Die Forschung zum Zusammenspiel zwischen Politik und Massenmedien ist geprägt von gegenseitigen Schuldzuweisungen: während die Kommunikationswissenschaft den Fokus oft auf die politische PR-Maschinerie und das damit verbundene Spin-Doctoring richtet, werden in der Politikwissenschaft häufig die schädlichen Einflüsse der Massenmedien auf politische Entscheidungsprozesse in den Vordergrund gerückt.
In diesem Artikel schlägt der Politikwissenschaftler Nino Landerer eine ausgeglichenere Betrachtungsweise vor, wobei er die Gefährdung der Qualität demokratischer Entscheidungsprozesse vor allem in einer gegenseitig fruchtbaren Symbiose zwischen Wahlkampf-orientierten Politikern und kommerziell ausgerichteten Medienunternehmen sieht.
Gefährdet die Mediatisierung der Politik die Demokratie? Die Antwort auf diese Frage hängt nicht zuletzt mit dem Verständnis des Konzeptes der Mediatisierung zusammen. Mediatisierung ist als Konzept – obschon intuitiv verständlich und häufig verwendet – noch immer mit großer Unschärfe behaftet.
Mediatisierung ist intuitiv verständlich, weil darunter oft ein – wie auch immer gearteter – Einfluss der Massenmedien auf andere gesellschaftliche Bereiche verstanden wird. Da dieser Einfluss der Massenmedien jedoch, anders als bei der klassischen Forschung zu Medieneffekten, nicht nur direkte Medieneffekte, sondern auch reziproke Effekte und selbst das antizipierende Verhalten von Politikern beinhaltet, wird in der Literatur oft das verwandte Konzept der Medienlogik verwendet.
Die Mediatisierung der Politik wird in der wissenschaftlichen Literatur oft darüber definiert, ob sich Politiker mehr an der Medienlogik als an der politischen Logik orientieren. Damit kann auch Verhalten erklärt werden, bei dem die beobachtete Wirkung der Ursache vorausgeht: wenn eine Politikerin versucht, Selektionskriterien der Massenmedien wie Konflikte oder Personalisierung zu antizipieren und sich entsprechend verhält, dann ist dies ein Zeichen für die Wichtigkeit der Medienlogik, obschon es sich nicht um einen Medieneffekt im klassischen Sinne handelt, da der Wirkung keine direkt beobachtbare Ursache vorausgeht.
„Deutliche Wortwahl und kompromisslose Position führen zu Medienpräsenz.“ (Schweizer Ständerat)
Hinter dem unscharfen Konzept der Medienlogik steht jedoch oft etwas anderes: die kommerziell orientierte Marktlogik. Wenn als Indikatoren für die Medienlogik Instrumente wie Personalisierung, Dramatisierung, Skandalisierung, Schwarz-Weiß-Malerei und Wettkampf herangezogen werden, dann haben diese Kriterien oft auch zum Ziel, die Auflage (oder die Einschaltquote) zu steigern. Aber Auflagesteigerung ist kein Selbstzweck in einem kommerziellen Medienunternehmen. Letztendlich dient die Steigerung der Auflage der Maximierung des Profits.
Natürlich funktionieren Medienunternehmen nicht nur nach der kommerziellen Marktlogik. Die professionellen Prinzipien und ethischen Grundsätze, an denen sich Journalisten orientieren, sind ebenfalls wichtige Entscheidungskriterien.
„Journalisten schreiben sich heute gegenseitig ab. Es gibt vielleicht eine oder zwei Leitkühe, der Rest kopiert Mainstream. Dies ist verständlich, denn der Druck auf den Einzelnen ist sehr groß, es bleibt kaum Zeit für reflektiertes Verhalten.“ (Schweizer Ständerat)
In stabilen demokratischen Systemen kann eine zunehmende Kommerzialisierung der Massenmedien jedoch zu einer Herausforderung für demokratische Entscheidungsprozesse werden. Dies hat mit der Politik zu tun. Denn ähnlich wie bei den Massenmedien können bei Politikern zumindest zwei unterschiedliche Interessen herauskristallisiert werden: einerseits das individuelle, vom Streben nach Macht geleitete Interesse, (wieder-)gewählt zu werden und andererseits das normative Ziel, politische und gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen.
„Politiker nutzen die Medien durch Indiskretionen, durch das gezielte Platzieren von Botschaften in den Sonntagszeitungen.“ (Schweizer Nationalrat)
Dabei wird in einem funktionierenden demokratischen System allzu egoistisches und machtorientiertes Verhalten von Seiten der Politiker von den Wählenden spätestens bei der nächsten Wahl abgestraft. Um sich jedoch ein klares Bild der Stärken und Schwächen machen zu können, sind die Wählenden auf kritische und unabhängige Massenmedien angewiesen.
Rein kommerziell orientierte Massenmedien sind nicht unabhängig: sie richten sich – ad extremis getrieben – immer nach der besten Story. Und die beste Story bedeutet in der kommerziellen Logik die Story mit dem größten Verkaufswert. Damit werden sie für die Politiker berechenbar. Während sich die Politik mit immer professionelleren PR-Mitteln ausstatten kann, treibt der kommerzielle Druck private Medienunternehmen zur Reduktion ihrer Ressourcen.
Hier kann nun eine verhängnisvolle „Symbiose“ zwischen rein kommerziell orientierten Medienunternehmen und rein machtorientierten Politikern entstehen: denn Letztere werden versuchen, ihr Verhalten und ihr Programm den kommerziellen Selektionskriterien der Medien anzupassen. Diese Politiker werden versuchen, sich durch plakative Aussagen, polarisierende Themen, „starkes“ Auftreten und angriffiges Verhalten möglichst attraktiv zu machen um in den Medienplattformen mit der größtmöglichen Reichweite ihre Botschaften zu platzieren.
„SVP und SP nutzen die Medien, indem sie die Oppositionsrolle spielen. Die Medien stärken die Pole, denken immer, man müsse Komplexes vereinfachen.“ (Schweizer Nationalrätin)
Und da solche politischen Akteure – zumindest in ihrer theoretischen Reinform – nur am Machterhalt interessiert sind, werden sie sich nur nach den kurzfristigen, in ständigen Meinungsumfragen manifestierten Präferenzen der Wählenden richten. Im Extremfall kann dies zu einer Überbelastung der politischen Institutionen werden, da der Dauerwahlkampf die bestehenden politischen Kanäle verstopft und lösungsorientierte Kompromisse unattraktiv werden.
„Es ist ein Geben und Nehmen, eine Art Symbiose. Medien wollen Stories, Primeure, lassen sich aber nicht kaufen. Die Politiker wiederum nützen dies aus. Die journalistischen Wünsche werden also gezielt bedient.“ (Schweizer Nationalrat)
Mediatisierung kann zu einer Herausforderung für stabile demokratische Systeme werden, wenn sich eine gegenseitig „fruchtbare Symbiose“ zwischen kommerziellen Medienunternehmen und machtorientierten, populistischen Politikern herausbildet. Dies ist aus mindestens zwei Gründen problematisch für die Demokratie: erstens können sich reflektierte Meinungen und politische Minderheiten in der medialen Öffentlichkeit kaum noch Gehör verschaffen. Und zweitens wird die politische Agenda durch kurzfristig orientierte Eingaben überlastet, während notwendige aber unattraktive langfristige Reformen auf der Strecke bleiben.
Die Zitate sind Auszüge aus 50 Interviews, die der Autor im Zeitraum 2011-2012 mit Schweizer National- und Ständeräten aller Parteien geführt hat.
Zum Thema:
Landerer, Nino. (2013). Rethinking the Logics: A Conceptual Framework for the Mediatization of Politics. Communication Theory, 23(3), 239–258.
Landerer, N. (2014). Opposing the Government but Governing the Audience? Exploring the Differential Mediatization of Parliamentary Actors in Switzerland. Journalism Studies, 15(3), 1–17.
Bildquelle: Parlamentsdienste 3003 Bern
Schlagwörter:Demokratie, Macht, Massenmedien, Mediatisierung, Medien, Politik, PR, Schweiz, Schweizer Nationalrat, Schweizer Ständerat