Für mehr Gleichberechtigung in französischen Medien

2. August 2018 • Internationales, Qualität & Ethik • von

Auch wenn es sicher einen langen Atem brauchen wird, die vielschichtigen Ursachen der Benachteiligung von Frauen in den Medien zu bekämpfen: Es gibt immer mehr Initiativen, die diesem Problem entgegenwirken wollen. Pamela Morinière stellt einige aus Frankreich, der Schweiz und Belgien vor.  

„Wir werden auf den Titelseiten keine sexistischen Klischees mehr akzeptieren.“ In einem Manifest, das 2014 in der französischen Tageszeitung Libération veröffentlicht wurde, kritisierte die Frauenorganisation Prenons la une, dass nur wenige Frauen in der aktuellen Berichterstattung vorkämen, und wenn, würden sie nur selten als Expertinnen zitiert werden. Das Manifest wurde von 800 Journalistinnen und Journalisten unterschrieben. Viele andere Verbände, Gewerkschaften und Medien in Frankreich sowie in den frankophonen Regionen der Schweiz und Belgiens teilen ihre Ansicht und es sind mehrere Initiativen entstanden, die sensibilisieren und zur Gleichberechtigung in Redaktionen beitragen möchten.

Es geht ihnen dabei um den Anteil der Frauen, die in der Berichterstattung vorkommen, um die Rollen, die ihnen zugesprochen werden (Opfer oder Expertinnen?), um die Anzahl der Beiträge, die von Journalistinnen stammen, und um die Präsenz von Frauen auf Entscheidungspositionen in Medienunternehmen. Ihrem Wunsch nach Wandel stehen tief verwurzelte journalistische Routinen und ein Widerwille gegen Veränderungen in der Führungsetage der Medien gegenüber.

Zahlen, die betroffen machen

Die Ergebnisse des Global Media Monitoring Project (GMMP), ein Bericht, der seit 1995 alle fünf Jahre weltweit die Stellung der Frau in den Medien untersucht, zeigen, dass Frauen in der Berichterstattung eine eher untergeordnete Rolle spielen. 2015 machten Frauen nur 24% der Personen aus, über die berichtet wurde. Im Vergleich zum Bericht aus dem Jahr 2010 hat sich die Lage damit keinesfalls verbessert. In den 114 untersuchten Ländern tauchen Frauen nur selten als Expertinnen auf (19%), sondern viel häufiger als Zeuginnen, die von persönlichen Erlebnissen erzählen (38%). Nur wenige Reportagen porträtieren Frauen als Akteurinnen in der Wirtschaft. Zwar machen Frauen weltweit 40% aller bezahlten Angestellten aus, in der Berichterstattung kommen sie aber nur zu 20% vor.

Auch die Zahlen für die europäischen frankophonen Länder alarmieren. Im französischsprachigen Belgien machen die Frauen laut dem GMMP 21% der Personen, über die berichtet wird, aus, in Frankreich 24% und in der französischen Schweiz 25%.

Eine wahrhafte Mobilisierung

In Frankreich ist die Website Les Nouvelles NEWS eine der Pioniere für gendergerechte Berichterstattung. Das „Magazin für allgemeine Information mit einem feministischen Blick“ wurde 2009 von der Journalistin Isabelle Germain als Reaktion auf das Desinteresse vieler Medien gegenüber mehr Gleichberechtigung ins Leben gerufen. Es deckt frauenfeindliche Praktiken in den Medien auf und thematisiert sowohl Sexismus als auch Bemühungen um Gleichberechtigung.

Die französische Journalistinnenorganisation Prenons la une hat sich 2014 in den Kampf für mehr Gleichberechtigung gestürzt. Mitbegründerin Claire Alet erklärte die Motivation für das Projekt damals mit „der Abwesenheit von Expertinnen in der Berichterstattung und dem Interesse, auch im Journalismus ein Netzwerk für Frauen einzurichten, wie es das in anderen Berufsfeldern schon lange gibt.“

Neben dem Manifest in Le Temps hat die Organisation Empfehlungen zur Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen und ein „Rebellionshandbuch“ für Frauen in Redaktionen veröffentlicht. Sie prangert Sexismus in den sozialen Medien an und kritisiert das männerdominierte Fernsehprogramm, unangemessenen Sprachgebrauch in der Presse und diskriminierende Berichterstattung über bestimmte Themen.

Auch der frankophone Zweig des belgischen Journalistenverbandes AJP hat es sich zur Aufgabe gemacht, die schwachen GMMP-Ergebnisse der französischsprachigen Länder Europas zu verbessern. AJP geht sogar einen Schritt weiter: „GMMP ist ein exzellentes Werkzeug für die globale Ebene. Aber die qualitative Analyse hängt auch stark von den unterschiedlichen Interpretationen in den einzelnen Ländern ab“, erklärt Generalsekretärin Martine Simonis. AJP erstellt deshalb eigene Barometer zur Position der Frauen in der Tagespresse. In Verbindung mit ähnlichen Studien des belgischen Hohen Rates für audiovisuelle Medien (CSA) sollen die erhobenen Daten Journalisten und Redaktionen sensibilisieren.

In der Schweiz haben die GMMP-Ergebnisse von 2005 die Journalistengewerkschaft Impressum, das Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM) und die Gewerkschaft Syndicom auf den Plan gerufen. Gemeinsam veröffentlichten sie 2014 einen Leitfaden zu einer gendergerechten Berichterstattung in den Medien.  

Expertendatenbanken sollen Gleichberechtigung unterstützen

Alle Initiativen haben ein essentielles gemeinsames Anliegen: Dass mehr Frauen in den Medien zu Wort kommen. Helfen könnte ihrer Ansicht nach dabei die Einrichtung einer Expertendatenbank, die das systematische Zurückgreifen auf die immer gleichen – oft maskulinen – Quellen vermeiden würde. Es geht ihnen darum, auch Expertinnen den Platz in der Informationskette zu sichern, der ihnen aufgrund ihrer Fähigkeiten zusteht.

Die Schweizer Zeitung Le Temps hat 2017 eine frei zugängliche Expertendatenbank eingerichtet. „Wir haben die Adressen der Expertinnen und Experten, die wir zu Rate ziehen, miteinander geteilt und die Datenbank ist immer weiter gewachsen“, erzählt die Journalistin und Ideengeberin des Projekts Mathilde Farine. Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März 2017 hat die Zeitungsredaktion aber auch einen prüfenden Blick auf sich selbst geworfen und den geringen Frauenanteil von 27% auf ihren Seiten für Debatten und Meinungen hinterfragt. Von April bis Mai 2018 hat sie eine Artikelserie veröffentlicht, die die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau sowie Lösungsansätze thematisierte.

2012 haben die Journalistin Marie-Françoise Colombani und der ehemalige afghanische Diplomat Chekeba Hachemi die Datenbank expertes.fr gestartet, die heute mehr als 3700 Einträge enthält. Sie sind sortiert nach den Kriterien „Beruf“, „Recherche“ und „Zivilgesellschaft“. Die Datenbank wird von France Télévisions und Radio France unterstützt und macht jede Woche auf Expertinnen und Experten aufmerksam, die sich zu bestimmten aktuellen Ereignissen äußern können.„Je mehr Expertinnen sich äußern, umso mehr werden sie zu inspirierenden Vorbildern, was schließlich zu mehr Wertschätzung von Frauen in der Informationsbranche führen wird“, sagt Martine Simonis von AJP.

Die Datenbank expertalia.be von AJP umfasst mehr als 400 Expertinnen und Experten, die Mehrzahl sind Frauen. „Die Ergebnisse unserer Studien zur Diversität waren erschreckend – sowohl, was die ethnische Vielfalt angeht als auch in Bezug auf die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Wir haben uns deshalb entschieden, diesen beiden Problemen entgegenzuwirken“, erklärt sie.

Auch AJP rückt regelmäßig Expertenprofile mit Bezug zu verschiedenen Thematiken in den Vordergrund und arbeitet dabei mit RTBF, dem frankophonen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Belgien, zusammen, um in Redaktionen bekannter zu werden. Es werden auch kostenlose Coachings angeboten, die Expertinnen und Experten im Umgang mit Journalisten und Medien trainieren.

Nach dem Weinstein-Skandal

Der nachhallende Effekt der Weinstein-Affäre, die die New York Times aufdeckte, hat entscheidend dazu beigetragen, Opfern sexueller Gewalt einen Sprachraum zu schaffen und außerdem eine Debatte über den journalistischen Umgang mit diesem Thema angestoßen.

Christophe Berti, Chefredakteur der belgischen Tageszeitung Le Soir, sprach in einer von AJP organisierten Konferenz über die „Antriebswirkung“ des Skandals. „Wir hatten vor kurzem einen ähnlichen Fall mit dem Verantwortlichen eines Theaters in Brüssel“, erzählt er. Die Zeitung hat ihre Berichterstattung zu Themen wie Gleichberechtigung und Feminismus intensiviert und Redakteure speziell für diese Themenbereiche abgestellt.

„Seit #MeToo hat sich die Wirkung verstärkt“, freut sich Martine Simonis über die Bewusstseinsveränderung in Redaktionen. So hat auch AJP im April 2018 eine Studie über die mediale Verarbeitung von Gewalt in der frankophonen Presse sowie Empfehlungen für Redaktionen veröffentlicht. „Das Zusammenspiel all dieser Initiativen und der aktuelle Anlass [die Affäre Weinstein] haben die Dinge beschleunigt“, so Arnaud Bihel, Journalist bei Les Nouvelles NEWS.

Das Engagement der Redaktionen bleibt verhalten

Trotz allem ist der Kampf noch lange nicht gewonnen. Die im Mai 2018 veröffentlichte EJO-Analyse zu Frauen in Print- und Online-Medien in 11 Ländern demonstriert unter anderem, dass knapp die Hälfte (43%) der Fotos nur Männer zeigen und nur 15% ausschließlich Frauen. Die Analyse legt auch dar, wie verhalten viele Redaktionen und Medienhäuser noch auf diese Missstände reagieren. Diese fehlende Bereitschaft hat eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten kürzlich in einem Appell auf der englischen EJO-Seite kritisiert.

Eine Kultur der Gleichberechtigung bezieht nicht nur die Inhalte der Berichterstattung, sondern auch das Arbeitsumfeld mit ein. Isabelle Germain von Les Nouvelles News betont, wie wichtig es sei, dass Personen in Führungspositionen in Bezug auf diese Fragen sensibel seien und ihnen Bedeutung beimäßen.

Noch immer werden die meisten Medien von Männern geleitet. Eine Studie, die im Februar 2018 von Nordicom veröffentlicht wurde, der Medienforschungsstelle der Universität Göteborg, zeigt, dass bei den 100 größten Medienorganisationen weltweit 80% der Führungskräfte und 94% der Vorstandsvorsitzenden Männer sind.

Die Mentalität wandelt sich in den Redaktionen nur langsam. „Es passieren immer noch Fehler, zum Beispiel werden falsche Begrifflichkeiten benutzt“, sagt Claire Alet von Prenons la une. „Ein erzwungener Oralverkehr ist eine Vergewaltigung, wird aber oft dennoch nicht als solche bezeichnet. Es ist wichtig, dass hier eine gewisse Veränderungsbereitschaft besteht.“

Prenons la une hat im März 2013 eine Studie herausgegeben, die die Überrepräsentation von Männern in den Morgensendungen der sechs meistgehörten nationalen Radiostationen in Frankreich untersucht. Das Ergebnis: „In der Prime Time von 7 bis 9 Uhr sitzt keine einzige Frau im Studio, Männer sind in sämtlichen Positionen in der Mehrzahl und doppelt so viele Männer wie Frauen verfassen regelmäßig Kommentare.“ In der Schweiz allerdings hat gerade eine Frau, Romaine Morard, die Morgensendung des öffentlich-rechtlichen Radiosenders La Première übernommen.

Die Ernennung einer oder eines Verantwortlichen in den Redaktionen könnte dazu beitragen, dass das Thema auf der Agenda bleibt. France Télévisions und RTBF haben je einen Verantwortlichen für Gleichberechtigung und Diversität ernannt. Safia Kessas, die den Posten bei RTBF innehat, beschreibt ihre Rolle als die einer „Aufmerksamkeitsschafferin“,  die in den Redaktionen bezüglich einer Einseitigkeit in Arbeitsweisen und Debatten sensibilisiert. Sie weist zum Beispiel auf Ungleichbehandlungen bei der Auswahl von Quellen hin und legt ihren Kolleginnen und Kollegen andere Expertenprofile nahe.  Sie betont, dass ihr Posten so zur „Objektivierung“ beitrage.

Eine weitere Quelle der Inspiration könnte der Posten eines „Gender-Redakteurs“ sein, wie es ihn seit kurzem bei der New York Times oder bei El País gibt. Mit dieser Maßnahme soll eine bereichsübergreifende Vision verwirklicht werden, indem die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei allen Themen geprüft wird.

Nicht zuletzt ist die professionelle Journalistenausbildung ein Schlüsselelement auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung. Die Sensibilisierung in Bezug auf Gender-Fragen und der Kampf gegen Sexismus sind bisher nur in sehr wenigen Journalistenschulen präsent – obwohl es in vielen Schulen Ethikkodizes gibt, die eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbieten.

Einige Medien schaffen es, Aufmerksamkeit auf Ihre Initiativen zu ziehen, indem sie zum Beispiel Barometer über die Repräsentation von Frauen in den Medien veröffentlichen. Mit den vorhandenen Hilfsmitteln bräuchte es nur „15 Minuten pro Artikel“, die richtige Expertin für ein Thema zu finden, verspricht Mathilde Farine in einem Artikel in Le Temps. Trotz der vielen bekannten Informationen über Ungleichbehandlungen und mögliche Wege, diese zu vermeiden, sind die Medien aber noch weit von einer Selbstreflexion ihrer Praktiken entfernt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf der französischen EJO-Seite: La production de l’information peut-elle se défaire de son sexisme ?

Übersetzung aus dem Französischen: Johanna Mack und Tina Bettels-Schwabbauer

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