Journalist:innen stellen nach wie vor eine Berufsgruppe dar, die einem hohen Risiko für ihre mentale Gesundheit ausgesetzt ist – das bestätigen auch aktuelle Studien (z. B. Waisbord, 2022; Media Diversity Institute, 2023; OSCE, 2023). Sie gehören oft zu den ersten, die mit erschütternden Situationen konfrontiert werden und die Verantwortung dafür tragen, darüber zu berichten. Die Kriege in der Ukraine und zwischen Israel und der Hamas, in denen Journalisten zur Zielscheibe werden, erinnern daran, wie wichtig es ist, sie zu schützen und zu unterstützen.
Schwierige Arbeitsbedingungen und wenig regulierte Online-Umgebungen erhöhen die Belastung zusätzlich. Vor allem vulnerable oder marginalisierte Gruppen innerhalb des Berufsstandes berichten über negative Erfahrungen. Diesen Herausforderungen tritt eine wachsende Zahl von Nichtregierungorganisationen (NROs) entgegen, die versuchen, Journalist:innen zu schützen und ihnen bei psychischen Problemen zu helfen. Der ukrainische Journalist und Politikstudent Mykyta Vorobiov hat mit Vertretern der International Women’s Media Foundation (IWMF), Access Now und dem Re-Forum Berlin gesprochen.
Zusammenhängende Herausforderungen
In den letzten anderthalb Jahren habe ich im Gespräch mit meinen Kolleg:innen festgestellt, wie viele Probleme ihre Arbeit beeinflussen. Nach einer Untersuchung der OSZE ist die Lage in Bezug auf die Pressefreiheit und die Sicherheit von Journalisten in nur acht von 180 Staaten (4,4 %) gut. Eine zufriedenstellende Situation gibt es in 40 Staaten, d.h. 22,2 %. Und jedes Jahr kommen neue Probleme hinzu. Dazu gehören neue Kriege und Konflikte, autoritäre Regime, die die Pressefreiheit bedrohen, und ständiger Druck, der zu Problemen mit der psychischen Gesundheit führt. Mehr als 82% der Journalist:innen, die an der OSZE-Untersuchung teilgenommen haben, sind der Meinung, dass der Journalismus stressiger ist als andere Berufe.
Journalist:innen sollten sich ständig weiterentwickeln und ein Gleichgewicht finden, um ihre Arbeit fortsetzen zu können, und es gibt zahlreiche NROs, die sie dabei auf unterschiedliche Weise unterstützen. Den Rückmeldungen meiner Kolleg:innen zufolge sind die meisten von ihnen bei ihrer Arbeit auf verschiedene Weise mit solchen Organisationen in Berührung gekommen, z. B. durch Stipendien, Hilfe für die psychische Gesundheit oder sonstige zur Verfügung gestellte Ressourcen.
Geschlechtsspezifische Diskriminierung
Die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist eines der alten, strukturellen Probleme im Journalismus. Es gibt jedoch Organisationen, die darauf abzielen, das Berufsfeld für alle Geschlechter zugänglicher zu machen. Die International Women‘s Media Foundation (IWMF) ist eine globale Organisation, die sich um die ganzheitlichen Bedürfnisse von weiblichen und nicht-binären Medienschaffenden kümmert.
Ich sprach mit der stellvertretenden IWMF-Direktorin Nadine Hoffman über die Herausforderungen, mit denen diese Personengruppen konfrontiert sind, und wie Nicht- regierungsorganisationen dabei helfen, sie zu mildern. Die IWMF gibt es seit 1990 und ihr Schwerpunkt liegt auf der Förderung von Gleichberechtigung und Anerkennung durch Zuschüsse, Auszeichnungen, Workshops, Stipendien und Förderprogramme. Nadine Hoffmann sieht den Wechsel von demokratischen zu autoritären Führern in einigen Teilen der Welt als einen der entscheidenden Faktoren, die sich negativ auf die Freiheit und Gleichberechtigung von Journalist:innen auswirken.
Ihrer Meinung nach sind Online-Gewaltkampagnen die am weitesten verbreitete Methode, um die Stimmen von Frauen zum Schweigen zu bringen. Es besteht auch eine Tendenz, Online-Bedrohungen in sehr konkrete Drohungen außerhalb des Internet umzuwandeln, wenn zum Beispiel die E-Mail-Adressen und persönlichen Daten von Journalist:innen veröffentlicht werden. Laut ICFG-Daten aus dem Jahr 2022 haben etwa drei Viertel der Journalistinnen (73 %) Online-Gewalt erlebt, und in 20 % dieser Fälle folgten Offline-Angriffe. Die Rolle der IWMF besteht unter anderem darin, Online-Gewalt-Kampagnen zu verhindern und sich dafür einzusetzen, dass auch Regierungen dagegen vorgehen.
Nadine Hoffmann erklärt, dass sie dies durch Umzugsbeihilfen und Zuschüsse für psychische Gesundheit sowie durch Schulungen für Journalist:innen und Redaktionen zur Schaffung eines sicheren Arbeitsumfelds tun. Auch auf höchster Ebene ist die NRO dafür verantwortlich, die Rechte von weiblichen und nicht-binären Journalist:innen zu vertreten. In diesem Zusammenhang prognostiziert Hoffmann, dass das Ergebnis der US-Wahlen 2024 über ihre Erfolgschancen in den folgenden Jahren entscheiden wird.
Persönliche Sicherheit
Kürzlich erschütterte ein aufsehenerregender Fall die osteuropäischen Medien. Galina Timchenko, die Mitbegründerin und Herausgeberin des größten russischsprachigen Oppositionsmediums Meduza, berichtete, dass ihr Telefon mit der Spyware Pegasus gekapert wurde. Angeblich geschah dies, während sie an einer Konferenz in Berlin teilnahm. Sie ist die erste russische Journalistin, die mit der Spyware infiziert wurde.
Experten von Citizen Lab und Access Now halfen ihr, mit dieser Situation und allen damit verbundenen Problemen fertig zu werden. Ich sprach mit Mohammed Al-Maskati, Direktor der Digital Security Helpline bei AccessNow. Er erklärte, dass die Helpline in den rund zehn Jahren ihres Bestehens festgestellt hat, dass die Zivilgesellschaft und die Medien von verschiedenen Seiten angegriffen werden, darunter:
- Regierungen, die weiterhin in Massen- und gezielte Überwachung investieren, um Andersdenkende zum Schweigen zu bringen, sowie in weitere Technologien, die die Menschenrechte und Grundfreiheiten einschränken;
- Unternehmen, die diese Technologien entwickeln, verkaufen und warten, ohne ihre Verantwortung für die Menschenrechte wahrzunehmen oder eine angemessene Sorgfaltsprüfung durchzuführen, die verhindern würde, dass ihre Produkte in die Hände derer fallen, die sie missbrauchen wollen; und
- Dritte, die Desinformationen verbreiten und/oder aggressive Oppositionstaktiken anwenden, um die Zivilgesellschaft zu untergraben, z. B. Verleumdungskampagnen, Hassreden und gezielte Belästigungen.
Dieses Spektrum ist ziemlich breit gefächert – Journalist:innen allein wären kaum in der Lage, organisierte Angriffe zu bewältigen, die viel Planung, ein großes Budget und das Können von Hackern erfordern. Mohammed erklärt, dass die Hilfe der NRO den Journalist:innen ermöglicht, sich weiterhin auf die Information der Öffentlichkeit zu konzentrieren, ohne ihre Sicherheit zu gefährden, denn “die Art der Unterstützung, die wir anbieten, ist hochspezialisiert und erfordert beträchtliche Kapazitäten, für deren Entwicklung Medienorganisationen oft nicht die Zeit und die Mittel haben”.
Darüber hinaus fordert und befürwortet Access Now in seiner Arbeit, dass alle Staaten ein weltweites Moratorium für Export, Verkauf, Weitergabe, Wartung und Einsatz gezielter digitaler Überwachungstechnologien einführen, bis strenge Menschenrechtsgarantien zur Regulierung solcher Praktiken eingeführt sind. Manchmal ist ihre Arbeit jedoch enger gefasst, denn wenn es Beweise dafür gibt, dass kommerzielle Spyware-Technologie Menschenrechtsverletzungen erleichtert oder ermöglicht, setzt sich AccesNow für ein Verbot bestimmter Technologien und ihrer Anbieter ein, auch in der EU.
Mentale Gesundheit
Unter Berücksichtigung aller oben genannten Beispiele und der Risiken, denen Journalist:innen begegnen, wird auch ihre psychische Gesundheit beeinträchtigt. Laut einer im Jahr 2022 in Kanada durchgeführten Umfrage gaben 69 % der Medienschaffenden an, unter Angstzuständen und 46 % unter Depressionen zu leiden. Olga Galkina, eine russische Oppositionspolitikerin mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in diesem Bereich, ist außerdem Mitglied des Vorstands der Free Russian Foundation und Koordinatorin beim Re:Forum Berlin.
Re:Forum ist ein Netzwerk von Ressourcenzentren, das Journalist:innen, Bürgeraktivist:innen und Menschen im Exil die Möglichkeit bietet, Ressourcen für ihre Projekte zu finden. Es bietet Raum für Co-Working und organisiert Filmvorführungen und Sprachkurse. Weitere Aktivitäten zielen darauf ab, Menschen im Exil bei all den Herausforderungen zu helfen, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, ihre Heimat zu verlassen. In unserem Gespräch erläuterte Galkina die Notwendigkeit, nicht nur mit Ressourcen zu helfen, sondern auch mit verschiedenen Arten von psychologischer Unterstützung. Anfang 2022 war Olga Galkina gezwungen, mit ihren Kindern auszuwandern, nachdem sie als Politikerin eine Anti-Kriegs-Erklärung abgegeben hatte und russische Sondereinsatzkräfte eine Razzia in ihrem Haus durchführten. „Ich habe die ganze Zeit geweint, während die Kinder in der Schule waren“, kommentiert Olga ihre psychische Situation in den ersten Monaten ihrer Emigration.
Sie weiß also aus eigener Erfahrung, wie sich Menschen fühlen, die aufgrund ihrer Aktivitäten ihre Heimat verlassen müssen. Das Re:Forum Berlin bietet zwei Arten von Hilfe an. Die erste ist kostenloses Yoga, die andere Selbsthilfegruppen mit professionellen Psychologen. Laut Olga besteht ein ständiger Bedarf an neuen Formaten, um die Menschen neben der klassischen psychologischen Hilfe einzubeziehen. Ein solches Projekt ist ein spezieller Gesangskurs, zu dem eine Gruppe von Menschen einfach nur kommt und singt. Das hilft, sich zu entspannen und ein neues Hobby zu finden. Darüber hinaus haben die meisten Veranstaltungen von Re:forum inzwischen einen Vernetzungsteil. Die Organisation sieht, dass ausgewanderte Aktivisten und Journalisten dies wirklich brauchen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit von Re:Forum ist, dass die meisten Menschen, die dort arbeiten, die gleichen Bedürfnisse haben wie ihr Publikum. Das hilft, Aktivitäten zu schaffen, die mehr Menschen einbeziehen – vor allem diejenigen, die sich nicht auf die klassischen psychologischen Hilfsangebote einlassen wollen. Es gibt eine ständige Nachfrage danach, und die NRO versucht ihr Bestes, um diesen Bedarf zu decken.
Das Bewusstsein schärfen
Die Probleme, mit denen Medienschaffende bei ihrer Arbeit konfrontiert werden, sind zahlreich und anspruchsvoll. Um sie zu bewältigen, brauchen Journalist:innen (insbesondere freiberufliche) bisweilen die Hilfe von Organisationen, die ein umfassendes Unterstützungssystem entwickelt haben. Für Medienunternehmen ist es schwierig, ähnliche Ressourcen selbst zur Verfügung zu stellen. Der Aufbau eines besser vernetzten Systems stärkt daher alle Beteiligten.
In den letzten Jahrzehnten hat die Zahl der NRO, die Journalisten unterstützen, zugenommen. Alle Fachleute von Organisationen, die in diesem Artikel zu Wort kommen, haben bestätigt, dass dieser Bereich mit der globalen Weltlage verbunden ist und sich daher ständig weiterentwickeln, verändern und nach neuen Formen des Engagements, der Interaktion und der Zusammenarbeit mit Journalisten suchen muss. Medienschaffende sind nie allein, und für die meisten ihrer Probleme gibt es jemanden, den sie um Hilfe bitten können. Es besteht also keine Notwendigkeit, allein zu gehen.
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