Die Strukturen des zeitgenössischen Bildermarktes sowie des deutschen Tageszeitungsjournalismus stehen in einem engen Wechselverhältnis zu den Arbeitsbedingungen von Fotojournalist*innen. Was das genau bedeutet, erörtert Sabine Pallaske, Vorsitzende der Mittelstandsgemeinschaft Fotomarketing (mfm).
Felix Koltermann: Ist der Zeitungsjournalismus für Fotojournalist*innen noch ein lukrativer Markt?
Sabine Pallaske: Den klassischen „Zeitungsmarkt“ gibt es so nicht mehr. Die Zeitung als ein täglich erscheinendes, aktuelles gedrucktes Medium wurde abgelöst von sich ständig aktualisierenden Online-Versionen des Ursprungsformats Tageszeitung, Wochenzeitung oder Magazin. Für die in dieser „Standard-Berichterstattung“ tätigen Fotojournalist*innen kann meiner Erfahrung nach nicht mehr von einem „lukrativem“ Markt gesprochen werden. Die Anbieter*innen sind großer Konkurrenz ausgesetzt und Festanstellungen durch einzelne Medienanbieter sind eine Seltenheit geworden. Und auch „exklusive“ Verträge gibt es immer seltener. Die Fotojournalist*innen konkurrieren nicht nur untereinander, sondern auch mit Angeboten großer Content-Verbreiter.
Im lokalen Markt konkurrieren die Fotojournalist*innen nicht nur mit mitfotografierenden Journalist*innen („…wenn du eh da bist, du hast dein Handy dabei, dann kannst du ja auch ein Bild machen“), sondern auch mit dem riesigen Angebot an „Symbolbildern“ und nicht zuletzt mit den Abo- oder Flatratemodellen von überregional agierenden Mitbewerbern wie den Bilderdiensten oder den großen Content-Anbietern. Im nationalen Markt verdichtet sich die Konkurrenz weiter. Und im internationalen Markt sehen sich Fotojournalist*innen auf jeden Fall den großen Bildanbietern/Content-Lieferanten als Bedrohung ausgesetzt. Immer mehr Fotojournalist*innen können ihre Bilder nur noch über Bildagenturen oder Content-Anbieter vertreiben, die natürlich eigene Vereinbarungen mit den Bildnutzern haben. Das Honorar misst sich immer mehr an Rahmenverträgen und Abrechnung nach Bild wird zum großen Teil nach Abo- oder Flatrate-Modellen vorgenommen. Entsprechend niedrig ist das Honorar, teilweise bis zu Euro-Cent-Beträgen.
Was sind Trends in der Fotografie im deutschen Zeitungsjournalismus?
Die ästhetischen Trends einmal dahingestellt – das ist eine eigene Diskussion – muss in der aktuellen Berichterstattung im Zeitungsjournalismus das Bild die Protagonist*innen sowie das Ereignis abbilden und zur Headline passen. Im Zweifelsfall stellt dabei die Bildunterschrift den Zusammenhang her. Wichtig sind die vom Verlag aus Kostengründen vorgegeben Quellen. Das sind in den meisten Fällen die, mit denen Rahmenvereinbarungen bestehen. Der Trend geht also dahin, zuerst in den verlagsseitig aus Kostengründen vorgegebenen Quellen zu recherchieren und dann eventuell die Suche zu erweitern soweit es der Kostenrahmen erlaubt.
Was sind denn die wichtigsten Akteure, wenn es um die Fotografie im Zeitungsjournalismus geht?
Neben den „klassischen“ Nachrichtenagenturen wie dpa, AP, Reuters sind Getty Images, Shutterstock und Imago sowie Screenshots aus Social-Media die zentralen Lieferanten für „visuellen Content“. Oft wird auch auf vermeintlich „kostenlose“ Quellen wie Pixabay, Unsplash oder diverse CC-Lizenzen zurückgegriffen. Dazu kommen die „mitfotografierenden“ schreibenden Kolleg*innen sowie die neuen „multimediafähigen“ Journalist*innen, die oft selbst auf freiberuflicher Basis arbeiten.
Welche Rolle spielen die Empfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (mfm) im Zeitungsjournalismus?
Die mfm wird häufig falsch dargestellt und eingeschätzt. Deswegen zuerst eine Klarstellung: Es gibt keine mfm-Empfehlungen, da die mfm keine Empfehlungen aussprechen kann. Was es gibt, sind die mfm-Honorare als eine Übersicht marktüblicher Vergütungen für Bildnutzungsrechte. Journalistisch orientierte Fotograf*innen und Bildagenturen können bei Anfragen, die über eine „Standard-Bebilderung“ hinausgehen, durchaus der mfm entsprechende oder darüber hinaus gegebene Honorare erzielen. Und zwar nicht nur für Promi-abhängige Paparazzi-Bilder. Die mfm-Honorare bieten also bei Beauftragungen mit vorgegebenem Nutzungsrahmen eine gute Grundlage, das übliche Honorar einschätzen und für die Nutzung entsprechend formulieren zu können.
Wie werden die mfm-Honorare erhoben?
Die mfm erhebt jedes Jahr in einer Umfrage Einzelbildhonorare, ausdrücklich unabhängig von Vereinbarungen zu Mengenrabatten oder langfristigen Verträgen einzelner Anbieter. Diese fließen dann in die statistische Auswertung ein, die wiederum in der Broschüre sowie der App dargestellt werden. Die mfm als „Gremium“ setzt sich zum einem zusammen aus Bildagenturen sowie zum anderen aus den korporativen Mitgliedern wie DJV, FREELENS, dju/ver.di, BFF, AGD, BVAF, CV, DGPh, AWI, BVAF, Pic-Verband und AWI. Letztlich sitzen da also die wichtigsten Urhebervertreter visuellen Contents zusammen. Zusätzlich nehmen an den regelmäßigen Round-Tables der mfm unabhängige Expert*innen von Anbieter*innen- wie Nutzerseite teil, um zu einer neutralen Übersicht und Diskussion zur Marktüblichkeit von Nutzungsarten und deren Honorare zu führen.
Viele Tageszeitungen haben heute keine eigenen Bildredakteur*innen mehr, geschweige denn Bildressorts. Sind normale Redakteur*innen für diese Tätigkeiten qualifiziert?
Nein, nicht „by nature“. Bildredakteur*innen müssen über ein umfassendes Wissen verfügen: Welche Quellen kann ich nutzen? Wie sieht es mit Lizenzrechten, mit Persönlichkeitsrechten oder anderen Rechten Dritter aus? Kann ich der Bildquelle vertrauen? Kann das Bild eingesetzt werden? Das sind Entscheidungen, die heutzutage in kürzester Zeit getroffen werden müssen. Der Verzicht der Verlage und Medienanbieter auf im Wortsinn journalistische wie gestalterische Bildinhalte jenseits des „Layout-Fittings“ im Print und das Online-first sind eigentlich der Tod des redaktionellen Bildes.
Was zeichnet gute Bildredakteur*innen aus?
Neben dem bereits Gesagten braucht eine gute Bildredakteurin oder ein guter Bildredakteur eine gute visuelle Ausbildung bzw. ein visuelles Wissen. Die Beliebigkeit von Agentur- und Symbolbildern trägt zur Beliebigkeit der Medien bei. Gute Bildredakteur*innen finden die optische Entsprechung zum Text, die zum Alleinstellungsmerkmal in der visuellen Präsenz der Zeitung werden und können über eine gute Bildunterschrift den Bezug zum benutzten Bild herstellen.
Braucht es eine gezielte Ausbildung für Bildredakteur*innen?
Ja. Oder zumindest eine entsprechende Weiterbildung. Bildredakteur*in ist meiner Erfahrung nach bei Zeitungs- wie Zeitschriftenverlagen – genauso wie das Pendant „Artbuyer*in in der Werbung – inzwischen zu einer Art „Nebenjob“ geworden. Wir haben es letztlich – aus Arbeitgebersicht – mit reinen Contentbeschaffer*innen oder Pixelschubser*innen zu tun.
Befristete Verträge, die Beschäftigung als Freie, die Aufgabenverteilung an Quereinsteiger*innen aus Webdesign oder IT, all das gehört heute zum Alltag. Die Komplexität, Bildangebote einschätzen und AGB, Lizenzbedingungen deuten zu können sowie das tatsächlich – auch optisch – passende Bild zu finden, ist kein Nebenbei und sollte auch so nicht behandelt werden. Das soll die Arbeit der Bildredakteur*innen nicht schmälern – sie sind meist ins kalte Wasser geworfen worden und machen den Job, den sie angesichts der Umstände machen können, so gut wie möglich. Das sollte natürlich honoriert werden, zumal viele Bildredakteur*innen Weiterbildung auf eigene Kappe nehmen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde vor dem Corona-Ausbruch geführt.
Das Interview ist Teil eines Projektes zur Bildredaktionsforschung von Felix Koltermann am Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie der Hochschule Hannover. Im Rahmen einer Kooperation erscheint das Interview auch auf M Online, dem ver.di-Medien-Magazin „Menschen Machen Medien“.
Bislang in der Serie auf EJO veröffentlicht:
„Die Fotografie ist so wichtig wie nie“
„Es geht immer um journalistische Inhalte“
Schlagwörter:Bildagenturen, Bildredakteure, Fotografie, Fotojournalismus, Mittelstandsgemeinschaft Fotomarketing, Sabine Pallaske, Zeitungsjournalismus