Gekauft von den Mächtigen

22. April 2021 • Aktuelle Beiträge, Pressefreiheit • von

Die neue Rangliste von Reporter ohne Grenzen macht deutlich, dass sich die Pressefreiheit in Tschechien nachhaltig verschlechtert hat. Ein Grund: Unternehmen versuchen durch Medienbesitz, ihren Einfluss zu sichern. 

Die Pressefreiheit in Tschechien stagniert auf einem schlechten Niveau. 2014 hatte Reporter ohne Grenzen (RoG) in seinem Pressefreiheits-Ranking das Land noch auf Platz 13 eingestuft. Erst danach kamen beispielsweise die Schweiz oder Deutschland. Tschechien galt als Vorreiter und Vorbild – nicht nur für Osteuropa. 2021 belegt Tschechien nur noch Platz 40, das zweite Jahr in Folge. RoG beschreibt die Situation als „beunruhigend“.

Für Andrej Babiš, Premierminister von Tschechien, ist das alles übertrieben. So sagte er beispielsweise 2018 zur Prager Zeitung: „Ich finde nicht, dass die Presse bei uns bedroht ist.“ Viele Organisationen wie ROG sehen das anders und ein Grund dafür sind der Premierminister und seine Besitztümer selbst.

Ausländische Investoren ziehen sich seit 2008 zurück

1989 nach der Samtenen Revolution hatten viele ausländische Investoren Medienanteile gekauft und so den tschechischen Medienmarkt privatisiert und pluralisiert. Michal Klíma, Journalist in Tschechien und Vertreter der tschechischen Zweigstelle des International Press Institute (IPI), erinnert sich noch an die Zeit: „Die Journalisten hatten keinen Druck – weder von der politischen noch von der wirtschaftlichen Seite.“

Infolge der Finanzkrise zogen sich dann aber ausländische Investoren, darunter auch viele deutsche wie Springer, Verlagsgruppe Passau oder Handelsblatt aus Tschechien zurück.

Tschechischer Medienmarkt wieder in nationaler Hand

Die tschechischen Medien kamen wieder in nationale Hand und die Eigentumsverhältnisse änderten sich in den folgenden Jahren komplett. Ein Meilenstein und Januskopf. Der Fall des Eisernen Vorhangs und die Finanzkrise haben in den vergangen 30 Jahren den Medienmarkt in Tschechien zweimal radikal verändert.

Die Zeit dazwischen beschreibt Investigativ-Journalistin und Gründerin des Tschechischen Zentrums für Investigativen Journalismus Pavla Holcová als „die goldenen Jahre der Pressefreiheit.“ Die Finanzkrise 2008 hat den Medienmarkt dann stark getroffen. Die Verhältnisse waren noch jung und nicht fest etabliert.

Oligarchen stärken ihren Einfluss durch Medienbesitz

Der Verdacht, dass die neuen Investoren Ziele wie Einflussnahme auf die Agenda verfolgten, liegt aus zwei Gründen nahe. Erstens stiegen viele Unternehmen in das Mediengeschäft neu ein, die ihr Standbein eigentlich in ganz anderen Branchen hatten. Und zweitens ist der Medienmarkt seit 2008 aus wirtschaftlicher Sicht nicht mehr wirklich ergiebig.  Der Standard titelte 2019 dazu: „Tschechische Oligarchen auf Medien-Shoppingtour“.

RoG urteilt: „Beunruhigend ist das Ausmaß der Medienkonzentration. Seit 2008 haben vermögende Großunternehmer viele Zeitungen aufgekauft, um ihren Einfluss abzusichern“. Auch Michal Klíma vom IPI ist sich sicher: „Milliardäre versuchen, durch Medienbesitz ihren Einfluss zu verstärken. Indirekt, indem sie sich durch eine verfärbte Berichterstattung Vorteile von der Politik erhoffen oder direkt, indem sie in der Politik und Medienbranche aktiv sind.“

„Morgen kaufe ich etwas“

Begonnen hat diese Entwicklung mit Zdeňek Bakala, einer der reichsten Tschechen und Besitzer verschiedener Kohlegruben, 2008 kaufte er von der Verlagsgruppe Handelsblatt die Wirtschaftszeitung Economia und mehrere Fachzeitschriften. Verschärft wurde die Situation durch Andrej Babiš, aktueller Premierminister und Eigentümer des Lebensmittelkonzerns Agrofert.

Zwei Jahre nach der Gründung seiner politischen Partei „ANO“ (auf Deutsch: „Ja“) twitterte er: „Morgen kaufe ich etwas.“ Und er hielt Wort: Im Jahr 2013 kaufte sich der zweitreichste Mann in Tschechien die zwei wichtigsten Tageszeitungen Lidové noviny und Mladá fronta Dnes. Im selben Jahr erwarb er noch das meistgehörte Privatradio Impuls dazu.

Premierminister und Medienmogul

Der immer größer werdende Einfluss von Babiš bestätigte sich auch bei den Wahlen vor vier Jahren.  Seit 2017 ist seine Partei Ano, trotz zahlreicher Skandale, führende Partei in Tschechien und Andrej Babiš Premierminster. Die Entwicklung fasst ein ehemaliger Koalitionspartner folgend zusammen: Er hat ein Konglomerat aus Medien und Unternehmen geschaffen; eine Krake, die nach der tschechischen Demokratie greift.“ Laut der Europäischen Journalisten-Föderation besitzt Babiš aktuell rund 30 Prozent der tschechischen Medien. Manche Tschechen schätzten den Anteil sogar noch höher ein.

Obwohl er die Mediengeschäfte in Treuhandfonds abgeben musste, ist sein Einfluss auf die Medien unbestritten. Viele Journalisten berichten über seine Einflussnahme auf die mediale Berichterstattung. Eine Tonaufnahme bestätigt den Verdacht.  Babiš bestimmt darin das Veröffentlichungsdatum eines Artikels, bei der Hauptperson in dem Beitrag geht es um einen politischen Gegner von ihm.

Einflussnahme von Babiš auf die Berichterstattung

Michal Klíma hat ähnliches beobachtet: „Zeitungen fördern oft seinen Standpunkt und seine angeblichen Erfolge, während die Berichterstattung über Gegner voreingenommen ist.“  Auch RoG warnt vor redaktioneller Einmischung vom tschechischen Ministerpräsidenten.  Pavla Holcová berichtet von einem konkreten Beispiel: „Als tausende Menschen gegen Babis 2019 protestiert haben, machten alle Medien auf der ersten Seite damit auf. Nur die Zeitungen von Babiš berichteten nicht so viel darüber.“

Manche Experten vergleichen Andrej Babiš deswegen mit dem ehemaligen Premierminister von Italien Silvio Berlusconi. Die tschechische Bevölkerung nennt ihn in Anlehnung daran: „Babisconi“.

Doch nicht nur die direkte Einflussnahme verändert die Berichterstattung. Eine Folge ist auch die Selbstzensur von Journalisten, die von den Interessen ihres Herausgebers wissen. Im Zuge der Finanzkrise ist auch der finanzielle Druck gewachsen.

Sowohl Wirtschaft als auch Politik üben Druck aus und verändern so die kritische Berichterstattung. „Manche Journalisten wissen ganz genau, wenn ich dieses Thema mache, dann kriege ich Schwierigkeiten. Dann machen sie das Thema nicht“, erklärt Holcová.

Hoffnung durch neue Medien und Organisationen

Die Interessenkonflikte haben manche Journalisten in Tschechien dazu bewogen, ihre Jobs zu kündigen und unabhängige Medien zu gründen oder sich diesen anzuschließen. Wie zum Beispiel der Zeitung Deník N, die seit 2018 besteht. Zumindest eine positive Folge der neuen Eigentumsverhältnisse.

Hochwertiger und investigativer Journalismus findet deswegen nicht mehr bei den Mainstream-Medien statt, sondern bei kleinen, neuen Medien. So wurde 2016 kein einziger Beitrag von einem Mainstream-Medium für den investigativen Journalismus-Preis in Tschechien nominiert. Auch führen investigativen Recherchen immer wieder zu Ermittlungen, was ebenfalls als Erfolg für die Pressefreiheit gewertet werden kann.

In der Corona-Pandemie verstärken sich die Chancen und Gefahren für unabhängigen Journalismus gleichzeitig. Die Situation bleibt trotz Informationsbedürfnis in der Bevölkerung schwierig: „Personal und Geld sind knapp“, erklärt Michal Klíma. „Die Gefahr vom Medienmarkt zu verschwinden ist aktuell so groß wie noch nie, “ sagt Pavla Holcová. Es fehlen Einnahmen von Sponsoren und Werbung.

Vorsichtig auf bessere Zukunft hoffen

Trotz kleiner Zeichen der Hoffnung ist klar: Schon jetzt hat die wirtschaftliche Macht von nationalen Oligarchen die tschechische Medienlandschaft nachhaltig verändert. Das zeigt auch ein mögliches Zukunftszenario: Selbst wenn Andrej Babiš im Herbst 2021 nicht mehr als Premierminister wiedergewählt wird, sein Einfluss auf die Medien bleibt bestehen.

Das besorgt auch Michal Klíma: „Auch wenn er abgewählt wird, durch die Medien kann er seine Interessen immer noch verbreiten.“ Nur ein Gesetz könnte solche Interessenkonflikte unterbinden. Die Lage der Presse wird sich deswegen auch nach einem Politikwechsel nicht schlagartig verbessern. Pavla Holcová ist trotzdem vorsichtig optimistisch: „Ich glaube, die Zukunft wird nicht wunderbar, aber besser“.

 

Quellen zum Nachlesen:

Reporter ohne Grenzen: Tschechien. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/tschechien (2021)

Šulcová , Helena: Überlebt in Tschechien der öffentlich-rechtliche Rundfunk? < https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/ostblogger/oeffentlicher-rundfunk-tschechien-100.html (2018)

Šulcová, Helena: Pressefreiheit in Tschechien. Das Berlusconi-Modell. https://www.mdr.de/medien360g/medienpolitik/ostblogger-tschechien-104.html (2019)

Lizcová, Zuzana: Unter Druck. Zur Lage der Presse in Tschechien. In: Osteuropa 11-12/2016

 

Der Beitrag entstand im Rahmen des Seminars „Pressefreiheit und Medienpluralismus in Europa“ am Institut für Journalistik der TU Dortmund unter Leitung von EJO-Redaktionsleiterin Tina Bettels-Schwabbauer. 

 

Bildquelle: pixabay.com

 

 

 

 

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