Im September 2015 erschien das 100. Gutachten des Medien-Doktors UMWELT, der seit 2013 die Qualität umweltjournalistischer Beiträge bewertet. Wie die Kriterien für dieses Monitoring-Projekt entwickelt wurden, beschreibt ein Paper der Fachzeitschrift „Public Understanding of Science“. Es berichtet, welche Stärken und Schwächen der Umweltberichterstattung anhand dieser Kriterien ermittelt wurden.
Vier Sterne gab es für den 100. Beitrag, der von den Gutachtern des Monitoring-Projekts am Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus der TU Dortmund bewertet wurde. Damit lag der Artikel, der in der taz erschien und sich mit dem Streit um die mögliche krebserregende Wirkung von Glyphosat befasste, über dem Durchschnitt der bisher begutachteten Beiträge. Im Mittel wurden von den maximal 5 Sternen, die der Medien-Doktor in seinen Gutachten für die Qualität der Berichterstattung vergibt, bislang knapp 3 Sterne (2,8) erreicht. Die Qualität eines Beitrags wird dabei anhand eines transparenten Katalogs von insgesamt 13 Kriterien beurteilt – je mehr davon erfüllt sind, desto mehr Sterne bekommt der Beitrag. Der Jubiläumsbeitrag, der – wie alle begutachten Texte, TV- und Hörfunkstücke – zufällig ausgewählt wurde, konnte in einigen Punkte überzeugen, die sonst eher zu den Schwächen der Umweltberichterstattung zählen: Er macht klar, worum es in der Kontroverse geht, auf welche Belege sich die verschiedenen Risikobewertungen stützen, und es wird auch der politische Kontext des Themas angesprochen.
Eine Auswertung der ersten 50 Gutachten des Medien-Doktors UMWELT, die im August 2015 in der Fachzeitschrift „Public Understanding of Science“ publiziert wurde, zeigt, dass all dies keineswegs selbstverständlich ist. Die größten Mängel des Umweltjournalismus sind demnach nicht unbedingt da zu finden, wo sie oft vermutet werden: Nur knapp ein Fünftel der begutachteten Beiträge tendiert dazu, Umweltprobleme zu übertreiben oder zu verharmlosen. Weit größere Probleme bereitet die Einbettung des Umweltthemas in den Kontext: 42 von 50 Beiträgen vernachlässigen wirtschaftliche, politische und soziale Aspekte. Die traditionell viel beklagten Fehler bei der richtigen Wiedergabe wissenschaftlicher Fakten („Accuracy“) werden zumindest in diesem Sample nicht als eines der Hauptprobleme identifiziert. Gravierend erscheinen dagegen die Mängel bei der Darstellung der Evidenz: Wie gut belegt das präsentierte Wissen tatsächlich ist, wird meist nicht vermittelt. Die Rangfolge der „nicht erfüllten“ Kriterien, wie sie in der Abbildung gezeigt ist, hat sich auch nach weiteren Bewertungen bis zum 100. Gutachten nicht wesentlich verändert.
Hinter diesen Ergebnissen steckt weit mehr als ein bloßes Geschmacksurteil: Jeweils zwei umweltjournalistisch erfahrene Gutachterinnen oder Gutachter bewerten jeden Beitrag anhand eines Kriterienkatalogs. Dieser wurde am Dortmunder Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus eigens für das Projekt entwickelt. Denn anders als im Medizinjournalismus, für den international seit Jahren Kriterien vorliegen, die sich stark an den Normen der evidenzbasierten Medizin orientieren (siehe Projekt Medien-Doktor MEDIZIN), gab es bislang es keine allgemein etablierte Richtschnur für Qualität im Umweltjournalismus. Literaturrecherchen förderten zwar eine lange Liste von Defiziten zutage, die der Umweltberichterstattung angelastet werden: Mal übertreibe sie Umweltrisiken, mal falle sie auf das schönfärberische „Greenwashing“ interessierter Kreise herein; sie konzentriere sich zu sehr auf die Katastrophenberichterstattung und vernachlässige die langfristigen Themen; sie stelle wissenschaftliche Fakten oft falsch dar und berichte selten über Lösungsansätze. Doch eine umfassende konstruktive Bestimmung dessen, was Qualität im Umweltjournalismus ausmacht, fand sich nicht.
Wo weder in der Praxis etablierte noch theoretisch abgeleitete Qualitätskriterien auszumachen waren, schien ein Diskurs unter Experten als gute Möglichkeit, solche Maßstäbe zu entwickeln. Vorbild waren hier Konsensprozesse in der Wissenschaft; mit Neidhardt (2006) wurde der „Konsens hervorragender Experten“ als bestmöglicher Ersatz bei einem „Mangel an rein methodischer Bestimmbarkeit“ angenommen. Ein Verfahren, das nicht zuletzt auch dem Begutachtungsprozess („Peer Review“) bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen zugrunde liegt. Als Experten für die Bestimmung umweltjournalistischer Qualität wurden folglich die „Peers“ einbezogen – erfahrene Umweltjournalisten, die ein hohes Ansehen in der journalistischen Community besitzen.
Um von vornherein die Perspektive von Praktikern einzubeziehen, stand am Anfang 2012 eine Umfrage: Anlässlich eines Seminars zum Thema Nachhaltigkeitsjournalismus wurden rund 30 Umweltjournalistinnen und -journalisten gebeten, spontan drei Anforderungen zu notieren, die „guter Umweltjournalismus“ aus ihrer Sicht erfüllen müsse. Um den Blickwinken zu weiten, wurden außerdem auch Journalistik-Studierende befragt.
Die Ergebnisse dieser Befragungen, die Übernahme einiger angepasster Kriterien aus dem Medien-Doktor MEDIZIN (z.B. Darstellung der Evidenz und Quellentransparenz), sowie die in der Fachliteratur bemängelten Defizite flossen in vorläufige Kriterienlisten ein. Diese wurden anschließend in einem Kreis erfahrener Wissenschafts- und Umweltjournalisten ausführlich diskutiert, mehrfach überarbeitet und an Beispieltexten erprobt.
Nach rund einem Jahr war der transparente Kriterienkatalog fertiggestellt, anhand dessen nun im Projekt Medien-Doktor UMWELT seit Mai 2013 wöchentlich umweltjournalistische Beiträge aus Print-, TV-, Hörfunk- und Online-Medien bewertet werden. Berücksichtigt werden Beiträge zu Umweltthemen, die auch wissenschaftliche Expertise mit heranziehen. Dabei kann es um ein lokales Lärmproblem ebenso gehen wie um das europäische Chemikalienrecht. Ein Großteil der zufällig ausgewählten Beiträge – rund 40 Prozent – befasst sich mit den Bereichen Klima und Energie. Dabei ist der überwiegende Teil der begutachteten Beiträge nach dem Urteil der Gutachter weder ganz schlecht noch von vorbildlicher Qualität. Bei einer möglichen Wertung von null Sternen (kein Kriterium erfüllt) bis fünf Sterne (mehr als 80 Prozent erfüllt), erhalten mehr als zwei Drittel der Beiträge zwei oder drei Sterne.
Wichtiger als die plakativen Sterne sind indes die ausführlichen Kommentare im Gutachten. Diese erläutern nicht nur, warum ein Kriterium jeweils als „erfüllt“ oder „nicht erfüllt“ (oder gelegentlich auch „nicht anwendbar“) erachtet wurde, sondern geben auch Tipps, wie eine bessere Wertung zu erreichen gewesen wäre, oder verweisen auf zusätzliche Quellen und Aspekte. Ein Angebot, das – so zeigen die Rückmeldungen der begutachteten Autorinnen und Autoren – durchaus geschätzt wird. Diese halten die Ansprüche des Medien-Doktors zwar für hoch, und im Redaktionsalltag angesichts von Zeitdruck und mangelnden Ressourcen manchmal schwer umzusetzen, aber gleichwohl für berechtigt. Und nicht selten bedanken sich kritisierte Kolleginnen und Kollegen für die intensive Auseinandersetzung mit ihren Beiträgen. Offenbar hat die Entwicklung der Kriterien in enger Kooperation mit Praktikern zu einem Instrument geführt, das – anders als manche rein akademischen Versuche, wissenschaftsjournalistische Qualität allein durch Fachwissenschaftler beurteilen zu lassen – in der journalistischen Community akzeptiert ist.
Bildquelle: Michael Foley / Flickr CC
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