Kommt die „Repolonisierung“ der privaten polnischen Medien?

6. August 2020 • Internationales, Pressefreiheit • von

Vor fünf Jahren hat die rechtspopulistische PiS die Macht in Polen übernommen – und seitdem das polnische Mediensystem umgebaut. Im Juli wurde Andrzej Duda als Präsident wiedergewählt, was die Situation nun noch verschlimmern könnte – die Regierung hat bereits angekündigt, die privaten polnischen Medien zu ‚repolonisieren‘, indem der Anteil des ausländischen Kapitals in der polnischen Medienbranche verringert werden soll. Werden die polnischen Medien das gleiche Schicksal wie die ungarischen erleiden?

Der erste Schlag kam kurz nach den beiden Wahlen vor fünf Jahren. Im Mai 2015 gewann der Kandidat der PiS, Andrzej Duda, die Präsidentschaftswahlen, und fünf Monate später übernahm dieselbe Partei die Macht in beiden Kammern des polnischen Parlaments (Senat und Sejm). Bald darauf brachte sie mehrere Änderungen des Mediengesetzes auf den Weg. Aus den öffentlich-rechtlichen Medien wurden „nationale Medien“, die stark von der Regierung kontrolliert werden. Bei Polskie Radio und Telewizja Polska wurden Hunderte von Journalisten entlassen und durch andere, „politisch korrekte“ ersetzt. „Die Debatten der öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender verloren ihren Pluralismus, sie schienen sich nur noch den ‚Errungenschaften’ der Regierung zu widmen“, bemerkt Piotr Sula, Politikwissenschaftler an der Universität Wrocław.

Ein Journalist, der bei Polskie Radio arbeitet und seinen Namen nicht preisgeben möchte (da alle Mitarbeiter ein Interviewverbot erhalten haben), beschreibt die erschreckende Situation so: „Redakteure und Reporter erhalten täglich Telefonanrufe mit ‚Ratschlägen’. Einer der häufigsten Sätze unserer Direktoren lautet: Man muss die ‚polnische Staatsraison’ einhalten. Nach monatelanger Gehirnwäsche haben die meisten Redakteure Angst davor, Geschichten vorzuschlagen, die kritisch sind oder einfach nicht im Einklang mit der PiS-Propaganda stehen.“

Auch über das Ausland berichten die öffentlich-rechtlichen Medien auf eine Art und Weise, die der Regierung in die Hände spielt. So seien die Polen bedroht von einem „verfaulten Europa“, einem „moralisch verfallenen Skandinavien“, „säkularisierten Deutschen“ oder von „Migranten, die Frankreich verbrennen“, zitiert Jędrzej Morawiecki, Medienwissenschaftler und Soziologe an der Universität Wrocław, aus der Berichterstattung, die seiner Meinung nach stark der propagandistischen Berichterstattung in russischen Medien ähnelt. Donald Trump dagegen wird als ein großer Verbündeter Polens dargestellt – da wundert es nicht, dass die Proteste in den USA nach der Ermordung George Floyds in den polnischen öffentlich-rechtlichen Medien als ‚Anarchie‘ bezeichnet wurden.

Nachdem PiS die öffentlich-rechtlichen Medien unter ihre Kontrolle gebracht hatte, kündigte sie eine ‚Repolonisierung‘ des privaten Sektors an. Führende Vertreter der Rechts- und Justizbehörden behaupteten bei vielen Gelegenheiten, dass die Anteile ausländischer Unternehmen in den polnischen Medien zu hoch und schädlich seien, insbesondere die der deutschen, und deshalb begrenzt werden sollten. Nach einigen Monaten der Debatte wurde der Begriff ‚Repolonisierung‘ plötzlich jedoch durch den Begriff ‚Dekonzentration‘ ersetzt. Dafür gibt es eine mögliche Erklärung: Es wäre äußerst schwierig, unter dem Dach der Europäischen Union die deutschen Unternehmen aus den polnischen Medien zu verdrängen. Während der ersten Amtszeit von PiS (2015-2019) wurde allerdings entgegen der vorherigen Ankündigungen kein solches Gesetz zur ‚Repolonisierung‘ oder ‚Dekonzentration‘ verabschiedet. Stattdessen entschieden sich die Politiker für eine Schritt-für-Schritt-Strategie, die Polen innerhalb der ersten Amtszeit von PiS im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen von Position 18 auf 59 zurückfallen ließ. Inzwischen befindet sich Polen auf Platz 62.

Kritische Berichterstattung wird im Keim erstickt

Der private Mediensektor gilt nach wie vor als unabhängig und recht glaubwürdig, stößt aber auch auf einige Hindernisse. „Der Zugang zu öffentlichen Informationen von staatlichen Institutionen verschlechtert sich zusehends“, sagt eine Reporterin von Radio Zet, die anonym bleiben möchte. „Öffentliche Medien werden eindeutig bevorzugt; viele Male wurden meine Fragen unbeantwortet gelassen und ich musste auf eine offizielle Stellungnahme, z.B. von der Staatsanwaltschaft, warten“, sagt die Journalistin. Wenn Presseabteilungen auf Anfragen von Journalisten privater Medien reagieren, geben sie in der Regel sehr schwammige Antworten per E-Mail, was natürlich insbesondere für Radio- und Fernsehreporter Konsequenzen hat: Ohne O-Ton und/oder Bewegtbild ist kein Beitrag möglich und das Thema muss aufgegeben werden. Auf diese Weise ersticken die Institutionen unbequeme Berichterstattung im Keim.

Eine Journalistin, die für die US-Mediengruppe Discovery arbeitet, hat festgestellt, dass sich nach der Übernahme von TVN (einer der beiden größten privaten Fernsehsender in Polen) durch das amerikanische Unternehmen die Arbeitsbedingungen, insbesondere für Berufsanfänger, deutlich verbessert haben. Es werden mehr Workshops für Journalisten angeboten, und darüber hinaus gibt es eine Abteilung, die sicherstellt, dass journalistische Standards wie Objektivität eingehalten werden. An einem Beispiel zeigt sie, wie staatliche Institutionen jegliche mögliche Kritik zu unterbinden versuchen, bevor diese an die Öffentlichkeit gelangt. „Nach einem Interview mit einem Polizeibeamten wurde ich gebeten, ein Dokument zu unterzeichnen, mit dem ich mich bereit erkläre, meinen gesamten Beitrag vor der Ausstrahlung zur Vorabprüfung zu schicken. Da war ich sprachlos. Das haben wir natürlich ignoriert“, sagt sie.

Im Juli war der Chefredakteur des ungarischen regierungskritischen Mediums “Index” entlassen worden, aus Solidarität kündigte fast die gesamte Redaktion. Auch die polnische Gazeta Wyborcza zeigte Solidarität: Am 27. Juli war ihre Titelseite zur Hälfte auf Ungarisch. “Liebe ungarische Freunde, wir sind empört über den brutalen Angriff der Macht auf Euer Portal. In diesem schwierigen Moment sind wir bei Euch und bewundern Eure unnachgiebige Haltung”, hieß es dort auf Polnisch und Ungarisch.

Der Medienfeind Nummer eins für die Regierungspartei ist und bleibt aber die linksliberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza. 2005, als PiS zum ersten Mal an die Macht kam (in Koalition mit zwei anderen Parteien und nur zwei Jahre lang), hatte die zweitgrößte überregionale Tageszeitung (nach der Boulevardzeitung Fakt) der Partei offen den ideologischen Krieg erklärt und berichtet seitdem entsprechend kritisch über sie.

Zudem gehört Gazeta Wyborcza dem polnischen Unternehmen Agora, von dessen Aktien der von George Soros unterstützte Media Development Investment Fund 11,49% hält. Aus diesem Grund zog die PiS-Regierung während ihrer ersten vollen Amtszeit Anzeigen von staatlichen Großunternehmen aus der Tageszeitung zurück, was für sie jährliche Verluste in Millionenhöhe bedeutet. Die Abneigung gegenüber Gazeta Wyborcza ist so groß, dass sie nicht über die Erklärung des Büros des Premierministers, wegen der Corona-Pandemie die Schulen zu schließen, informiert wurde, während die meisten Tageszeitungen Polens die Erklärung erhielten und veröffentlichten.

Wahlkampf mithilfe der öffentlich-rechtlichen Medien

Der Begriff der ‚Repolonisierung‘ erlebte dann während des letzten Wahlkampfs ein großes Comeback – ausgelöst durch eine Kette von Ereignissen. Im Mai 2019 gewann PiS die Wahlen zum Europäischen Parlament. Obwohl es keine entscheidende Wahl war, weil die konservativen Parteien im EU-Parlament nicht dominieren, schuf sie ein positives Klima für die nächsten polnischen Parlamentswahlen fünf Monate später. PiS gelang es, die Mehrheit der Sitze im Sejm zu behalten (235 von 460), verpasste im Senat aber knapp die Mehrheit (48 von 100 Sitzen). Um die Opposition überstimmen zu können, brauchte die neue alte Regierung aber nicht unbedingt die Mehrheit in beiden Kammern, sondern nur die Mehrheit im Sejm und das Präsidentenamt. Der Präsident wurde damit zu einer Schlüsselfigur und die Wiederwahl von Andrzej Duda im Jahr 2020 entscheidend.

Aus diesem Grund war abzusehen, dass dieser Wahlkampf hart sein würde und die Regierungspartei ihr ganzes Potential nutzen würde, Duda zum Sieg zu verhelfen, einschließlich der von ihr kontrollierten öffentlich-rechtlichen Medien. Es hat sich gezeigt, dass sie Andrzej Duda erheblich mehr Sendezeit widmeten als seinem Hauptrivalen Rafal Trzaskowski, über den sie zumal fast jedes Mal negativ berichteten.

Als die Boulevardzeitung Fakt eine Titelgeschichte über die Begnadigung eines Pädophilen durch den Präsidenten veröffentlichte, schien das Image von Andrzej Duda beschädigt zu sein. Es war jedoch zugleich auch der Funke, der erneute Überlegungen über eine ‚Repolonisierung‘ auslöste. Der Präsident warf der Zeitung, die dem schweizerisch-deutschen Medienkonzern Ringier Axel Springer gehört, vor, sich in den Wahlkampf einzumischen („die Deutschen wollen den polnischen Präsidenten wählen”), und der stellvertretende Premierminister Piotr Gliński rief in seinem Twitter-Account dazu auf, „die Jauchegrube nicht zu abonnieren“. Der PiS-Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński kündigte unmittelbar nach der Wiederwahl Dudas an, dass noch in dieser Legislaturperiode des Sejm Regelungen zur ‚Repolonisierung‘ eingeführt würden, ohne weitere Einzelheiten zu nennen.

Verhältnisse wie in Ungarn?

Wissenschaftler schließen diese Möglichkeit nicht aus. „Eine ‚Repolonisierung’ privater Medien würde bedeuten, dass diese dann ebenso wie die öffentlichen Medien unter die Kontrolle der Regierung gebracht würden“, sagt Politologe Piotr Sula. „Private Medien, die die Regierung kritisieren, leiden bereits darunter, dass staatliche Unternehmen keine Werbung mehr bei ihnen schalten und die Privatwirtschaft könnte es auch als gefährlich betrachten, in Medien, die als Feinde der Regierungspartei gelten, Anzeigen zu schalten.“

Die Folgen seien schwer vorhersehbar, aber nach Ansicht des Medienwissenschaftlers Jędrzej Morawiecki würde „eine Beschränkung der Anteile ausländischer Unternehmen an polnischen Medien eine stärkere Homogenisierung des Diskurses bedeuten und die Trennung zwischen staatlichen und oppositionellen Medien verstärken“. Eine mögliche ‚Repolonisierung‘ könnte auch vom Ausgang der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA abhängen. Die polnische Diplomatie hat nicht viele angesehene Verbündete, so dass es eine große Herausforderung wäre, den wichtigsten zu verlieren. Ganz zu schweigen von den bereits angespannten Beziehungen zu den führenden EU-Partnern.

Weder Politikwissenschaftler Piotr Sula noch die Journalistin von Discovery glauben, dass die Regierung den großen US-Fernsehsender übernehmen wird, da sie bestimmt nicht das gute Verhältnis zu den Vereinigten Staaten aufs Spiel setzen möchte. Medienwissenschaftler Jędrzej Morawiecki dagegen schließt dies nicht aus, betont aber, dass es selbst im Falle eines Rückkaufs der Anteile der ausländischen Unternehmen auf „keine so starke Homogenisierung der Medien wie beispielweise in Ungarn oder auch in Russland“ hinauslaufen würde, wo der kremltreue Energiegigant Gasprom Medien besitze, die „als unabhängig wahrgenommen“ würden.

Allerdings würde eine ‚Repolonisierung‘ nicht nur bedeuten, den Medienbesitz von ausländischen Unternehmen zurückzugewinnen, sondern auch, ihn an jene polnischen Unternehmer zu übergeben, die von der Regierung abhängig sind – und das erinnert doch stark an ungarische oder russische Verhältnisse.

 

Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels-Schwabbauer

 

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