Eine kritische Berichterstattung gibt es in Zentralasien auch während der Corona-Krise kaum. Medien beschränken sich meist darauf, neue Fälle und Maßnahmen der Regierungen zu verkünden. Dabei gehen Politiker und Journalisten aber auch neue Wege.
Kirgistan: Eingeschränkte Bewegungsfreiheit für Journalisten
Kirgistan ist laut Verfassung eine parlamentarische Demokratie – die einzige im ansonsten autoritär regierten Zentralasien. Das spiegelt sich auch in der Medienlandschaft wider: Sie ist im Vergleich vielfältiger und (regierungs-)kritischer als in den Nachbarstaaten. Doch die Corona-Pandemie stellt auch hier die Presse vor neue Herausforderungen.
In einem Bericht des US-finanzierten Fernsehsenders Nastojaschtschеe Wremja beschreibt die Journalistin Dilja Jusupowa, wie ihre Arbeit momentan aussieht: „Es ist schwierig, etwas über Corona in Erfahrung zu bringen, da die Regierungskommission leider nur wenige Informationen herausgibt und offizielle Stellen auf Nachfragen nicht antworten.“ Viele Politiker und Beamte seien derzeit einfach nicht erreichbar, sagt sie.
Die Regierungskommission, die zur Bekämpfung der Corona-Krise gebildet wurde, hält einmal täglich eine Pressekonferenz ab. Dabei verkündet sie auch widersprüchliche und manchmal sogar falsche Informationen, beispielsweise über die zeitweilige Schließung eines Krankenhauses in der Stadt Dschalalabad. Eine halbe Stunde nach Bekanntgabe stellte der Pressesprecher richtig, dass es um ein Krankenhaus in Osch und nicht in Dschalalabad gehe. Da war die Nachricht jedoch schon veröffentlicht. Bei den Pressekonferenzen ist es Journalisten nicht immer erlaubt, Fragen zu stellen, und selbst wenn, gibt es oft keine Antworten.
Nachdem am 18. März die ersten Corona-Fälle in Kirgistan bestätigt worden waren, wurde unter anderem in der Hauptstadt Bischkek der Ausnahmezustand ausgerufen, der die Bewegungsfreiheit stark einschränkt. Vor allem unabhängige Medien beschweren sich, dass sie für die Zeit des Notstands keine Akkreditierung und ihre Reporter somit keine Passierscheine erhalten haben, um sich frei in der Stadt bewegen zu können. Doch auch staatliche Medien sind betroffen: So erklärte die Chefredakteurin des Fernsehsenders Ala-Too 24 bei Nastojaschtschеe Wremja, dass sie die Abendnachrichten nun früher aufzeichnen, da ab 20.00 Uhr eine Ausgangssperre gilt.
Kasachstan: Neue Vielfalt
Mit der Zahl an Infizierten steigt auch die Anzahl an Berichten über das Coronavirus. Oft verlieren sich die Nachrichten jedoch im Klein Klein. Seitdem am 13. März in Kasachstan die ersten Corona-Fälle ganz Zentralasiens bestätigt wurden, wird praktisch jede Neuinfektion mitgeteilt. Schlagzeilen wie „14 neue Fälle“ wechseln sich mit Überschriften wie „Zahl der Infizierten steigt auf 1362“ ab. Bevor das ganze Land betroffen war, wurden Neuinfektionen für jede Region, Stadt und teilweise sogar für einzelne Stadtbezirke gemeldet.
Die Journalistin Margarita Botscharowa findet die Vielfalt an Themen und Formaten, mit denen sowohl kasachisch- als auch russischsprachige Medien über die Corona-Krise berichten, bemerkenswert: von Livesendungen, in denen Journalisten die aktuelle Lage erklären, über Umfragen bis hin zu Reportagen. „Die Autoren beleuchten alle Lebensbereiche, die von der Ausrufung des Notstands betroffen sind: Arbeit, Bildung, Handel, Restaurants, Schönheitssalons, Sport, Kultur, öffentlicher Verkehr, öffentliche Dienstleistungen, Banken usw.“, analysiert sie in einem Beitrag für Novij Reportjor. Regelmäßig kommen Ärzte, Politikwissenschaftler und Ökonomen in Interviews und Expertenkolumnen zu Wort.
Journalisten recherchieren in Selbstversuchen, wie einfach es ist, auf Corona getestet zu werden, und fragen, wie gut Kasachstan auf die Krise vorbereitet ist. Die Regierung reagiert mit Transparenz: Sie veröffentlicht regelmäßig Statistiken zur Anzahl von Intensivbetten, Beatmungsgeräten und durchgeführten Tests. Selbst kritische Stimmen finden mittlerweile in staatlichen Medien Gehör. So wurde beispielsweise ausführlich über eine junge Ärztin berichtet, die sich bei ihrer Arbeit mit Corona infizierte, sich über fehlende Masken und Schutzanzüge beschwerte.
Geht man nach den Klickzahlen bei Onlinemedien, sind Service-Texte besonders beliebt. „Wer darf sich im Ausnahmezustand noch draußen aufhalten?“, „Welche Geschäfte haben geöffnet?“ und „Wie arbeiten Bildungseinrichtungen?“ sind Fragen, die die Leser interessieren. Das haben auch Politiker verstanden: Pressekonferenzen von Ministern sind praktisch an der Tagesordnung. Dass sie momentan relativ viel Aufmerksamkeit bekommen, ist für Kasachstan, wo sich Medien sonst eher auf den Präsidenten und seinen Vorgänger konzentrieren, ungewöhnlich. Viel gelesen werden auch Geschichten über die Auswirkungen der Quarantäne, zum Beispiel über Menschen, die nicht mehr in die abgeriegelten Städte kommen und nun arbeitslos sind, oder Selbstständige, die ihr Geschäft schließen mussten.
Auf der Jagd nach Klickzahlen kommt es jedoch öfter zu Falschmeldungen. So warnte zum Beispiel ein Unternehmer vor 19 Millionen Corona-Infizierten in Kasachstan, obwohl das Land gerade einmal 18,5 Millionen Einwohner hat. Andere Medien berichteten von chinesischen Grippemedikamenten, die gegen Corona helfen sollen, oder veröffentlichten Interviews, in denen Kasachen als besonders widerstandsfähig dargestellt werden.
Usbekistan: Bloß keine Panik
Obwohl schon im Januar die ersten Berichte über das Coronavirus in usbekischen Medien auftauchten, waren diese trotz der Nachrichten aus China hinsichtlich der Gefahr des Virus eher zurückhaltend. Das änderte sich erst im Februar, nachdem die WHO den Gesundheitsnotstand ausgerufen hatte. Danach ging es vor allem um die Rückkehr usbekischer Staatsbürger aus Ländern, die von der Pandemie besonders betroffen waren. Nachrichten über Covid-19 wurden regelmäßig veröffentlicht und Informationen von der Regierung zur Verfügung gestellt.
Als Kasachstan den ersten Corona-Fall bestätigte, tauchten in sozialen Netzwerken und auf kleineren Blogs Berichte auf, dass es auch in Usbekistan Infizierte gäbe, die die Regierung verheimlichen würde. Am 15. März wurde dann der erste Fall offiziell gemeldet. Boten die Texte bis dahin einen Überblick über die allgemeine Lage, änderte sich das von nun an. Praktisch jede neue bestätigte Infektion zog eine Nachricht nach sich.
In Usbekistan wird eher nüchtern über die Corona-Krise berichtet. Man versucht, Panik zu vermeiden. Dabei werden die Maßnahmen der Regierung eher positiv gesehen, kritische Nachfragen gibt es kaum. Ein weiteres Problem ist die Wahrung von Persönlichkeitsrechten. So veröffentlichten usbekische Medien anfangs noch die Namen von Infizierten, was zu einer Stigmatisierung führte. Der Gesundheitsminister verschlimmerte die Situation noch, als er Betroffenen vorwarf, die Bevölkerung infizieren zu wollen, und sie als Kriminelle bezeichnete.
Die Hauptinformationsquelle ist für viele Journalisten ein von der Regierung eingerichteter Telegram-Kanal, der aktuelle Informationen über die Verbreitung des Virus im Land veröffentlicht. Neben der Zahl der Erkrankten geht es vor allem um die Maßnahmen, die von der Regierung ergriffen werden. Zusätzlich wurde ein Kanal erstellt, der vor Fake News warnt.
Als bevölkerungsreichstes Land hat Usbekistan einen der größten Medienmärkte in Zentralasien. Dennoch mangelt es an Vielfalt. Nachrichten, die auf Russisch und Usbekisch erscheinen, unterscheiden sich kaum. Die Onlinezeitung Gazeta.uz, die qualitativ zu den besseren Medien im Land gehört, veröffentlicht regelmäßig Expertenkolumnen über das Virus und seine Auswirkungen. Doch leidet vor allem die Printbranche auch wirtschaftlich unter der Corona-Krise. Der Werbemarkt ist eingebrochen, etlichen Zeitungen und Zeitschriften droht die Einstellung.
Tadschikistan: Die (eingeschränkte) Macht der Medien
In tadschikischen Medien tauchten die ersten Berichte über das neuartige Coronavirus im Januar auf, vor allem da China im Osten an Tadschikistan grenzt. Seit Anfang März geben die zuständigen Behörden kaum noch Informationen über die Situation an Journalisten weiter, was bereits zu etlichen Falschmeldungen geführt hat. Zudem fehlt es an Experten wie Virologen, die bereit wären mit Medien zu reden. Schon vor Corona waren die Bedingungen in Tadschikistan schwierig. Behörden behindern eine kritische Berichterstattung und greifen in redaktionelle Inhalte ein. Anrufe von Geheimdienstmitarbeitern, Verhöre, Einschüchterungen und Erpressungen gehören zum Alltag unabhängiger Journalisten.
Bisher wurde in Tadschikistan offiziell kein einziger Corona-Fall bestätigt, obwohl bereits mehr als 7.000 Menschen unter Quarantäne gestellt worden sind. Am 17. März veröffentlichte das noch junge Medium Your.tj die Geschichte einer jungen Frau, die bei ihrer Rückkehr aus Amerika unter Quarantäne gestellt wurde. Die Schwangere berichtete von den schlechten hygienischen Bedingungen in dem sowjetischen Erholungsheim, wo sie untergebracht worden war, und dass es an Trinkwasser mangele.
Wenig später postete die Frau, dass sie nach Veröffentlichung des Artikels in einen anderen Raum gekommen sei und sich die Bedingungen verbessert hätten. Laut Radio Ozodi, dem tadschikischsprachigen Dienst des US-finanzierten Radio Free Liberty/Radio Europe (RFE/RL), habe die Kritik in den Medien dazu beigetragen, dass sich die Quarantänebedingungen für fast 500 Menschen verbessert hätten.
Radio Ozodi berichtete außerdem von Hamsterkäufen und Angriffen auf Lebensmittelgeschäfte. In der Folge wandte sich die Regierung über die staatlichen Kanäle an die Bevölkerung, um zu versichern, dass es auch weiterhin genug Lebensmittel gebe. Viele tadschikische Medien meldeten daraufhin jedoch enorme Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln wie Mehl oder Kartoffeln.
In Tadschikistan ist weithin vom „chinesischen Coronavirus“ die Rede. Dementsprechend gibt es vermehrt Berichte über den Boykott von chinesischen Geschäften und Restaurants sowie Diskriminierung gegen Chinesen.
Obwohl die Weltgesundheitsorganisation davor warnte, Massenveranstaltungen abzuhalten, feierte die Regierung noch Ende März das Frühlingsfest Naurys groß. Nachfragen dazu blieben unbeantwortet. Die Staatsmedien berichteten ausführlich über Feierlichkeiten, während die meisten unabhängigen Journalisten kaum etwas veröffentlichten.
Generell halten sich die Medien mit offener Kritik an der Regierung zurück und nutzen stattdessen stilistische Mittel. So titelte beispielsweise die unabhängige Mediengruppe Asia-Plus auf ihrer Webseite kürzlich „Schon wieder Tuberkulose!? Ein Bewohner der Region Schahriston ist gestorben. Seine Familie wurde unter Quarantäne gestellt“. In dem Artikel geht es um Todesfälle seit Ende März. Die Patienten zeigten zwar Corona-Symptome, starben jedoch nach offizieller Darstellung nicht an der Lungenkrankheit, sondern an Pneumonien, Herzversagen und Tuberkulose.
Turkmenistan: „Druckerzeugnisse übertragen Viren“
Keine unabhängigen Medien und ein Präsident, der die Existenz des Coronavirus in seinem Land leugnet: Offiziell gibt es in Turkmenistan keine Fälle von Covid-19. Zwar hatte Turkmenistan frühzeitig auf die Ausbreitung des Coronavirus reagiert und schon im Februar die Grenzen geschlossen, Experten zweifeln dennoch an der offiziellen Darstellung.
Das Problem: Turkmenistan ist eines der abgeschottesten Länder der Welt. Eine freie Presse gibt es in dem autoritär regierten Staat nicht. Im vergangenen Jahr belegte das Land in der Rangliste der Pressefreiheit den letzten Platz. Reporter ohne Grenzen (ROG) bezeichnet Turkmenistan als „ein ständig wachsendes schwarzes Loch“, in dem sämtliche Medien von der Regierung kontrolliert und die wenigen unabhängigen Journalisten, die für ausländische Nachrichtenseiten arbeiten, schikaniert, verhaftet und gefoltert werden.
Kritische Medien finden sich nur außerhalb des Landes, wie zum Beispiel RFE/RL, die in den Niederlanden ansässigen Alternative Turkmenistan News oder die in Wien sitzenden Chronicles of Turkmenistan. Letztere berichteten Mitte April über mindestens sieben bestätigte Corona-Fälle in einem Quarantänelager im Nordosten von Turkmenistan. Die Regierung schwieg bisher dazu.
Da es schwierig ist, unabhängige Nachrichten zu erhalten, wird Turkmenistan oft Gegenstand von Fake News. So meldeten Anfang April mehrere deutsche Medien, dass Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow das Wort „Coronavirus“ habe verbieten lassen. Wer auf der Straße offen über das Thema spricht, dem drohe die Verhaftung, hieß es. Die Nachricht basierte auf einer Meldung von ROG, die sich wiederum auf einen Artikel der oppositionellen Alternative Turkmenistan News stützten. Mittlerweile räumte die NGO selbst ein, dass dies so nicht stimmte.
Neben den staatlichen Medien gibt es in Turkmenistan auch einige privat betriebene Nachrichtenseiten, die jedoch ebenso der Regierungslinie folgen und meist nur die Meldungen der staatlichen Nachrichtenagentur TDH wiedergeben. Trotzdem berichten auch turkmenische Medien über das Coronavirus. Dabei geht es oft um die weltweite Lage, Maßnahmen, die die Regierung ergreift, oder Tipps, wie man sich am besten vor Viren schützt.
In Turkmenistan, wo nach Angaben der Seite „Internet World Stats“ nur knapp 21 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet haben, scheint die Pandemie eine Digitalisierungswelle auszulösen. Berdimuhamedow, der mit den Worten „Viren können durch Druckerzeugnisse übertragen werden“, zitiert wird, hat angekündigt, so schnell wie möglich die elektronische Kommunikation verbessern zu wollen.
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