Libanon: Die Corona-Krise und die Medien

24. Juni 2020 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Qualität & Ethik • von

Nachdem die WHO Covid-19 zur Pandemie erklärt hatte, legten die hochgradig parteiischen traditionellen Medien des Libanon vorübergehend ihren üblichen politisierten Ansatz beiseite und konzentrierten sich stattdessen auf das gemeinsame Ziel, die Öffentlichkeit für den Ernst der Lage zu sensibilisieren.

Der Ausbruch von Covid-19 im Libanon hätte kaum zu einem schlechteren Zeitpunkt stattfinden können. Das Land hatte gerade einen massiven politischen Umbruch durchgemacht und befand sich noch immer in der schlimmsten Wirtschaftskrise seiner jüngeren Geschichte. Da sich der Libanon am Rande des Bankrotts befand, standen die Banken kurz vor dem Zusammenbruch und die Arbeitslosenzahlen schnellten in die Höhe. Als ob dies noch nicht genug wäre, sah sich die Regierung, die nach dem Aufstand vom vergangenen Oktober an die Macht kam, auch noch mit der Herausforderung konfrontiert, mit der Anwesenheit von mehr als 1,5 Millionen syrischen und palästinensischen Flüchtlingen umzugehen. Der Libanon hat selbst weniger als 7 Millionen Einwohner. Doch ironischerweise fiel es dem Libanon durch das politische Erdbeben möglicherweise leichter, mit der Pandemie fertig zu werden, als es der Fall gewesen wäre, wenn das Coronavirus früher aufgetaucht wäre.

Die neue Regierung ist ungewöhnlich für den Libanon – es ist eine hauptsächlich technokratische Regierung, die von einem Universitätsprofessor geleitet wird und deren Personal größtenteils aus Akademikern und Spezialisten besteht. Viele Wissenschaftler, die an dem Aufstand beteiligt waren, sind ebenfalls zu Beratern der Regierung geworden. Die libanesische Politik ist traditionell entlang konfessioneller r Linien tief gespalten, da die wichtigsten religiösen Glaubensgemeinschaften des Landes – von denen jede einflussreiche geopolitische Verbündete wie die regionalen Rivalen Iran und Saudi-Arabien hat – um die Macht ringen. Die im Oktober gestürzte Regierung bestand, wie viele ihrer Vorgänger, aus Karrierepolitikern verschiedener Parteien, die das Parteiinteresse an erste Stelle setzten, anstatt als Team zusammenzuarbeiten.

Parteiische Medien

Die libanesischen Nachrichtenmedien spiegeln traditionell die konfessionell orientierte Politik und die konfessionelle gesellschaftliche Zusammensetzung des Landes wider. Die parteilichen Traditionsmedien sind mit den großen politischen Gruppen verbündet, die ihrerseits die wichtigsten religiösen Gruppierungen vertreten. Zu Beginn des Ausbruchs von Covid-19 im Land folgte die Berichterstattung über die Pandemie den typischen parteilichen Linien. Im März und April wurde allerdings für eine kurze Zeit auf die Politisierung des Themas verzichtet, bevor im Mai wieder zur Tagesordnung übergegangen wurde.

Strategische Kommunikation

Einige Kritiker haben zwar in Frage gestellt, ob die neue Regierung tatsächlich politisch völlig neutral ist. Aufgrund ihres technokratischen Charakters war sie aber in der Lage, als Team an einem Strang zu ziehen und eine kohärente Antwort auf die Pandemie zu geben, anstatt sich durch interne Spaltungen ablenken zu lassen. Die Regierung handelte zügig und setzte am 31. Januar 2020, drei Wochen vor der Bestätigung des ersten Falls der Krankheit im Libanon, ein nationales Komitee ein, das sich mit der Reaktion auf Covid-19 befassen sollte. Die Hauptaufgabe des Ausschusses bestand darin, die Vorbereitungen für den Ausbruch der Pandemie als multiministerielle öffentlich-private Partnerschaft zu koordinieren, die als „eine Reaktion der gesamten Regierung” vermittelt werden sollte.

Der nationale Ausschuss richtete zahlreiche Unterausschüsse ein, darunter auch den Unterausschuss für Kommunikation. Dieser befasste sich mit der strategischen Kommunikationskampagne, die am 25. Februar in Zusammenarbeit mit den Traditionsmedien des Landes gestartet wurde, mit dem Ziel, eine transparente Kommunikation zu gewährleisten.

Trotzdem löste der erste bestätigte Covid-19-Fall im Libanon (am 21. Februar) immer noch eine öffentliche Panik und eine Welle von Social Media-Postings aus, die die Verbreitung von Gerüchten, übertrieben hohen Infektionszahlen, Verschwörungstheorien und falschen Informationen begünstigten. Über Facebook und WhatsApp tauschten viele Libanesen gefälschte Videos von kollabierenden Kranken, ungenaue Berichte über Schulschließungen, Übertragungs- und Präventionsmethoden, Fake News über Infizierte, die von der Polizei gesucht wurden und über Infizierte in großen Krankenhäusern und an öffentlichen Orten wie dem Casino du Liban aus.

Konfessionelle Rhetorik

Die Pandemie beherrschte schnell die Nachrichtenagenda in den traditionellen Medien. Die Nachrichtensendungen nahmen anfangs oft einen zynischen Ton an, insbesondere in Bezug auf den Umgang der Regierung mit der Krise. Die Berichterstattung hatte oft eine parteiische und konfessionell orientierte Tendenz. Die Nachricht, dass die erste infizierte Person eine schiitische muslimische Frau war, die von einer Pilgerfahrt in Iran zurückkehrte, gab Anlass zu sektiererischer Rhetorik und löste Forderungen nach einer Schließung der Grenze zu Iran aus.

Beschwichtigungsversuche des Gesundheitsministers Hamad Hasan – ein schiitischer Muslim, der als Unterstützer der mächtigen politischen Gruppe Hisbollah gilt, die von Iran unterstützt wird – wurden mit Sarkasmus und einer politischen Schlammschlacht beantwortet. Einige Nachrichtensender warfen dem Minister vor, das Virus aus Iran importiert zu haben. In den sozialen Medien wurde den libanesischen Schiiten vorgeworfen, das Virus zu verbreiten. Nicht lange danach sorgten Berichte über Infektionen im Zusammenhang mit zwei Jesuitenpriestern für eine andere Art von konfessionell geprägter  Berichterstattung und für Beiträge in den sozialen Medien, die auf christliche Gruppen abzielten.

Diese erste Phase der Pandemieberichterstattung war also durch eine Polarisierung entlang der Konfessionsgrenzen  gekennzeichnet, bei der die Regierung und die Hisbollah von verschiedenen Medien beschuldigt wurden, die öffentliche Sicherheit zu gefährden. Als jedoch die WHO am 11. März Covid-19 zur Pandemie erklärte, wurden die parteiischen Differenzen weitgehend beiseitegelegt. Alte kommerzielle Fernsehsender wie LBCI, MTV und al-Jadeed machten sich eifrig an die Aufklärung der Öffentlichkeit. Der “Stay Home”-Hashtag wurde auf Mobiltelefonen, Fernsehbildschirmen und Social-Media-Plattformen allgegenwärtig und wurde von Fernsehsendern für Aufklärungskampagnen genutzt. Ein Nachrichtensprecher der LBCI verhöhnte Menschen, die den Ratschlag, zu Hause zu bleiben, nicht befolgten, während die Hauptnachrichtensendung von MTV ihre Autorität überschritt und den Ausnahmezustand ausrief, was die Regierung selbst abgelehnt hatte.

Fokus auf Gesundheitsnotstand

Anfänglich widersprachen sich die Berichte über Infektionsraten und Todesfälle oft, später aber wurde die Berichterstattung konsistenter und genauer. Viele Medien griffen auf offizielle Statistiken des öffentlichen Krankenhauses von Beirut und Informationen von einer Website, die vom Informationsministerium in Zusammenarbeit mit der Armee und dem Gesundheitsministerium eingerichtet wurde, zurück. Sie nutzten auch öffentliche Bekanntmachungen und Fact Checking-Seiten zur Faktenüberprüfung.

In den Medien wurde regelmäßig über Behandlungsmethoden, die Auswirkungen der Krankheit auf die Menschen und die mögliche Entwicklung eines Impfstoffs berichtet. Häufig gab es auch Interviews mit Ärzten und medizinischem Fachpersonal. Eine Zeit lang übertönten die Nachrichten über die Pandemie fast das übliche Gezänk zwischen den Konfessionen.

Die libanesische Regierung wurde in den internationalen Medien für ihr rasches und entschlossenes Handeln bei der Bekämpfung des Virus gelobt, durch das die Todesrate viel niedriger gehalten werden konnte als in vielen anderen Ländern. Doch im Mai, als sich die Wirtschaft in einem schlimmeren Zustand als je zuvor befand und fast die Hälfte der Bevölkerung unter die Armutsgrenze rutschte, begann dies wie ein Scheinsieg zu erscheinen – Oppositionsgruppen verloren keine Zeit, darauf hinzuweisen. Als sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechterte, begannen erneut Straßenproteste, und die Medienberichterstattung über die Pandemie wurde allmählich parteiischer und politisierte sich wieder.

 

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