Spanische Journalisten und ihre Rolle in der Pandemie

27. Juli 2021 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Über Maßnahmen informieren, unterhalten und ablenken, oder die Mächtigen kritisieren und kontrollieren? Eine Bachelorarbeit hat das Rollenverständnis von spanischen Journalistinnen und Journalisten während der Corona-Pandemie untersucht.

Als die Corona-Pandemie sich Anfang 2020 nach Europa ausbreitete, traf sie als eines der ersten Länder Spanien besonders hart. Ab März herrschte in dem Land für über drei Monate eine Ausgangssperre. „Es war eine Situation, die uns alle in der Hand hatte, auf die niemand von uns vorbereitet war“, sagte der Redakteur eines spanischen Medienmagazins in einem Leitfadeninterview.

Er und neun weitere Personen, die in Spanien journalistisch arbeiten oder gearbeitet haben, wurden für eine Bachelorarbeit am Institut für Journalistik der TU Dortmund über ihre Erfahrungen während der Corona-Pandemie befragt. Ziel der Arbeit war es, Erkenntnisse über das Rollenverständnis von Journalistinnen und Journalisten in der Pandemie zu gewinnen.

Schließlich stellte die Krisensituation mit einem Mal neue Anforderungen an die Journalistinnen und Journalisten. Die Nachfrage nach zuverlässigen Informationen schnellte in die Höhe. Fast alle Befragten berichteten von einem starken Anstieg des Arbeitspensums und des Aktualitätsdrucks. Gleichzeitig erschwerte die Pandemie die Arbeitsbedingungen: Räumlich verlagerte sich die Arbeit plötzlich in die eigenen vier Wände, persönliche Gespräche in der Redaktion fielen weg und die Produktion von Bild- und Tonmaterial mit anderen Menschen wurde vorerst nahezu unmöglich. Dazu kam das Unwissen über das neue Virus und damit die Verbreitung von Falschnachrichten in sozialen Netzwerken.

Zwischen Beobachten und Betroffenheit

Die Krise stellte aber nicht nur den Arbeitsalltag der Medienschaffenden auf den Kopf. Sie betraf die sonst als von außen beobachtenden Journalistinnen und Journalisten auch ganz persönlich in ihrem Privatleben. „Man ist ja auch in der Ausgangssperre, geht seit Monaten nicht raus, hat Angst und Beklemmungen, sorgt sich um seine Familie. Natürlich betrifft einen das auch persönlich“, sagte eine befragte Journalistin. Auch andere Befragte berichteten, dass sie sich um nahestehende Erkrankte sorgten, die Kinderbetreuung im Homeoffice sie herausforderte oder sie unter der Monotonie der Ausgangssperre litten – genau wie viele andere Betroffene.

„Wir haben das Leid aber nicht nur im Fernsehen gesehen, wir haben es direkt vor uns gesehen“, sagte eine Fernsehjournalistin. Es habe Momente gegeben, in denen ihre Kolleginnen und Kollegen geweint hätten, oder sie kurz vor der Liveschalte das Mikrofon in die Ecke werfen wollte.

Es sind solche Spannungen zwischen eigener Emotionalität und professioneller Distanz, aber auch ganz praktische Probleme wie veränderte Arbeitsbedingungen, die teilweise zu neuen Rollenkonflikten bei den Journalistinnen und Journalisten führten.  Beispielsweise schränkten Kontaktverbote die Arbeit mit Protagonistinnen und Protagonisten ein, gleichzeitig bestand jedoch der journalistische Anspruch, die Betroffenen möglichst nahbar zu zeigen, um ihr Leid in der Pandemie authentisch wiederzugeben.

Konflikte wie diese förderten aus Sicht der Befragten manchmal die eigene Kreativität: So ließ man Protagonistinnen und Protagonisten der Beiträge selbst Handyvideos drehen oder zeichnete Videoanrufe statt Studiointerviews auf. „Wir mussten uns eben anpassen“, hieß es von mehreren Befragten. Andere Interviewte sagten, dass die Berichterstattung durch die persönliche Betroffenheit sogar besser geworden sei. „Es hat den Journalismus menschlicher und empathischer gemacht“, sagte eine Journalistin.

Auf der anderen Seite führte die Empathie mit Leidtragenden in der Pandemie auch zu Herausforderungen. Eine Journalistin berichtete von Schwierigkeiten, Auskünfte von Alten- und Pflegeheimen oder kleinen Städten über Todesfälle zu bekommen. „Manchmal wollten sie nicht bestätigen, dass es einen Ausbruch gegeben hat. Dabei taten sie mir auch sehr leid, wenn ich sie angerufen habe, weil sie so traurig waren – das war wirklich nicht schön.“ Eine andere Journalistin sprach an, dass durch die fehlende Distanz zum Geschehen journalistische Objektivität verloren gehen könnte.

Rollentypen diffus und verschwommen

Auf der theoretischen Grundlage von Rollenmodellen wurde im Rahmen der Arbeit versucht, die Rollenverständnisse der Journalistinnen und Journalisten verschiedenen Rollentypen zuzuordnen. So wird beispielsweise nach Thomas Hanitzsch und weiteren Forschenden im Rahmen der Worlds Of Journalismus Studie zwischen der „Watchdog Role“, der „Accomodative Role“, der „Monitorial Role“ und der „Collaborative Role“ unterschieden.

Alle Befragten nannten die Vermittlung von wahrheitsgemäßen Informationen und die damit verbundene öffentliche Aufgabe des Journalismus, wenn sie nach ihrem Rollenverständnis gefragt wurden. Damit zeigten sich Tendenzen zur Accomodative Role.

Insbesondere zu Beginn der Pandemie sahen einige Befragte ihre vorrangige Aufgabe darin, über Entscheidungen der Regierung zu informieren und verhängte Maßnahmen wie die Maskenpflicht zu erklären. Das spricht für Ansätze einer Collaborative Role. Die Aussage einiger Journalistinnen, dass in diesem Zeitraum die Kritikfunktion des Journalismus zu kurz gekommen sei, bestätigt diese Tendenz.

Insgesamt wurde die Kritik- und Kontrollfunktion des Journalismus als vierte Gewalt aus Sicht der Befragten jedoch nicht vernachlässigt. Das zeigt, dass auch Ansätze der Monitorial Role vorhanden sind. Einige Interviewte nannten es als ihr Ziel, zu sensibilisieren und Schwächeren eine Stimme zu geben. Diese Aussagen lassen sich der Interventionist Role zuordnen. Auch das Ziel der Unterhaltung fand in den Antworten auf die Frage nach dem Rollenverständnis in der Pandemie Erwähnung.

Eine internationale Studie zu journalistischen Rollen von Claudia Mellado und weiteren Forschenden kam 2020 bereits zu der Annahme, dass in einer globalen Gesundheitskrise wie der Corona-Pandemie journalistische Rollenverständnisse weniger trennscharf werden könnten. Die Ergebnisse dieser Bachelorarbeit gewährleisten nur einen explorativen Eindruck und keine Repräsentativität, doch sie legen nahe, dass journalistische Rollentypen in der Pandemie tatsächlich stärker verschwimmen. Auch durch die vielfältigen Rollenkonflikte, die festgestellt werden konnten, wurde deutlich, wie kontextabhängig und vielschichtig die Rollenverständnisse in der Krise sind.

Journalismus „wichtiger denn je“

Trotz der verschiedenen Rollenverständnisse wurde recht übereinstimmend klar, dass die journalistische Berufsrolle in den Augen der befragten Journalistinnen und Journalisten durch die Corona-Krise zusätzliche Legitimation und Relevanz gewinnen konnte. Das gilt insbesondere für den Lokal- und Regionaljournalismus. Die Journalistinnen und Journalisten berichteten teilweise auch, dass ihnen mehr Wertschätzung von Rezipientinnen und Rezipienten entgegengebracht wurde. „Wenn er das nicht immer schon war, ist Journalismus jetzt essenziell und wichtiger denn je“, so ein Befragter. Ein anderer Journalist geht noch weiter: „Wir haben als Journalisten gespürt, dass wir Teil der Lösung dieses Problems, der Pandemie, sein können.“

 

Quellen:

Hanitzsch, T., P. Vos, T. P., Standaert, O. & Hanusch, F. (2019). Role Orientations: Journalist’s View on Their Place in Society. In T. Hanitzsch, F. Hanusch, J. Ramaprasad & A. S. de Beer (Hg.), Reuters Institute Global journalism series. Worlds of journalism: Journalistic cultures around the globe (S. 161–198). Columbia University Press.

Mellado, C., Márquez-Ramírez, M., Humanes, M. L., Mothes, C., Amado, A., Davydov, S., Mick, J., Olivera, D., Panagiotou, N. S., Pasti, S., Raemy, P., Roses, S., Schielicke, A.-M., Silke, H., Stępińska, A., Szabó, G. & Tandoc, E. (2020). Beyond Journalistic Norms: Empirical Lessons on Role Perfomance in the News. In C. Mellado (Hg.), Beyond journalistic norms: Role performance and news in comparative perspective (S. 225–244). Routledge.

 

Bildquelle:  Dylan FerreiraUnsplash

 

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