Aktuelle Herausforderungen für den Journalismus

9. Oktober 2017 • Qualität & Ethik, Redaktion & Ökonomie • von

Mit welchen Spannungen und Konflikten hat der Journalismus heute zu kämpfen? Was sind die Hintergründe der aktuellen Entwicklungen und wie können Journalisten damit umgehen? Damit beschäftigen sich die Autoren des Sammelbands „Journalismus zwischen Autonomie und Nutzwert“.

2016 war ein Jahr, „in dem sich innerhalb weniger Monate die Auseinandersetzung um den Journalismus dramatisch änderte“. Mit diesen Veränderungen beschäftigt sich der Sammelband „Journalismus zwischen Autonomie und Nutzwert“, herausgegeben von Karl Nikolaus Renner, Tanjev Schultz und Jürgen Wilke. Die Autoren zeigen zahlreiche Klippen auf, die der Journalismus momentan zu umschiffen hat und erklären sie anhand von Studien und Statistiken. Zunächst werden unter der Kategorie „Historische und übergreifende Perspektiven“ die Entwicklung der deutschen Zeitungslandschaft, das Bild des Journalismus in der Aufklärung und die Bedeutung der Pressefreiheit untersucht. Diese etwas willkürliche Zusammenstellung allgemeinerer Themen bildet die Grundlage für das nachfolgende – und doch um einiges interessantere – Kapitel „Aktuelle Herausforderungen und neue Entwicklungen“.

Darin geht es auch um die politische Diskussion darüber, ob Journalisten in der Gesellschaft noch das Vertrauen genießen, ihre Aufgabe als verlässliche und vor allem unabhängige Informationsvermittler zu erfüllen oder ob sie dabei eine bestimmte politische Tendenz verfolgen. „Wölfe im Schafspelz?“, fragen dann auch die Autoren Nikolaus Jackob, Oliver Quiring und Christian Schemer. Sie berufen sich auf mehrere Studien, die die Vertrauenskrise in Bezug auf die Medien untersuchen. Ist der Grund für das schwindende Vertrauen einiger Menschen in die Medien durch einen tatsächlichen Abfall in deren Qualität zu suchen oder sind gesamtgesellschaftliche Veränderungen die Ursache? Ein Ergebnis: Bei den Menschen, die das Vertrauen in die Medien größtenteils oder komplett aufgegeben haben, handelt es sich nicht um marginalisierte Randgruppen, sondern offenbar um Menschen aus den verschiedensten Bevölkerungsschichten und Bildungsgruppen. Die Analyse der Autoren: Es sind Menschen, die ihr Vertrauen in die Demokratie als solche verloren haben, weil sie ihre Meinung im öffentlichen Diskurs nicht ausreichend gewürdigt bzw. ihre Chancen gefährdet sehen. Besonders viel Medienvertrauen haben dagegen Menschen, die mit der Politik und ihrer persönlichen wirtschaftlichen Situation im Großen und Ganzen zufrieden sind.

Kurz angesprochen werden auch veränderte Nutzungsgewohnheiten, zum Beispiel in den sozialen Medien. Mit Phänomenen wie den Echokammern geht einher, dass einige Nutzer Inhalten in Posts oder Blogs, die ihrer Meinung entsprechen, eher vertrauen als denen professioneller Journalisten. Dieses wichtige Thema prägt den Beug zu den traditionellen Medien sicher einschneidend, kommt in dem Beitrag aber nur am Rande vor. Neben der Verbreitung „verschwörungstheoretischen Denkens“ oder Politikverdrossenheit hätte es als weiterer wichtiger Grund für das Misstrauen gegenüber dem Journalismus in den Fokus genommen werden können. Der Beitrag verschweigt auch nicht, dass Journalisten teilweise tatsächlich falsche oder ideologisch „gefärbte“ Informationen verbreiten, indem sie beispielsweise mit bestimmten Intentionen selektieren oder sich auf fragwürdige Quellen berufen. Eine generelle Verschwörung dahinter glauben aber nur solche, deren Vertrauen in das komplette System erschüttert ist.

Brand Journalism – eine Gefahr für die wirtschaftliche Unabhängigkeit?

Führt die Tendenz zum „Marken-Journalismus“ zu „Mehr Demokratie oder mehr Gewinn?“ Das fragt Katja Schupp in ihrem gleichnamigen Beitrag. Brand Journalism – also Berichterstattung im Dienste einer Marke mit möglichst hohem Wiedererkennungswert – rückt den Journalismus in einigen Fällen näher an die Public Relations, meint Schupp. Es bestehe die Gefahr, die wirtschaftliche Unabhängigkeit aufs Spiel zu setzen, vor allem, da Brand Journalism – Schupp benutzt nur den englischen Begriff – mit seiner klar wirtschaftsfördernden Intention durch die Nutzer oft nur schwer vom traditionell informierenden Journalismus zu unterscheiden sei. Unternehmen geben immer größere Budgets für professionelle Journalisten aus, damit diese auf manchmal stark verschleierte Weise Werbung für das Unternehmen machen. Die Grenzen zwischen Werbung, PR und Journalismus verschwimmen dadurch zusehends.

Hinzukommt der wachsende finanzielle und personelle Druck in Redaktionen, der zu einer Tendenz führt, die eigenen Produkte anstatt mit konventioneller Werbung auch mit „Native Advertising“ zu füllen: Mit Beiträgen, die daherkommen wie ein journalistisches Produkt, tatsächlich aber die Leser zu Kunden machen wollen. Die Formel „EC=MC“ – Every Company is a Media Company – ist nicht neu; schon lange geben Unternehmen eigene Medienprodukte mit möglichst nutzerfreundlichen Inhalten heraus, die auf den ersten Blick wenig mit dem eigentlichen Produkt zu tun haben; als Beispiel sei das „Guinness-Buch der Rekorde“ genannt. Ein Problem im Umgang mit diesem Content Marketing ist laut Schupp, dass der Begriff „Journalismus“ rechtlich nicht geschützt ist. Zudem könnte die Anstellung bei einem Wirtschaftsunternehmen für viele Journalisten aus rein finanziellen Erwägungen attraktiver sein als eine Anstellung bei einem traditionellen Medienunternehmen, was den Druck noch verstärke. Katja Schupp erkennt einen Mangel an Forschung zu dieser Thematik und schlägt vor, mittels einer Studie das berufliche Selbstverständnis junger Unternehmensjournalisten zu untersuchen.

Konstruktiver Journalismus – vor Euphorismus muss gewarnt werden

Nachrichten sind immer so negativ. Sollte man nicht auch mal etwas Positives berichten? Dies ist – vereinfacht ausgedrückt – der Ansatz des konstruktiven Journalismus. Anstatt die Leser mit immer neuen Schauermeldungen zu fordern, werden auch bei eigentlich negativen Themen positive Aspekte stärker betont und tauchen in den Beiträgen an prominenterer Stele auf. Die Gefahr, die Autorin Ursula Ott dabei erkennt, ist, in den Zynismus abzurutschen; oder „über die Löcher im Käse anstatt über den Käse selbst“ zu berichten, wie Ott den Chef des Dänischen Rundfunks, Ulrik Haagerup, zitiert. Konstruktiver Journalismus will nicht ständig nur Probleme wälzen, sondern auch Perspektive und Lösungsvorschläge bieten – und so auch die Herzen der Leser gewinnen.

Vor Euphorismus müsse jedoch gewarnt werden, mahnt Ott. Die „Krise wegzuatmen“, wie der Titel des Beitrags es formuliert, funktioniere eben nicht. Eine reine Umetikettierung negativer Informationen zu positiven trage nicht nur Risiken für die Glaubwürdigkeit mit sich, sondern auch die Gefahr, eine „Glückssoße“ selbst dort zu vergießen, wo es keine positiven Fakten gebe. Eine wichtige Rolle von Journalisten sei es immerhin noch immer, auf Missstände hinzuweisen.

Ein weiteres Kapitel des Buches widmet sich dem Thema Wirtschafts- und Finanzjournalismus. Hier geht es – mal wieder – um die Krise des Printjournalismus; es wird aber auch gefragt nach den wirtschaftlichen Folgen der neuen technischen Entwicklungen, die den Journalismus beeinflussen, sowie dem Konflikt zwischen dem Anspruch nach Qualitätsjournalismus und der Notwendigkeit, sich den wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen.

Einen runden Abschluss bildet das Kapitel Journalistische Bildung und Ausbildung. Fragen nach dem Sinn der Journalistenausbildung an Universitäten, der Bedeutung ethischer Bildung von Journalisten und deren Selbstreflexion werden hier ebenso thematisiert wie die Notwendigkeit, zwischen PR und Journalismus zu unterscheiden. Interessant wäre, wenn diese eher allgemeinen Fragestellungen stärker auf die in Kapitel zwei untersuchten neuen Entwicklungen bezogen würden. Dennoch bietet „Journalismus zwischen Autonomie und Nutzwert“ durch seinen inhaltlich logischen Aufbau, die Vielzahl renommierter Autoren und den großen Aktualitätsbezug der meisten Themen eine wertvolle Sammlung von Informationen und Lösungsvorschlägen zu den Fragen, denen sich der Journalismus heute stellen muss.

Renner, Karl Nikolaus; Schultz, Tanjev; Wilke, Jürgen (Hg.) (2017): Journalismus zwischen Autonomie und Nutzwert. Köln: Herbert von Halem Verlag. 

 

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