Heißer Herbst für die Medienfreiheit in Europa

28. September 2023 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Medienpolitik • von

Die zunehmende Einschränkung der Pressefreiheit in Europa erzeuge eine „verzweifelte Lage“, warnt EU-Vizepräsidentin Vera Jourová. Das geplante EU-Medienfreiheitsgesetz könnte die Gefahr bannen und eine kleine Revolution im europäischen Medienwesen auslösen. Aber dafür muss das Parlament im Kulturausschuss grünes Licht geben und bald die Verhandlungen mit Rat und Kommission aufnehmen – bevor das Projekt im anstehenden Wahlkampf untergeht.

Creative Commons © European Union 2014 – European Parliament

Sofia Mandilara mag ihren Beruf eigentlich sehr. Als Reporterin bei der griechischen Nachrichtenagentur AMNA ist sie bei wichtigen Ereignissen „oft ganz vorne mit dabei“, erzählt sie. „Über uns erfahren die Menschen, was in unserem Land vorgeht“.

Doch das geschieht nur noch sehr einseitig. Denn die AMNA gehört dem griechischen Staat und untersteht dem Amt des konservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis. Kritik an seiner Regierung ist dort unerwünscht. Wer dennoch darüber berichtet, wird zensiert, berichtet die 38-jährige Journalistin, die nun begonnen hat, sich dagegen zu wehren. Zuletzt wurden ihr sogar die Zitate von zwei Richtern des obersten Gerichtshofes gestrichen, die sich kritisch gegen einen Gesetzentwurf der Regierung zur Cybersicherheit aussprachen. Um solchen Ärger mit den Vorgesetzten zu vermeiden, betreiben Mandilara und ihre Kollegen „ganz oft Selbstzensur,“ klagt sie – und das mit drastischen Folgen. Schließlich beziehen die Medien des Landes von ihrem Unternehmen den ganz überwiegenden Teil der Nachrichten. In der Folge erfuhren die meisten Bürger sogar über den „griechischen Watergate-Skandal“ der Lauschangriffe des Geheimdienstes auf Journalisten monatelang kein Wort, obwohl im Ausland längst darüber berichtet wurde.

Ganz ähnlich geht es bei Italiens staatlichem Fernseh- und Rundfunksender RAI zu. Der bestimmt mit seinen mehr als zehntausend Mitarbeitern ganz wesentlich die öffentliche Meinung. Aber das folgt jetzt den Vorgaben der rechtspopulistischen Regierung Giorgia Meloni. Diese besetzte gleich nach der Amtsübernahme alle Führungspositionen mit ihren Gefolgsleuten, um das Programm auf ihre Linie zu bringen. Das haben die beiden vorherigen Regierungen zwar auch so gehalten, aber keine so radikal wie Melonis Postfaschisten. Viele prominente Journalisten gaben daraufhin ihre Jobs bei der RAI auf. Sogar die Sendung des populären Mafia-Enthüllers Roberto Saviano wurde abgesetzt, nachdem dieser sich mit Meloni angelegt hatte. Seitdem nehmen unkritische Berichte über die Regierung Meloni an die 70 Prozent aller politischen Nachrichten der RAI-Sender ein, ermittelte das Medienforschungsinstitut Osservatorio die Pavia. „Hier braucht es jetzt keine Zensur mehr“, beschreibt Daniele Machela, der Sekretär der Sendergewerkschaft USIGRAI, die neue Lage. „Das ganze System ist geknebelt, kritische Nachrichten kommen einfach nicht mehr durch“.

Einen radikalen Regimewechsel erlitten auch die Journalisten beim Journal du Dimanche (JDD),  Frankreichs führender Sonntagszeitung. Dort übernahm im Frühjahr der Milliardär Vincent Bolloré die Regie, nachdem dessen Medienkonzern Vivendi die Erlaubnis erhielt, den Lagardère-Verlag und dessen Medien zu kaufen, darunter auch das JDD. Bolloré bestreitet öffentlich jegliches politisches Interesse. Doch wie zuvor schon nach der Übernahme des Fernsehsenders CNews im Jahr 2016 und des Magazins Paris Match im vergangenen Jahr folgt der Übernahme auch beim JDD eine scharfe Wende der redaktionellen Ausrichtung nach rechts außen. Der bisherige Chefredakteur räumte seinen Posten, und an seine Stelle trat der Rechtsextremist Geoffrey Lejeune. Daraufhin trat die gesamte Belegschaft zunächst geschlossen in den Streik. Lejeune sei in vorheriger Position beim Magazin Valeures actuelles für „abscheuliche“ und „rassistische“ Artikel mitverantwortlich gewesen, erklärten die Streikenden. Seine Einsetzung vertreibe die Leser und „gefährdet die Zeitung“.  Doch Bolloré setzte die Kehrtwende erneut mittels hohem Geldeinsatz durch. Dafür bot er den Widerständlern so großzügige Abfindungen, dass sie aufgaben. 

Staatsbeamte, die Zensur verfügen, Parteifunktionäre, die öffentliche Sendeanstalten für Propaganda missbrauchen, Milliardäre, die sich Medien kaufen, um damit ihre politischen Interessen zu propagieren – so verbreitet sich über ganz Europa, was lange nur aus dem Ungarn des Autokraten Viktor Orban und dem von Nationalpopulisten regierten Polen bekannt war: Die Mächtigen und Superreichen unterwerfen die Medien ihren Interessen und beschränken die Pressfreiheit auf breiter Front. Den schleichenden Niedergang dokumentieren die Sozialwissenschaftler des Zentrums für Medienfreiheit der Europäischen Universität Florenz bereits seit zehn Jahren. Mittlerweile gebe es „ein alarmierendes Ausmaß von Risiken für den Medienpluralismus in allen europäischen Ländern“, konstatierten die Forscher bei Veröffentlichung ihres jüngsten Jahresberichts Ende Juni (siehe Grafik).

Das bringe Europa in eine  „verzweifelte Lage“, sagt Vera Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission, im Gespräch mit Investigate Europe. Die Kommissarin, zuständig für die Einhaltung rechtsstaatlicher Normen, ist Tschechin und hat noch persönlich erfahren, wie es ohne Pressefreiheit zugeht. „Ich habe im Kommunismus gelebt, das war unkontrollierte Macht – und unanfechtbare Macht. So etwas darf in keinem Mitgliedsland der EU passieren“, mahnt sie. Medien seien „diejenigen, die Politiker unter Kontrolle halten. Wenn wir wollen, dass die Medien ihre wichtige Rolle in der Demokratie erfüllen, müssen wir ein europäisches Sicherheitsnetz einführen.“ Darum treibt sie ein Projekt voran, wie es vor ihr noch kein EU-Politiker gewagt hat: Ein Gesetz „zum Schutz des Pluralismus und der Unabhängigkeit der Medien“, das für alle Mitgliedsstaaten der EU Mindeststandards zur Wahrung de Pressefreiheit rechtsverbindlich vorschreiben soll.

Den nötigen Gesetzentwurf brachten sie und ihre Kollegen bereits im September 2022 ein.  Dieser sieht unter anderem vor, dass

  • öffentlich-rechtliche Medien „unparteiisch“ berichten müssen und deren Führungspositionen in einem „transparenten, offenen und nicht diskriminierenden Verfahren bestimmt“ und nur in rechtlich klar definierten „Ausnahmefällen vor Ablauf ihrer Amtszeit“ entlassen werden dürfen;
  • die Zuweisung staatlicher Gelder an Medien für Werbe- und andere Zwecke „nach transparenten, objektiven, verhältnismäßigen und nicht diskriminierenden Kriterien“ unter allen Anbietern erfolgen muss, unabhängig von der politischen Ausrichtung;
  • Regierungen und Medienunternehmen sicherstellen müssen, dass die verantwortlichen „Redakteure individuelle redaktionelle Entscheidungen frei treffen können“;
  • Eigentümer und Leiter von Medienunternehmen „tatsächliche oder potenzielle Interessenkonflikte“ offenlegen müssen, die sich auf die Berichterstattung auswirken könnten;
  • es „nicht gestattet“ ist, Journalisten und andere Medienarbeiter mittels „Inhaftierung, Überwachung oder Beschlagnahme“ zur Preisgabe ihrer Quellen zu zwingen sowie auf ihren Telefonen und Computern Spionagesoftware zu installieren;
  • und dass ein Rat aus Vertretern der 27 nationalen Aufsichtsbehörden beurteilt, ob die EU-Staaten diese Vorschriften auch tatsächlich einhalten.

All das scheint für demokratische Staaten eigentlich selbstverständlich – und traf dennoch auf massiven Widerstand einiger Regierungen, nicht nur aus Ungarn und Polen, sondern auch aus Österreich – und Deutschland. Die geplante Reichweite sahen die vier „unter Hinweis auf die Kulturhoheit der Mitgliedsstaaten kritisch“, monierten deren Vertreter gleich nach der Vorlage des Gesetzentwurfes im Rat der EU, heißt es in einem Protokoll, das Investigate Europe vorliegt. Wenn überhaupt, dann dürfe mangels Rechtsgrundlage allenfalls eine Richtlinie erlassen werden, keinesfalls aber eine Verordnung, forderten die Beamten aus Österreich und Deutschland, und waren sich dabei ganz einig mit ihren Kollegen aus Ungarn und Polen. Wäre es dazu gekommen, wäre es den Mitgliedsstaaten überlassen geblieben, wie sie die Vorschriften umsetzen und nichts würde sich ändern. Die Erfahrung zeigt, dass viele Regierungen Richtlinien oft unvollständig umsetzen, wenn ihnen die Vorschriften unwillkommen sind.

Aber das war den Verantwortlichen in Deutschland offenbar egal. Hier ist die Medienaufsicht Aufgabe der Länder. In deren Namen führt Heike Raab, Staatssekretärin für Europaangelegenheiten bei der Landesregierung von Rheinland-Pfalz die Verhandlungen und stellte sich zunächst frontal gegen  Jourovas Gesetzentwurf. Die EU betätige sich als „Kompetenzstaubsauger in einem Bereich, der in den Verträgen ausdrücklich den Mitgliedstaaten vorbehalten“ sei, zürnte sie.  Ausdrücklich wandte sie sich auch gegen den geplanten „Eingriff in die Verlegerfreiheit“, wie sie es nannte und machte damit gemeinsame Sache mit den Größen der Branche. Wenn die Verleger nicht mehr allein die Inhalte ihrer Medien diktieren dürften, würde das „die Pressfreiheit zerstören“, erklärte auch der Bundesverband der Zeitungsverleger. Dabei zeigte jüngst eine Enthüllung der Wochenzeitung „Die Zeit“, wie die Verlegermacht auch in Deutschland missbraucht wird. Demnach wies der Chef des Springer-Konzerns Matthias Döpfner die Redaktion der führenden Boulevard-Zeitung des Landes („Bild“) ausdrücklich an, die marktliberale FDP im Wahlkampf für den Bundestag zu unterstützen. Trotz solches in vielen EU-Staaten dokumentierten Machtmissbrauchs  seiner Mitglieder, verstieg sich der europäische Verlegerverband sogar zu der Behauptung, in Wahrheit handele es sich bei dem EU-Vorschlag um ein „Medienunfreiheitsgesetz.“ Praktische Vorschläge, wie die Übergriffe durch Verleger wie Bolloré in Frankreich und ähnliche Investoren in Ungarn, Griechenland oder auch Italien verhindert werden sollen,  blieben Raab und die Verlegerlobby allerdings schuldig.
 
Mangels Mehrheit im Rat und in den Ausschüssen des Parlaments für das geplante Gesetz verlief diese Fundamentalopposition denn auch erfolglos. Erst bestätigte der Juristischen Dienst des Rates, dessen Experten sonst eher die Interessen der nationalen Regierungen stützen, dass die Medien als Akteure im EU-Binnenmarkt sehr wohl der EU-Gesetzgebungskompetenz unterliegen. Dann beschloss die Mehrheit der EU-Regierungen zwar mehrere, auch umstrittene Änderungen zur Verwässerung des Gesetzes wie etwa den möglichen Einsatz von Spionagesoftware gegen Journalisten im Namen der Nationalen Sicherheit, über den Investigate Europe berichtete, und der auf massiven Protest stieß, nicht zuletzt auch im EU-Parlament. Aber die zentralen Vorschläge von Jourova und ihren Kollegen machte sich die Mehrheit der EU-Regierungen zu eigen. Wenn, wie zu erwarten am morgigen Donnerstag auch der zuständige Kulturausschuss des EU-Parlaments und Anfang Oktober das Plenum seine Zustimmung erteilt, könnte Europas erstes Medienfreiheitsgesetz schon im nächsten Jahr in Kraft treten – und eine kleine Revolution im europäischen Medienwesen auslösen.

EU-Kommissarin Věra Jourová setzt sich für das Medienfreiheitsgesetz ein. Bildquelle: Wikimedia Commons

Das jedenfalls hofft Kommissarin Jourova. Wenn das Gesetz in Kraft trete, werde es „eine verlässliche Grundlage“ für Klagen gegen die Beschränkung der Medienfreiheit sein, „die bisher in vielen Ländern absolut keine Chance haben“, erwartet sie.

Die direkte Kontrolle der redaktionellen Inhalte von öffentlich-rechtlichen Medien, wie sie etwa die Regierungen in Griechenland und Italien praktizieren, wäre mit dem neuen EU-Gesetz definitiv nicht vereinbar. Das sei der „stärkste Teil des Gesetzes“, meint Jourova. „Der Staat darf sich nicht in redaktionelle Entscheidungen einmischen“. Wenn sich ein Mitgliedstaat nicht daran halte, könne die Kommission unmittelbar ein Verfahren wegen Verletzung der EU-Verträge gegen die Regierung eröffnen. Bleibe es trotzdem bei den Verstößen, könne dies „zu massiven Geldstrafen durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs führen“.

Zudem könnten auch Journalisten selbst gegen Zensur oder Überwachung ihrerseits die Regierungen oder private Medieneigentümer vor den nationalen Gerichten verklagen, erklärt die Kommissarin. „Genau wegen solcher Fälle bestehen wir darauf, dass es sich um eine direkt anwendbare Verordnung handeln muss“, sagt sie. Nur so könnten Journalisten sich auf den Wortlaut des Gesetzes verlassen. „Der Hauptzweck besteht darin, sie vor der Einmischung in ihre Arbeit durch Übergriffe von Seiten des Eigentümers oder des Staates zu schützen“, verspricht Jourová.

Fraglich ist allerdings, ob das am Niedergang der Medienvielfalt in den rechtspopulistisch regierten osteuropäischen Staaten noch etwas ändern kann. Deren Regierungen nehmen schon jetzt die Sperrung von Milliardenzahlungen aus den EU-Fonds in Kauf, weil sie mit der politischen Kontrolle der Gerichte gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. Warum sollten sie also weitere Urteile der EU-Richter fürchten?

In Ungarn etwa betreibt das Orban-Regime seit Jahren eine „schleichende wirtschaftliche Strangulierung“ der unabhängigen Medien, berichtet der Journalist Zsolt Kerner vom Online-Magazin 24.hu. Zunächst entzog ihnen die Regierung alle staatlichen Anzeigenaufträge. Dann setzten Orbans Gefolgsleute auch Geschäftsleute und Unternehmen unter Druck, sodass auch kommerzielle Werbeanzeigen ausblieben und sie ihre wirtschaftliche Basis verloren. Werbeeinnahmen fließen seitdem nur noch an regierungstreue Medien. 24.hu überlebte nur dank eines wirtschaftlich starken und unabhängigen Investors. Die übrigen mussten entweder schließen oder wurden von Strohleuten übernommen. In der Folge kontrolliert die regierungsnahe KESMA-Gruppe heute mehr als 500 Zeitungen und Magazine. Dem unabhängigen Klubradio entzog die zuständige Aufsichtsbehörde kurzerhand die Sendelizenz und die verbliebenen Online-Medien leben von den Spenden ihrer Leser und haben „kaum noch Zugang zu staatlichen Informationen“, sagt Zerner. All das würde mit der geplanten EU-Verordnung ungesetzlich. Denn das EU-Recht bricht die nationale Gesetzgebung. Aber Kerner und seine Kollegen „zweifeln, ob das bei uns was bringt.“ Die Regierung habe „viele gute Anwälte“, warnt er.

„Vielleicht ist Ungarn vorerst immun“, räumt denn auch Kommissarin Jourová ein. Aber auch dort werde die Regierung „früher oder später die politische Wirkung spüren“, meint sie. Das Instrument dafür soll der vorgesehene „unabhängige europäische Medienrat“ mit Fachleuten aus allen Medienbehörden der 27 EU-Staaten werden. Diese können zwar nur Einschätzungen ohne rechtliche Konsequenzen mehrheitlich beschließen. Aber Ländern, „denen der Rat die Beschränkung der Medienfreiheit bescheinigt“, drohe damit „der Verlust ihrer internationalen Reputation“ und da seien sie „sehr empfindlich, erwartet Jurova. 

Das könnte die Rechtsnationalisten in Polen durchaus unter Druck setzen, denkt auch Roman Imielski, Vizechef der Gazeta Wyborcza, der letzten großen unabhängigen Zeitung des Landes. Zwar habe sich auch die Regierung von Premier Mateusz Morawiecki das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Nachrichtenagentur in „eine Propagandamaschine nach russischem Vorbild“ verwandelt, die alle Kritiker als „Verräter der Nation und Verschwörer“ brandmarkt, auch ihn und seine Kollegen. Aber wenn Polen bei der US-Regierung schlecht dastehe, „das macht Druck“, weiß er. Tatsächlich scheiterte daran der Versuch der Regierung Moraviecki, den unabhängigen und regierungskritischen Fernsehsender TVN im Besitz des US-Konzerns, owned Warer Brothers per Zwangsverkauf an die Kandare zu legen. Auf Druck aus Washington legte Präsident Andrzeij Duda Ende 2021 sein Veto gegen das entsprechende Gesetz ein.

Wann genau oder ob überhaupt Jourovás großer Wurf tatsächlich Gesetz wird, ist allerdings noch völlig offen. Denn nach der für Anfang Oktober angesetzten Verabschiedung im Parlament müssen sich dessen Vertreter noch mit dem Rat und der Kommission auf einen gemeinsamen Text einigen. Dabei vertreten sie jedoch bei zwei zentralen Vorgaben völlig gegensätzliche Auffassungen. So will die Mehrheit der EU-Regierungen das geplante Verbot des Einsatzes von Überwachungssoftware gegen Journalisten ins Gegenteil verkehren und bei Gefahr „für die nationale Sicherheit“ ausdrücklich erlauben. Das lehnt der Rechtsausschuss des Parlaments rundheraus ab und auch Jourová warnt vor einem „Blankoscheck“ für die Geheimdienste. „Wir gehen mit gutem Willen in die Verhandlungen, aber der endet, wenn wir die Lage der Journalisten mit dem Gesetz verschlechtern würden“, sagt sie. Mit anderen Worten: Wenn die Regierungen auf ihrer Position beharren, könnte die Kommission ihre Gesetzesvorschlag zurückziehen.

Höchst umstritten ist auch der Artikel sechs, der die Medieneigentümer verpflichtet „die redaktionelle Freiheit“ zu respektieren. Auch diese Vorschrift wollen die Mitgliedsstaaten stark abschwächen, indem sie – auch auf Druck der deutschen Regierung – diese Freiheit nur „innerhalb der redaktionellen Linie“ zugestehen, die der Eigentümer festlegen darf. Ob das Parlament auch dagegen Front machen wird, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Bliebe es aber bei der Position des Rates, würde das Gesetz an entscheidender Stelle versagen. Und das nicht nur im Fall Bolloré oder dem Springer-Verlag. Auch in Italien etwa kaufte sich die Familie Agnelli, die Eigentümer des FIAT-Konzerns, ein ganzes Presseimperium zusammen und regierte direkt in führende Blätter wie La Repubblica und La Stampa hinein. In Griechenland wiederum halten die mächtigen Reeder fast alle führenden Medien im Land und sind eng mit der Regierung liiert.

Gegen diese Beschränkung der Medienfreiheit durch private Eigentümer wird das Gesetz am Ende darum womöglich wenig ausrichten. „Natürlich wollen wir nicht, dass reiche Leute sich Medien kaufen, um die Politik zu beeinflussen“, versichert Jourová. „Aber wir können nicht die Vorgänger innerhalb der Medien regulieren“, räumt sie ein. Da seien dann doch die Journalisten selbst und die Zivilgesellschaft gefragt. Sie sollten „ihre Aktionen zum Schutz der redaktionellen Freiheit verstärken“, fordert Jourová.

Die griechische Journalistin Sofia Mandilara bei der staatlichen Nachrichtenagentur hat dafür zumindest in Griechenland schon mal einen Startschuss gegeben. Sie legte öffentlich mit Hilfe der Gewerkschaft Beschwerde gegen die Zensur der regierungskritischen Aussagen in einem ihrer Artikel ein, und bekam – zur eigenen Überraschung – sogar Recht und durfte einen weiteren Artikel zum Thema schreiben. Seitdem, so berichtet sie lachend, „fragen sie mich wenigstens immer, wenn sie meine Texten ändern wollen.“

Dies ist eine Zweitveröffentlichung. Die Erstveröffentlichung in mehreren Sprachen erfolgte am 6. September 2023 durch Investigate Europe.

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