„Auslandsjournalismus neu denken”

21. Oktober 2020 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Das vorrangige Ziel  der Medien-NGO n-ost war lange Zeit, deutsche Redaktionen mit Texten und Bildern aus Osteuropa zu versorgen. Nun will sie einen neuen Fokus setzen und  das kollaborative Arbeiten in Europa stärken. Felix Koltermann sprach darüber mit dem Bildredakteur der NGO Stefan Günther.

Stefan Günther ist für den n-ost-Bildbereich zuständig, den er seit 2011 aufbaute. Zuvor hatte er nach einem Designstudium mit Schwerpunkt Fotografie zunächst bei einem international tätigen Fotografen mitgearbeitet und war dann als selbstständiger Fotograf in Berlin tätig. Foto: René Staebler

Felix Koltermann: Stefan, wie bist Du zum Beruf des Bildredakteurs gekommen?

Stefan Günther: Das war ein typischer Quereinstieg, wie das oft der Fall ist bei Bildredakteur*innen. Ich habe in Potsdam Gestaltung studiert und mich dann auf Fotografie spezialisiert und danach bei einem Fotografen assistiert. Ein Interesse für Osteuropa hatte ich schon immer. Das hat sich irgendwann konkretisiert und ich habe auch Polnisch gelernt.  Ich habe dann eine Anzeige von n-ost gesehen, dass die jemanden suchen, der sich in der NGO mit Fotografie beschäftigt und mich einfach beworben. Das war 2011 und seitdem bin ich dabei. Am Anfang habe ich nebenher noch als Fotograf gearbeitet, weil n-ost auch noch nicht wusste, ob es so eine Bildredaktionsstelle überhaupt braucht. Weil wir gegenseitig zufrieden waren, ist es dann in eine Festanstellung übergegangen.

n-ost tritt als eine Medien-NGO auf, mit dem Ziel den Auslandsjournalismus zu stärken. Wie ist es denn um den fotografischen Auslandsjournalismus in Deutschland bestellt?

Das pauschal zu beantworten ist schwer. Mit Blick auf Osteuropa würde ich sagen, dass es durchaus eine Verbesserung gibt. Die osteuropäischen Länder sind per se wichtiger geworden im Gesamtgefüge Europa und der Welt und hatten dadurch auch in der fotografischen Berichterstattung einen stärkeren Wiederhall. Gerade für uns ist das wichtig, weil es unser Gründungsimpuls war, diese Berichterstattung verbessern zu wollen. Bei den Veröffentlichungen nehme ich wahr, dass es zwar von Seiten der Fotograf*innen ein extrem vielfältiges Angebot gibt an Serien und Fotografien von hoher fotografischer Qualität, aber andererseits eine wirklich originäre fotografische Berichterstattung in Form von Fotoreportagen und Fotoserien in den Medien nur noch selten stattfindet.

Wenn Fotograf*innen und Autor*innen für eine Auslandsreportage zusammenarbeiten, geht der Trend immer stärker zu einer Zusammenarbeit mit Fotograf*innen in den jeweiligen Ländern. Das spart erst einmal ganz pragmatisch Kosten. Aber die Fotograf*innen vor Ort kennen natürlich im Zweifel auch das Land, die Menschen und die Zusammenhänge besser. Und das ist es, was wir mit unserem Netzwerk machen: Mit Fotograf*innen, die in den Ländern leben und arbeiten, eine enge Verbindung zu schaffen, um die Perspektive zu erweitern.

Wenn sich ein Teil der Mission von n-ost erfüllt hat, welche Rolle spielt denn dann in Zukunft die Fotografie in Eurer NGO?

Wir sind gerade am Umstrukturieren. Unser wichtigstes Ziel war lange Zeit, deutsche Redaktionen mit Texten und Bildern aus Osteuropa zu versorgen und eine Leerstelle zu besetzen, die es jetzt so aber nicht mehr gibt. Deswegen fahren wir diesen Schwerpunkt gerade zurück. Unsere Bilddatenbank gibt es aber noch und wir vermitteln weiterhin zwischen Fotograf*innen und Auftraggebern. Wir sind aber gleichzeitig dabei, das kollaborative Arbeiten und einen multiperspektivischen, europäischen Blick zu stärken. Wir wollen Auslandsjournalismus neu denken und nicht mehr als Einbahnstraße betrachten, wo ein*e Korrespondent*in die Probleme in den anderen Ländern  schildert, sondern auch den Blick der Länder untereinander zeigen.

Wenn Du auf die bildredaktionelle Praxis deutscher Medien schaust, welche Trends beobachtest Du da?

Erstmal habe ich das Gefühl, dass es vor allem um Teaserbilder geht, die meistens von Agenturen kommen. Die gab es schon immer, aber bei vielen Beiträgen reduziert es sich immer mehr darauf. Es gibt bei den großen Medien zwar auch noch Fotostrecken, aber ebenfalls in geringerem Umfang. Dann würde ich sagen, dass die Bilder online immer kleiner und im Print immer größer werden. Bei den Onlineausgaben der New York Times oder vom Spiegel sieht man, dass alles immer kleinteiliger wird. Bezogen auf die Bildsprache beobachte ich, natürlich mit Ausnahmen, dass es oft profaner wird. Da wird einfach irgendein Bild genommen, weil zum Teil keine Bildredaktionen mehr existieren und damit einfach die bildredaktionellen Kompetenzen fehlen. Weil die Bildagenturen aber oft gute Vorarbeit leisten, gibt es trotzdem zumindest eine ordentliche fotografische Qualität. Und bei  Medien wie z.B. der ZEIT sehe ich, dass sich zunehmend eine Symbol-Bildsprache entwickelt hat, weil es oft um Themen geht, die man nicht einfach so fotografieren kann. Ein weiterer Trend ist, dass die Instagram Accounts der Verlage zunehmend  die Bildberichterstattung in den Medien ergänzen. Dort passiert fotografisch oft mehr als in den Medien selbst. Und es werden natürlich auch immer mehr Inhalte von den sozialen Medien in die Artikel der digitalen Angebote zurückgespielt, sowohl Text als auch Bildmaterial. Man muss dann kein*e Fotograf*in mehr losschicken, sondern bettet einfach die Bilder von Instagram oder Twitter in den Artikel ein.

Du hast von der Notwendigkeit bildredaktioneller Kompetenz gesprochen. Was ist für dich die zentrale Kompetenz für Leute, die als Bildredakteur*in im Journalismus arbeiten?

Was Bildredakteur*innen im journalistischen Bereich klassischerweise mitbringen müssen, ist ein journalistisches Bildverständnis und eine Neugier und Wissen über gesellschaftliche Prozesse. Mehr als je zuvor ist es auf diesem harten Markt wichtig, das besondere Bild zu finden, das dem Thema gerecht wird und die Leser*innen dazu triggert, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Dann sollten sich Bildredakteur*innen auch auf einer Textebene mit Bildern beschäftigen können. Bei n-ost etwa bin ich auch zuständig für die BUs, weil ich weiß, warum ich ein Bild nehme und das dann in der BU auch artikulieren möchte. Wichtig finde ich auch, selbst einen Bildbeitrag umsetzen zu können oder zumindest gleichberechtigt mitzuwirken. Oft haut es nicht hin, wenn die Bildredakteur*innen die Bilder raussuchen und danach die Textredakteur*innen separat etwas dazu schreiben. Das ist dann manchmal ein bisschen flach oder man merkt, dass das zwei verschiedene Leute gemacht haben. Was außerdem wichtiger wird und was wir bei n-ost propagieren, ist, dass Bildredakteur*innen im Journalismus  eine transnationale Perspektive einbringen. Was Bildredaktion für mich ausmacht, ist eine Scharnierfunktion zwischen formalem Bildverständnis, der inhaltlichen Bedeutung und dem Kontext von Bildern.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview ist Teil eines Projektes zur Bildredaktionsforschung von Felix Koltermann am Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie der Hochschule Hannover. Im Rahmen einer Kooperation erscheint das Interview auch auf M Online, dem ver.di-Medien-Magazin „Menschen Machen Medien“. 

Bislang in der Serie auf EJO veröffentlicht:

„Die Fotografie ist so wichtig wie nie“

„Es geht immer um journalistische Inhalte“

Harte Konkurrenz für Fotojournalisten

„Jedes Format muss einen Sinn ergeben“

„Wenn einer ständig nur ans Design denkt, dann wird das nichts“

 

 

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