Native Advertising: Der Journalist als Werbetexter

9. Juli 2014 • PR & Marketing • von

Auch in der Schweiz experimentieren Medien mit der Werbeform des Native Advertising. Allen voran das neue Newsportal Watson, das Artikel im redaktionellen Kleid präsentiert, die von einem Werbekunden bestellt wurden. Entgegen den Spielregeln, die sich die Branche selbst auferlegt hat, schreiben auch Redaktoren als Werbetexter. Das sei richtig und wichtig, heißt es bei Watson.

Wie jeder Medientrend, der irgendwann über den Atlantik schwappt, hat auch Native Advertising im Ursprungsland seine Vorreiter. Sie definieren Standards und haben eine Praxis etabliert, an der sich die europäischen Epigonen messen können und sollen.

Bei Native Advertising, einer Neuauflage der Publireportage im Netz, spielt BuzzFeed eine wichtige Rolle als Taktangeber. Wo immer ein Exponent des Unterhaltungs- und Newsportals referiert, richtet sich das Interesse alsbald auf die neuen Spielformen der Onlinewerbung, die BuzzFeed so erfolgreich einsetzt. Was die dort drüben im großen Rahmen schaffen, sollte doch hierzulande in kleinerem Masse auch möglich sein, hoffen hiesige Medienmacher.

Ein wichtiger Leitsatz lautet, der hören kann, wer nach den Erfolgsrezepten fragt: Eine saubere Trennung von Redaktion und Verlag. Im Originalton von Will Hayward, Europa-Chef von BuzzFeed:

„Ich finde es auch gefährlich, dass große Medienunternehmen in Großbritannien, Deutschland oder ­Österreich auf den Verfall der Werbepreise damit reagieren, Werbern Zugang zu ihren Redaktionen zu bieten. Bei BuzzFeed tun wir das nicht. Wir ­haben ein großes Redaktionsteam, bei dem Werber keine Chance haben. Dafür haben wir ein Team von Kreativen, die genau wissen, wie wertvoller Content für Marken aussehen muss, und mit diesen Leuten dürfen die Werber sprechen.“

Oder kürzer: Werbung bleibt Werbung, auch wenn sie nicht so aussehen will.

Bei Watson, dem von AZ-Verleger Peter Wanner finanzierten Newsportal, sieht man das nicht so eng. Wer die Autorenzeilen und -kürzel der Native-Advertising-Formate durchliest, stößt immer wieder auf Namen von Redaktionsmitgliedern. Die naheliegende Vermutung, dass es sich ein Startup finanziell nicht leisten kann, eine eigenständige Abteilung für anspruchsvolle Werbeformate hochzufahren, ist indes nicht der Hauptgrund für die Vermischung von redaktionellen und kommerziellen Aufgaben. Watson hat sich bewusst dafür entschieden, die Grenze zwischen Redaktion und Verlag, wie sie BuzzFeed propagiert, aufzuweichen.

„Erste Erfahrung haben uns gezeigt, dass ein Mitglied der Redaktion besser Detailfragen der Kunden rund um konkrete Inhalte, Umsetzungen und das Storytelling beantworten kann, als die Kolleginnen und Kollegen vom Sales-Team“, erklärt Olaf Kunz von Watson. Eine Trennung der Aufgaben sei später, wenn Native Advertising als Werbeform etabliert „durchaus vorstellbar“, aber sicher nicht jetzt: „Ein eigenes Native-Ad-Team, ganz losgelöst von der Kern-Redaktion, wäre zum jetzigen Zeitpunkt zu früh und für eine konstruktive Diskussion nicht gut.“ Und so zeichnet der Watson-Redaktor gleichzeitig als inhaltliche Verantwortlicher für Native Advertising. In dieser Funktion verfasst er auch selbst regelmäßig solche Werbeformate. Sei es als Autor einer Rubrik zur Work-Life-Balance im Auftrag von AXA Winterthur oder über Raubkunst zur Bewerbung des Kinofilms Monuments Men von 20th Century Fox.

Das hybride Rollenselbstverständnis wirft grundlegende berufsethische Fragen auf. Nach allen gängigen Definitionen der journalistischen Profession werden hier ganz klar Grenzen überschritten. In der „Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten“, auf die sich Verlage und Redaktionen in der Schweiz verständigt haben, steht unmissverständlich: „Sie vermeiden in ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalistinnen und Journalisten jede Form von kommerzieller Werbung und akzeptieren keinerlei Bedingungen von Seiten der Inserenten.“

Auch der „Code of Conduct – Werbung in Medien“ zu dessen Einhaltung sich ein Großteil der schweizerischen Verlagsbranche selbst verpflichtet hat, hält fest, dass immer klar erkennbar sein müsse, „ob die Inhalte redaktionellen Ursprungs oder kommerziell als Werbefläche platziert und von den Dritten bezahlt sind“. Wenn ein Autor gleichzeitig Beiträge als Redaktor und Werbetexter in ein und demselben Medium veröffentlicht, ist dieses Transparenzgebot zumindest geritzt, wenn nicht gar verletzt. Watson hat sich diesem Code zwar nicht unterstellt, aber aufgrund seiner breiten Akzeptanz kann man das Dokument dennoch als Maßstab heranziehen.

Dass es auch anders geht, zeigt ausgerechnet Blick am Abend, ein Titel nota bene, der den „Code of Conduct“ nota bene nicht unterzeichnet hat. Die Gratiszeitung veröffentlicht auf ihrer Website regelmäßig gesponserte Artikel, meist sogenannte Listicles. „Bei uns wird eine strikte Trennung eingehalten“, versichert Chefredaktor Peter Röthlisberger. „Wenn Native Ads von uns intern hergestellt werden, dann von Mitarbeitern, die im Verlag angestellt sind.“ Klar verfügt Ringier als Herausgeber des Blick am Abend über größere Ressourcen und kann es sich bereits in der Experimentierphase leisten, eigens Personal für die neuen Aufgaben abzustellen.

Doch unabhängig davon geht es hier um die alte und ewige Grundsatzfrage: Wie nah sollen und können sich Redaktion und Verlag stehen, ohne dass damit die Unabhängigkeit des Journalismus unterminiert wird? Die Extremposition hält jegliche Distanz für obsolet und die „Chinesische Mauer“ für ein Relikt der Vergangenheit. „Die berühmte Firewall zwischen Verlag und Redaktion kann man sich heute gar nicht mehr leisten“, findet Markus Somm, Chefredaktor und Verleger der Basler Zeitung. Die Unabhängigkeit einer Redaktion könne nur noch gesichert werden, wenn diese auch wirtschaftlich denke und man sich den Inserenten gegenüber um Fairness bemühe, was Somm indes nicht als Absage an den kritischen Journalismus verstanden wissen will.

Dass die strikte Trennung von Verlagsgeschäft und Redaktionsarbeit schon immer mehr hehrer Anspruch war als gelebte Wirklichkeit, sollte dennoch nicht dazu verleiten, mutwillig die letzten Fragmente der „Chinesischen Mauer“ zu schleifen. Eine engere Verschmelzung der einstigen Antipoden Redaktion und Verlag als in Form einer Personalunion von Redaktor und Werbetexter ist nicht vorstellbar. Dass hier zumindest Diskussionsbedarf besteht, ist sich auch Olaf Kunz bewusst, wenn er „intensive Auseinandersetzung mit journalistischen Grundsatzfragen“ anstehen sieht. Bis jetzt hat man davon allerdings erst wenig vernommen aus dem Hause Watson. Auf Kritik wird oft abwehrend reagiert mit dem Hinweis auf noch viel schlimmere und weniger transparente Zustände bei anderen Medien.

Erstveröffentlichung: Medienwoche vom 4. Juli 2014

Bildquelle: Screenshot Watson.ch vom 8. Juli 2014

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