteur mehr Einfluss auf das System? „Jeder Verein hat eine eigene spezifische Sicht, deshalb wird es kaum einen großen Player geben“, winkt Leutenegger ab. Sowieso seien die Medien selbst der große Player. Auch Kübler hält nichts von einer solchen Idee: „Wir brauchen viel unterschiedliche, politisch verschiedene Medienkritik und nicht einen großen Player.“

Neues Konzept für Medienkritik Schweiz

Während Leutenegger künftige Ansätze weniger auf Ebene medienkritischer Vereine sieht, sondern im verstärkten Wettbewerb und einer ausgeprägten Medienvielfalt, glaubt Kübler durchaus an das Vereinsmodell und hat auch schon einige Ideen, wie er sein Angebot auch für ein breiteres Publikum interessant gestalten könnte.

Erstens wolle seine Vereinsplattform vermehrt die Rolle des Aggregators einnehmen: „Wir könnten Beiträge von anderen Akteuren sammeln und zweitverwerten“. So entstünde im Laufe der Zeit eine Art Nachschlagewerk, in dem man sich über Medienthemen informieren könne. „Diese Rolle käme unserem Selbstverständnis, verschiedenen medienkritischen Akteuren unter demselben Dach eine Plattform zu bieten, auch publizistisch sehr nahe“. Weiter wolle man vermehrt öffentliche Anlässe organisieren oder selbst an Podiumsdiskussionen mitwirken. Ebenfalls denkt Kübler an eine Plattform in der Art eines Sorgentelefons nach, auf der kritische Mediennutzer ihre Beschwerden platzieren könnten. „Genauso wie User auf Facebook über die neusten Handys diskutieren, könnte man auf unserer Plattform über die Qualität von Sonntagszeitungen diskutieren“, sagt Kübler und kündigt sogleich eine neue Homepage an, die noch in diesem Jahr aufgeschaltet werden soll.

Fazit: Im Gegensatz zu Filippo Leutenegger glaubt Philipp Kübler, dass auch kleinere medienkritische Akteure für ein breites Publikum interessant sein könnten. Er hat sogar schon konkrete Ideen, wie man diese breite Masse künftig noch besser abholen könnte. So ist der vorgeschlagenen „Aggregator-Plattform“, auf der Beiträge von diversen Akteuren in Form eines Nachschlagewerks aufbereitet werden, durchaus Potenzial einzuräumen. Auf eher wenig Interesse dürfte hingegen eine Beschwerde- und Diskussionsplattform zur Medienqualität stoßen. Der Facebook-Vergleich Küblers hinkt: Wenn die breite Masse nicht einmal auf Facebook über Medienqualität diskutiert, dann wird sie es schon gar nicht auf einem kleinen Medienkritik-Portal tun.

Am Ende darf man gespannt sein, ob es Kübler tatsächlich gelingt, Medienkritik auch massenwirksam zu betreiben. Falls nicht, dann hätten seine Vereinskollegen und er wenigstens ihren Spaß an der Arbeit gehabt, meint Kübler, und fügt zwinkernd hinzu: „Unsere Wirkung ist zwar nicht groß, aber wenn wir nicht da wären, wäre sie noch kleiner.“

Bildquelle: anuraj & Filip Dingerkus / Pixabay.com

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