Bloggen für mehr Pressefreiheit

21. August 2012 • Digitales, Pressefreiheit • von

Ein couragierter Einsatz für Pressefreiheit kostet türkische Journalisten oft ihren Job und ihre eigene Freiheit. Dennoch gibt es einige unter ihnen, die sich nicht abschrecken lassen, für ihr Recht auf Meinungsfreiheit einzutreten.

Reporter ohne Grenzen diagnostizieren der Türkei einen fatalen Rückschritt: Zehn Plätze abwärts ging es für das Land beim Pressefreiheitsindex für das Jahr 2012 – Platz 148 von 179.

Statt die versprochenen Reformen einzuleiten, habe es zahlreiche juristische Schikanen gegenüber Journalisten gegeben, heißt es im aktuellen Bericht: „Unter dem Vorwand, Terrorismus zu bekämpfen wurden Dutzende verhaftet, bevor sie verurteilt wurden, vor allem im Zuge der Ermittlungen um die Ergenekon-Verschwörung und die KCK, einem mutmaßlichen Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans. Die noch nie da gewesene Ausweitung der Verhaftungen, der Telefonüberwachungen und die Geringschätzung des journalistischen Quellenschutzes haben dazu beigetragen, erneut ein Klima der Einschüchterung in den Medien zu verbreiten.“

Die Ergenekon-Verschwörung

Das Anti-Terror-Gesetz 2006 hat seinen Teil zum Verlust der eigentlich auch in der Türkei gesetzlich verankerten Pressefreiheit beigetragen – besonders im Zuge der Ergenekon-Ermittlungen: Die durch investigative Journalisten aufgedeckten Machenschaften einer Geheimorganisation kehrten sich am Ende gegen ihre Enthüller, die sich plötzlich selbst dem Vorwurf ausgesetzt sahen, Teil dieser nationalistischen Verschwörungsorganisation zu sein.

So zum Beispiel der Journalist Ahmet Şık: Er schrieb unter anderem für die Zeitschrift Nokta, bis diese 2007 im Zuge einer Art türkischen Version der Spiegel-Affäre geschlossen wurde: Sie veröffentlichte Tagebuch-Auszüge eines ehemaligen Fregattenkapitäns der türkischen Armee, die Pläne für einen Militär-Coup enthielten, der 2004 die Regierung hätte stürzen sollen. Auf die Veröffentlichung hin gab es eine dreitägige Razzia in der Redaktion, und das Magazin wurde eingestellt. Dennoch hat das Militär die Pläne nicht dementiert, die sich wenig später auch in den Unterlagen mutmaßlicher Mitglieder der Ergenekon-Organisation fanden. Zu dieser nationalistischen Untergrundorganisation, die das Ziel gehabt haben soll, die Regierung zu stürzen, sollen ehemalige Militärangehörige, Polizisten, Rechtsanwälte, Geschäftsleute und Journalisten gehört haben.

Über 300 Verdächtige wurden bisher festgenommen. Ahmet Şık wurde 2010 nach seiner Buchveröffentlichung über die Ergenekon-Verhandlung verdächtigt, selbst Teil der Organisation zu sein und angeklagt. Doch zwei Monate, bevor es überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung kam, wurde er am 3. März 2011 überraschend verhaftet. Unter starken Protesten der Öffentlichkeit und Menschenrechtsorganisationen fanden die Verhandlungen statt. Ein Jahr später wurde er schließlich freigesprochen und am 13. März 2012 aus der Haft entlassen.

Einsatz führt zur Entlassung

Ein weiteres Beispiel für einen couragierten Einsatz für Pressefreiheit in der Türkei ist die Journalistin Ece Temelkuran, die kritisch über die Verhaftung von Journalisten, Missachtung von Frauenrechten und die Unterdrückung der kurdischen und armenischen Minderheiten berichtet. Sie schreibt darüber unter anderem in der libanesischen Zeitung Al-Akhbar, dem englischen Guardian, in ihrem Blog,  bei Twitter oder in Büchern.  Zehn Jahre lang  schrieb sie politische Kolumnen und arbeitete für die liberale Zeitung Milliyet – doch Ende 2011 wurden dem Herausgeber ihre Berichte wohl zu regierungskritisch: Ihr Arbeitsvertrag wurde nicht mehr verlängert. Nun arbeitet sie von Tunesien aus weiter – und sie ist nicht die Einzige.

Vor allem über soziale Netzwerke versuchen Journalisten die öffentliche Aufmerksamkeit auf die mangelnde Meinungsfreiheit in ihrem Land zu lenken, so auch Banu Güven auf Twitter. Die türkische Journalistin ist – trotz großer Popularität – vom türkischen Fernsehsender NTV entlassen wurde, weil sie sich in ihrer Nachmittagssendung offenbar zu sehr mit Konflikten zwischen der Türkei und der kurdischen Minderheit beschäftigt hatte.  Sie war bereits 14 Jahre bei dem Sender tätig, als sie im Juni 2011 kurz nach einem Interview  mit dem türkischen Schriftsteller und Regisseur Vedat Türkali, der wegen seiner Mitgliedschaft bei der kommunistischen Partei  TKP 1951 zwei Jahre in Haft war und sich seitdem für die Menschenrechte von Gefängnisinsassen einsetzt, entlassen wurde. Türkali hatte in dem Interview den inhaftierten ehemaligen Vorsitzenden der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, gegrüßt. Zudem hatte Güven noch ein Interview mit der kurdischen Menschenrechtsaktivistin und Politikerin Leyla Zana geplant. Güven wirft dem Sender Selbstzensur vor – der wiederum ihre Entlassung damit begründete, dass man dort in der nachfolgenden Saison kein passendes Sendeformat mehr für sie gehabt hätte.

Mutige Minderheit

Doch manche warten gar nicht erst, bis die Entlassung kommt: Die Selbstzensur der türkischen Medien – in diesem Fall der linksliberalen Zeitung Radikal – führte jüngst dazu, dass der Schriftsteller und Journalist Yıldırım Türker nach 16 Jahren aus Empörung über die Zensur seines Artikels kündigte. Er hatte sich darin regierungs- und medienkritisch über den 13-tägigen Militäreinsatz türkischer Sicherheitskräfte vom 23. Juli bis 5. August 2012 gegen die PKK in der Stadt Şemdinli in der osttürkischen Provinz Hakkâri geäußert. Seine Follower bedauerten das sehr und verlinkten zu seinem Artikel, zum Beispiel auf der Menschenrechts-Plattform www.bianet.org.

Über 80 Jahre unter Staatskontroll

Die Abhängigkeit der Medien von der Regierung hat in der Türkei Tradition: Als 1927 der erste Radiosender auf Sendung ging, war er an Staatsverträge gebunden, und die damals einzige Partei des Landes (Cumhuriyet Halk Partisi, die Republikanische Volkspartei) wurde Anteilseigner. Nach der türkischen Schriftreform 1928, bei der die arabischen Buchstaben durch das lateinische Alphabet ersetzt wurden, waren die Zeitungen auf Subventionen vom Staat angewiesen, um die Umstellung zu finanzieren, und begaben sich damit in die Abhängigkeit der Regierung.  1940 entstand das staatliche Generaldirektoriat für Presse und Information (DGPI), das dem Premierminister unterstellt ist, und auch die Radio- und Fernsehsender wurden von der Regierung kontrolliert und zum Teil in Beschlag genommen.

Der Marshallplan nach dem zweiten Weltkrieg und die Wahl der demokratischen Partei führten zwar auf der einen Seite zu ersten gesetzlichen Veränderungen, die Journalisten mehr Pressefreiheit und soziale Rechte gewährten. Auf der anderen Seite war der Staat aber nicht gewillt, ohne weiteres seinen bis dahin erworbenen Einfluss aufzugeben.

Zwei Jahre YouTube-Sperre

Dieser Widerspruch von Liberalisierung und Festhalten an der Kontrolle hat sich bis heute gehalten. In den 80er Jahren setzte zwar zum einen ein Liberalisierungsprozess der Türkei ein, zum anderen aber auch eine Monopolbildung von einigen wenigen, großen Medienunternehmen. 1994 entstand die staatliche Rundfunk-Regulierungsbehörde RTÜK, für das Internet ist das Verkehrsministerium zuständig. Das sperrte von 2008 bis 2010 das Videoportal YouTube, weil dort ein Video veröffentlicht wurde, was Republik-Begründer Atatürk beleidigt haben soll.

Bisher sind Journalisten wie Temelkuran, Türker und Co., die öffentlich die fehlende Pressefreiheit anprangern, eine mutige Minderheit in der Türkei. Und doch wäre es nicht das erste Mal, wenn sich – gerade über soziale Netzwerke – der Wunsch des Einzelnen nach mehr Freiheit eines Tages in eine Massenbewegung wandeln sollte.

Stefanie Brüning studiert Journalistik an der TU Dortmund. Ihr Beitrag entstand im Rahmen des Seminars “Journalism and Media in Turkey” unter der Leitung von Haluk Ucel von der Bilgi-Universität in Istanbul.

 

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