Amerikanisierung, Europäisierung, Berlusconisierung

3. Mai 2011 • PR & Marketing, Ressorts • von

In der Werbebranche vermag das richtige „Catchword“ Berge zu versetzen, im Forschungsbetrieb kreieren dagegen Schlagworte oftmals Trends, die der differenzierten Realität nicht standhalten.

Über Jahrzehnte hinweg haben viele Sozialforscher immer wieder mit der „Amerikanisierung“ unserer Lebensverhältnisse hantiert – eine Formel, die – so simpel gestrickt – bei näherem Hinsehen kaum Bestand hat, wie jüngst neuerlich Forscher an zwei sehr unterschiedlichen Kommunikationsfeldern gezeigt haben. Bei der Jahrestagung der Schweizer Kommunikations- und Medienforscher zur Bildkommunikation stellten Roger Blum und Marlis Prinzing die platte Amerikanisierungs-These am Beispiel des Parteienwettbewerbs in Frage.

Bei Wahlkämpfen, so berichteten sie, sei es längst nicht mehr so, dass alle Kampagnenplaner nur nach den USA schielten. Die Wissenschaftler sprechen deshalb lieber von Modernisierung, Professionalisierung, Medialisierung  und Entideologisierung der Kampagnen.

Ihr  drastischstes Beispiel: In Amerika wäre es undenkbar, auf Plakaten Nackedeis zu präsentieren. In Deutschland haben sich dagegen Kandidaten entkleidet – und weil sie offenbar dank ihres originellen Übermaßes an Transparenz und ohne  Kaisers Kleider beim Wähler „angekommen“ sind, hat dies auch in der Schweiz, in Belgien und in Polen Nachahmer gefunden. Auf Rückfrage betont Frau Prinzing zudem, die Amerikanisierungsthese sei „vor allem dann, wenn sie in den Medien transportiert wird, auch eine Ablenkung“. Amerikanisierung werde missverstanden „als ein Synonym für Hollywood-Wahlkämpfe“ und dabei übersehen, „welch große Rolle in den USA die Issues spielen , die überdies ja durchaus in den Medien ein Forum erhalten“.

Das Nackedei-Beispiel zeigt: Wahlkampfprofis beobachteten sich also im internationalen Austausch wechselseitig  – ein Verhaltensmuster, das man auch Journalisten und Verlagsmanagern auf der Suche nach neuen Erlösmodellen anempfehlen möchte. Denn auch im Medienbetrieb ist die Amerikanisierungs-These wenig stimmig. Jedenfalls sind sich die Forscher am Reuters Institute for the Study of Journalism der University of Oxford keineswegs sicher, ob die Krise des Journalismus in den USA auch in Europa voll durchschlagen wird. Es sei voreilig, den Tod von Zeitungen, des Fernsehens oder gar von kommerziell arbeitenden Nachrichtenmedien vorherzusagen, meinen David A.L. Levy und Rasmus Kleis Nielsen, die in ihrem neuesten Buch zu den Auswirkungen der veränderten journalistischen Geschäftsmodelle ganz unterschiedliche Entwicklungspfade in verschiedenen Ländern Europas, den USA und den beiden BRIC-Staaten Brasilien und Indien ausleuchten. „Wenn die großen Nachrichten-Medien in Amerika sich mit einer ernsteren Krise auseinandersetzen müssen als anderswo, dann ist  damit keineswegs gesagt, dass sie die Wegbereiter für den Rest der Welt sind. Die USA könnten eher eine Ausnahme sein – statt des Vorboten, als der sie vielfach in den Diskussionen um die internationale Medienentwicklung dargestellt werden.“

Dass die Amerikanisierungsthese eher Unfug ist, lässt sich auch nicht zuletzt daran ablesen, dass in den USA bereits vor Jahren Forscher wie Everette Dennis umgekehrt eine „Europäisierung“ des Journalismus beobachtet haben – zum Beispiel, weil viele US-Nachrichtenmedien die Trennung von Nachricht und Meinung nicht mehr strikt durchhalten, oder weil – eher neuerdings und zum Teil inspiriert von der Meinungsfreudigkeit der User im Internet – ganze Sender wie Fox ihr Erfolgsrezept auf politisch einseitigem (Rechts-)Populismus aufbauen.

Durch die osteuropäischen Fachgazetten geistert übrigens seit Jahren das Schlagwort von der „Berlusconisierung“ der dortigen Medien. Ein angesehener Forscher hat es in die Welt gesetzt, und viele andere haben es danach mehr oder minder gedankenlos immer wieder zitiert. „Boulevardisierung“ als Trend – damit wäre der Nagel vermutlich auf den Kopf getroffen, und auch „Italienisierung“ hätte vielleicht gerade noch Sinn ergeben, wenn man damit auf wachsende (partei-)politische Kontrolle und  auf Entertainisierung hätte hinweisen wollen – oder auch auf die „Infantilisierung“ der Medien, wie Umberto Eco das einmal im Blick auf die Verhältnisse in seinem Heimatland genannt hat. Aber Berlusconisierung? Eigentlich sollten die aufstrebenden Demokratien im Osten und Südosten Europas dankbar sein, dass ihnen die Medienübermacht und der mit ihrer Hilfe abgefederte langjährige Amtsmissbrauch eines Berlusconi erspart geblieben ist – übrigens auch dank des (freilich nicht selbstlosen) Engagements westlicher Investoren, die sich aus politischen Händeln eher heraushalten, von Ringier über Springer und die Passauer Verlagsgruppe bis hin zur WAZ-Gruppe und skandinavischen Zeitungsverlegern wie Schibsted.

Offenbar sind auch Wissenschaftler, gerade weil sie Wirkung erzielen wollen, nicht dagegen gefeit, sich gelegentlich Schlagworte zu eigen machen – auch wenn sie damit eher das Gegenteil jener Aufklärung bewirken, auf die Forschung eigentlich zielen sollte.

Quellen:

Roger Blum/Marlis Prinzing (2011): Böse Bilder – brave Bilder. Zwei Tendenzen in der Bildkommunikation europäischer Parteien, Vortrag zur Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM) vom 25./26. März 2011 in Basel

Levy, David A.L. /Nielsen, Rasmus Kleis (eds.) (2010): The Changing Business of Journalism and its Implication for Democracy, Reuters Institute for the Study of Journalism, University of Oxford

Erstveröffentlichung: Werbewoche vom 29. April 2011

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