Erstveröffentlichung: Sueddeutsche.de
Journalisten haben kein Gratisbier zu verschenken – sechs Anmerkungen, wie man Qualitätsjournalismus retten könnte.
Am besten wohl, wir tun, was Karl Marx getan hätte, und stellen die Dinge erst einmal vom Kopf auf die Füße. Beginnen wir also mit der Ökonomie und sorgen für Transparenz, indem wir gleich zu Anfang das bestgehütete Redaktionsgeheimnis lüften: Das Honorar für diesen Beitrag ist nicht der Rede wert, liegt weiter unter dem Satz, der bei der Printausgabe üblich ist. Immerhin wurde ich angefragt, der Süddeutschen, bitte schön, einen Text von 8000 bis 10 000 Zeichen zu liefern – das sind drei bis vier Schreibmaschinen-Seiten. Hand und Fuß haben soll das kostbare Stück natürlich auch, denn sueddeutsche.de ist und bleibt ja online die Süddeutsche Zeitung und ist nicht der Hintertupfinger Kreisanzeiger und auch nicht das Goldene Blatt, das sich im übrigen niemals getrauen würde, solch ein Honorarangebot zu unterbreiten. Im Klartext heißt das: Es ist eine außerordentliche Ehre, für sueddeutsche.de schreiben zu dürfen.
Letztendlich vertrauen wir doch
Wozu noch Ärzte? Wozu noch Rechtsanwälte? Vermutlich würden wir einen Beitrag, der mit solch einer Frage beginnt, nicht weiterlesen. Nur wenige von uns würden sich jedenfalls bei einer Blinddarmreizung einem Quacksalber anvertrauen oder auf die Idee kommen, sich ohne rechtskundigen Beistand vor Gericht zu verteidigen, wenn Freiheitsentzug oder eine hohe Geldstrafe drohen.
Gewiss, wir nutzen auch andere Informationsquellen, seien das die alten Medien oder das Internet, um uns medizinische oder rechtliche Kenntnisse zu verschaffen. Wir möchten uns den Profis ja nicht völlig ausliefern und ihnen zumindest kritische Fragen stellen können. Aber letztlich vertrauen wir ihnen eben doch.
Medienbranche wie die Getränkeindustrie
Wozu noch Journalismus? Analog zu den Ärzten und Rechtsanwälten sollte sich eigentlich auch diese Frage wie von selbst beantworten. Gerade im Zeitalter des Informationsüberflusses, in dem jeder von uns tagtäglich mit so viel Infomüll zugeschüttet wird, brauchen wir professionelle Aufbereitung von Nachrichten mehr denn je. Das Relevante ist vom bloß Interessanten oder gar Unnützen zu scheiden. Ins Dickicht der interessengesteuerten, einseitigen “Gratis”-Kommunikationsangebote der PR-Profis sind außerdem Schneisen zu schlagen.
Wir brauchen zudem “Muckraker” – Staubaufwirbler. So heißen in Amerika Journalisten, die dort herumwühlen, wo die Mächtigen und ihre Heerscharen von Öffentlichkeitsarbeitern und Spindoctors ihr Bestes geben, um Dinge “unter der Decke” zu halten. Dass die Medien als “vierte Gewalt” gelegentlich Skandale und Machenschaften ins öffentliche Rampenlicht zerren, ist – neben der Justiz – noch immer der wirksamste Versicherungsschutz gegen Korruption und Machtmissbrauch.
Bierdosen verschenken
Mit einem vergleichbaren Vertrauensvorschuss wie Ärzte oder Rechtsanwälte können Journalisten allerdings nicht mehr rechnen. Bei der Allensbach-Umfrage nach dem Ansehen von Berufen rangieren Journalisten seit Jahren auf den hinteren Rängen. Und Studien zur Glaubwürdigkeit von Massenmedien belegen regelmäßig, dass diese seit Jahrzehnten abnimmt. Womöglich ist die sinkende Zahlungsbereitschaft der Publika für Journalismus ja eine Art Quittung für dessen Glaubwürdigkeitsverluste. Auch Ärzten oder Rechtsanwälten, denen wir nicht vertrauen, bezahlen wir ja eher ungern ihre Rechnungen.
Wozu noch Journalismus? Die Frage ist schlichtweg falsch gestellt. Die viel wichtigere Frage lautet: Wer ist bereit, für das Öko-System Journalismus, das für das Gemeinwesen unentbehrlich ist und das wir alle brauchen, wie viel zu bezahlen? Und wer lebt derzeit als Trittbrettfahrer von journalistischen Leistungen, für die er nichts bezahlt?
In jüngster Zeit ist es komischerweise in Mode gekommen, die Medienbranche mit der Getränkeindustrie zu vergleichen. Mathias Döpfner, Vorstandschef der Springer AG, hat bei den Münchner Medientagen Nachrichten mit Bier verglichen: “Wenn es Ihre geschäftliche Entscheidung ist, Bierdosen zu verschenken – bitteschön”, sagte er, an Blogger, soziale Netzwerke und Suchmaschinen-Betreiber gewandt. “Aber nehmen Sie nicht unser Bier und offerieren Sie es gratis.”
Schleusen für PR dicht machen
Ariana Huffington, deren überaus erfolgreiche Online-Zeitung Huffington Post exakt auf dem von Döpfner kritisierten Geschäftsmodell beruht, hält dies für “einen bizarren Vergleich”: Information sei nun einmal kein Produkt wie Bier, das nur ein einziges Mal und von einem einzigen Menschen genutzt werden könne. “Wer eine news story konsumiert, kann einer von Millionen sein.” Weil sich alle oder zumindest viele dieselbe Story teilten, sei Döpfners Vergleich “unbrauchbar und verleite zu falschen Schlussfolgerungen”.
Das Problem ist, dass beide ein bisschen recht haben – oder vielleicht ja auch keiner von beiden. Der Erfolg der Huffington Post basiert weitgehend auf dem, was Ökonomen als Trittbrettfahren bezeichnen. Sie verwertet Inhalte weiter, die andere für teures Geld erstellt haben. Das funktioniert indes nur, weil die “alten” Medien bisher ihrerseits auf das wahnwitzige Geschäftsmodell vertraut haben, ihre Nachrichten im Internet gratis zu verteilen, während sie weiterhin dieselben Inhalte gedruckt verkaufen wollen. Das erinnert in der Tat an ein Brauereiunternehmen, das versucht, Bier in Flaschen zu steigenden Preisen an den Mann zu bringen, während es denselben Gerstensaft, in Alu-Dosen abgefüllt, massenweise verschenkt.
Vorschläge zum Überleben
Ich möchte deshalb vom Elfenbeinturm-Ausguck des Medienforschers Verlegern und Journalisten sechs Vorschläge unterbreiten, die dazu beitragen könnten, dass wir, die Publika, weiterhin Qualitätsjournalismus nachfragen und Letzterer somit im Zeitalter des Web 2.0 überleben kann.
1) Verleger sollten nicht Inhalte online verschenken, die sie in gedruckter Form verkaufen möchten.
2) Sie sollten nicht darauf vertrauen, dass sich Journalismus gänzlich oder überwiegend aus Werbung finanzieren lässt. Werbung wandert zwar mit den Publika ins Internet, aber nicht zwingend zu den Newssites. Vor allem das Geschäft mit Kleinanzeigen wird online auch im deutschsprachigen Raum wegbrechen. Craigslist und Kijiji lassen grüßen – dort können Privatpersonen gratis inserieren.
Online sollte weniger kosten als Print
3) Preisvorteile, die sich durch Online-Vertrieb ergeben, sollten Verleger an uns, die Publika, weitergeben. Wer Kosten für Druck, Papier und Zustellung einspart, sollte Kunden daran teilhaben lassen, die auf das Druckerzeugnis verzichten. Ein Online-Abo sollte weniger kosten als ein Print-Abo. Murdochs Preis für die Online-Version der Times, die genauso viel kosten soll wie die gedruckte Ausgabe, ist vermutlich zu teuer.
4) Qualitätsbewusste Verleger sollten die Schleusen für PR eher dicht machen, als sie durch Abbau ihrer Redaktionen weiter zu öffnen. Denn auch die Kommunikationsverantwortlichen auf der Gegenseite sind kühle Rechner: Warum für teure Werbung bezahlen, solange man viele Botschaften kostengünstig und glaubwürdig über Redaktionen an seine Zielgruppen herantragen kann? Und wir, die Leser, Hörer, Zuschauer und User sind auch nicht blöd: Wir sehen nicht ein, weshalb wir für PR-Botschaften bezahlen sollen, die per Mouseclick in “Journalismus” verwandelt wurden.
Die Öffentlich-Rechtlichen produzieren zu teuer
5) Verleger sollten für journalistische Plattformen sorgen, auf denen über Medien und journalistische Produkte berichtet und diskutiert wird, statt nur in Werbung und PR für ihre Häuser, Marken und Produkte zu investieren. Qualitätsbewusstsein – und damit auch Zahlungsbereitschaft für Medienprodukte – entsteht bei uns, den Publika, wenn überhaupt, durch verlässliche Information über Medien und Journalismus, jedenfalls nicht allein durch Werbung und PR. Wie viele Autos weniger würden Premium-Anbieter wie Daimler, BMW, Audi oder Porsche verkaufen, gäbe es keine Auto-Seiten, keine Motorpresse und keine Formel-1-Berichterstattung?
Den Medienjournalismus zurückgefahren zu haben, mag zwar gesundem persönlichem Eigeninteresse der Mediengewaltigen entsprechen. Kein Verleger oder Chefredakteur möchte öffentlich so vorgeführt werden, wie die eigene Redaktion tagtäglich Politiker und CEOs aus anderen Branchen an den Pranger stellt. Wer indes zu schneidig seine Eigeninteressen verfolgt, verhält sich fahrlässig gegenüber dem eigenen Unternehmen und seiner Branche – da unterscheiden sich Banker, die um ihre Boni kämpfen, nur wenig von Chefredakteuren und anderen Medienmachern, die sich aus der Öffentlichkeit heraushalten wollen.
Gerechtere Verteilung der Gebührenmilliarden
6) Im Netz, wo alle Medien konvergieren und Nachrichtenwebsites künftig neben Texten und Bildern auch Podcasts und Videos anbieten müssen, wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu einem übermächtigen Wettbewerber. Verleger und Print-Journalisten sollten diesen Supertanker nicht länger unterschätzen, so wie sie lange Zeit Google und Craigslist unterschätzt haben. Wir brauchen auch mehr Medienjournalismus, um eine gerechtere Verteilung der Gebührenmilliarden zu erreichen: Wenn schon solche Subventionen, dann weniger für Sportrechte, Seifenopern und Gottschalk-Shows, die sich auch übers Privatfernsehen finanzieren ließen – und stattdessen mehr Gebührengelder für Qualitätsjournalismus, egal ob er im Radio, Fernsehen, Printmedien oder online stattfindet.
Lehren aus dem Fall Brender
Es bleiben indes Zweifel, ob Gebühren überhaupt der richtige Weg sind. Die öffentliche Hand ist nicht der bessere Arbeitgeber – nicht bei den Banken, wo durch falsche staatliche Anreize und durch die Landesbanken vermutlich mehr Geld versenkt wurde als im privaten Sektor, und auch nicht bei den Medienunternehmen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk produziert zu teuer.
Außerdem – so hat der Fall Brender im ZDF gerade wieder gelehrt – versuchen Politiker dort über Gebühr(en) hartnäckig auf Journalismus Einfluss zu nehmen. Es ist weiterhin zumutbar, dass Jürgen Habermas, der vor nicht allzu langer Zeit für gebührenfinanzierte Printmedien plädiert hat, seine Zeitung selber bezahlt – und mit ihm die Bildungseliten, die auf Qualitätsjournalismus Wert legen. Die Steuergroschen des Facharbeiters, der Bild-Zeitung liest und RTL guckt, sind nicht nötig, um die Redaktionen von sueddeutsche.de oder auch des Mutterblatts Süddeutsche Zeitung am Leben zu erhalten.
Wozu noch Journalismus?
Zur Professionalität, zum Beruf des Journalisten gehört Unabhängigkeit und – ja, auch: ein bisschen Stolz. Nicht zu verwechseln mit Arroganz und Dünkel, die leider in der Zunft ebenfalls sehr verbreitet sind. Unabhängigkeit und Stolz sind mit dem nicht vereinbar, was die Branche derzeit ihren festangestellten Mitarbeitern zumutet und wie kümmerlich sie freie Journalisten honoriert. Wenn wir professionellen Journalismus erhalten wollen, gilt es deshalb, der Gratis-Kultur eine Kultur der Fairness entgegensetzen. Das ist kein leichtes, aber ein lohnendes Unterfangen.
Journalismus, der nichts kostet, ist jedenfalls nichts wert. Journalismus, der diese Basiseinsicht seinen Lesern, Hörern, Zuschauern und Usern nicht zu vermitteln vermag, macht sich selbst überflüssig …
Zehn Stunden für diesen Beitrag
PS: Ich habe im Selbstversuch mit der Stoppuhr aufgezeichnet, wie lange ich am gewünschten Stück gearbeitet habe: Es hat circa zehn Stunden gedauert, diesen Beitrag zu erstellen. Ein paar Textpassagen, das sei gestanden, habe ich aus früheren Publikationen recycelt. Eine weitere halbe Stunde lang habe ich den Beitrag auf Wunsch der Redaktion überarbeitet. Hätte ein Journalist recherchiert und nicht ein Professor auf sein Wissen und seine eigenen Vorleistungen zugreifen können, wäre vielleicht ein ausgewogeneres Stück mit mehr Quellen entstanden, aber dies hätte vermutlich die Produktionszeit verdoppelt.
Da ich meinen “Marktwert” als Autor nicht ruinieren möchte, sich mein Sendungsbewusstsein in Grenzen hält und ich anders als Paris Hilton auch nicht um Medienaufmerksamkeit giere, füge ich vorsorglich an, dass es sich um ein einmaliges Experiment handelt. Zu diesen Konditionen werde ich hoffentlich keinen Text mehr produzieren. Honorare sind allerdings – vergelt’s Gott – nur Nebeneinkünfte für Hochschullehrer; sie können sich dank ihrer privilegierten Stellung auch gelegentlichen Honorarverzicht leisten.
Journalisten sollten indes von dem erzielbaren Stundensatz leben können. Kosten dürfen Beiträge für Online-Redaktionen indes – darüber schafft erhellend die Website http://www.journalismus.com/job/honorare/online.php?s=s
Transparenz – in aller Regel nur so viel, dass jeder Hartz IV-Empfänger im Vergleich dazu wie ein Krösus aussieht.
Der Beitrag ist Teil der SZ-Serie Wozu noch Journalismus?
Schlagwörter:Öffentlich-Rechtliche, Online, PR, Print, Qualitätsjournalismus