Unter dem Deckmantel des Ausnahmezustands führte die Regierung Maßnahmen ein, die die Redefreiheit und den freien Zugang zu Informationen einschränkten.
Als sich die Covid-19-Pandemie in Europa ausbreitete, verabschiedeten viele Regierungen Notstandsgesetze, die ihnen bei der Bewältigung der Krise helfen sollten. In Rumänien brachte die Verhängung des Ausnahmezustands Maßnahmen mit sich, die die Redefreiheit und den freien Zugang zu Informationen einschränkten und der Regierung quasi ein Informationsmonopol einräumten. Praktiken wie die Entfernung von Inhalten, die Blockierung von Online-Veröffentlichungen, Strafanzeigen und die Androhung rechtlicher Schritte wurden eingesetzt, um die Medien einzuschüchtern. Es bleibt abzuwarten, ob diese Praktiken nur ein Einzelfall waren oder ob sie einen Präzedenzfall schaffen werden.
Am 16. März 2020, als die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Rumänien die 100er-Marke erreicht hatte, rief Präsident Klaus Iohannis den Ausnahmezustand aus. Ebenfalls am 16. März informierte die Ständige Vertretung Rumäniens bei der EU den Europäischen Rat über eine temporäre Ablösung Rumäniens von der Europäischen Erklärung der Menschenrechte für die Zeit des Ausnahmezustands, um die entsprechenden Erlasse durchsetzen zu können. Auch wenn dieses Vorgehen zeitlich begrenzt sein soll, wurde dennoch nicht deutlich dargestellt, welche Rechte beschränkt werden. Das Vorgehen wurde der Bevölkerung nicht ausreichend erläutert. Stattdessen erfuhr sie darüber durch die staatliche Nachrichtenagentur Agerpres, die sich wiederum auf die französische Nachrichtenagentur AFP berief. Dieser Mangel an Transparenz und Kommunikation alarmierte die Öffentlichkeit.
In den ersten Absätzen des Präsidialerlasses wurde der außerordentliche Charakter der eingeführten Maßnahmen unterstrichen und betont, dass sie notwendig seien, damit die Regierung die Krise effizient bewältigen könne. Eine der Bestimmungen zielte darauf ab, der Verbreitung pandemiebezogener „Falschinformationen“ im Internet entgegenzuwirken, und ermöglichte es, Artikel und ganze Websites zu löschen und sperren.
Zuständig für die Entfernung von Online-Inhalten war die Regierungsbehörde ANCOM, die die Kommunikationsinfrastruktur des Landes beaufsichtigt. Die Bestimmung über „falsche Informationen“ erlaubte es nicht, gegen die Entscheidungen der ANCOM Berufung einzulegen – auch wenn diese keinerlei Erfahrung im Umgang mit Desinformation hatte.
Im Rahmen ihrer Bemühungen, Fehlinformationen entgegenzuwirken, richtete die Regierung auch eine Website, stirioficiale.ro, als Portal für die Verbreitung aller offiziellen Mitteilungen im Zusammenhang mit Covid-19 ein. Diese enthielt zunächst nur Pressemitteilungen und offizielle Erklärungen, die bereits auf der Website des Innenministeriums und anderer Ministerien veröffentlicht worden waren. Nun beherbergt es auch eine Datensektion und enthält nützliche Ratschläge zu Themen im Zusammenhang mit Coronaviren.
Überwachung von Online-Inhalten
Es dauerte nicht lange, bis die Regierung die Rolle von ANCOM bei der Entfernung von Online-Inhalten klären musste. Sie kündigte an, dass die Kommunikationsbehörde lediglich die Entfernung der Inhalte durchführen und dabei den Empfehlungen der Strategischen Kommunikationsgruppe folgen würde, einer Task Force, die zur Bewältigung der Reaktion auf die Krise eingerichtet wurde. Die Strategische Kommunikationsgruppe ist im Innenministerium angesiedelt – das über Fachkenntnisse im Umgang mit Sicherheits- und Kontrollfragen, aber nicht über Fachwissen in Medienfragen verfügt – und wurde damit beauftragt, zu überwachen, was online veröffentlicht werden kann.
In einer Klarstellung des Innenministeriums hieß es, dass „die Verordnung nicht jene Medien betrifft, die die öffentliche Meinung wiederspiegeln, deren Identität bekannt ist und mit denen die Behörden in ständigem Dialog stehen und zusammenarbeiten“. Dies macht deutlich, dass die Behörden der Ansicht sind, dass die Seriosität einer Medieninstitution dadurch definiert wird, inwieweit sie mit dem Staat zusammenarbeitet. Sie scheinen zu vergessen, dass in einer demokratischen Gesellschaft Medien, die ihre Rolle, von Machthabern Rechenschaft zu verlangen, ernst nehmen, eher ein unbequemes Verhältnis zum Staat haben. Um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren, dürfen Watchdogs nicht zulassen, dass ihr Verhältnis zu den Behörden zu gemütlich wird.
Ein weiterer Grund zur Besorgnis ist die Tatsache, dass die Namen der Mitglieder der Gruppe ein streng gehütetes Geheimnis sind, obwohl Medienbeobachter wie das Center for Independent Journalism und ActiveWatch sowie Mainstream-Medien wie die Tageszeitung Libertatea die Herausgabe ihrer Namen gefordert haben.
Zugang zu Informationen eingeschränkt
Das Notstandsdekret schränkte auch Informationsersuche ein, insbesondere durch die Verlängerung der Antwortfrist für die Behörden von 30 auf 60 Tage (für komplexe Anfragen). Im März durften die Behörden in einzelnen Bezirken keine Informationen über die Zahl der bestätigten Covid-19-Fälle, die Zahl der durchgeführten Tests oder den Gesundheitszustand der infizierten Personen in ihrem Gebiet veröffentlichen. Nachdem jedoch öffentlicher Druck ausgeübt wurde – so unterzeichneten beispielsweise mehr als 150 Journalisten und 97 Medienorganisationen eine Petition – begannen die lokalen Behörden wieder damit, kreisbezogene Daten zu veröffentlichen.
Es gab Fälle, in denen Kommunalbehörden die Bestimmung bezüglich der „Fehlinformation der Öffentlichkeit“ als Vorwand nutzten, so wurde in einem Fall eine Strafanzeige gegen die Urheber von Videomaterial erstattet, in der es um die schlechte Qualität der Schutzausrüstung für das Gesundheitspersonal ging. Darüber hinaus wurde eine Website von ihrem Dienstanbieter blockiert, nachdem gegen sie eine Strafanzeige wegen Verleumdung eingereicht worden war. In diesem Fall bezog sich die Verleumdungsklage nicht auf Covid-19, und es war kein Urteil gefällt worden, aber die Schnelligkeit, mit der der Dienstanbieter die Veröffentlichung präventiv blockierte, zeigt, wie leicht Inhalte ohne ein ordnungsgemäßes Verfahren entfernt werden können. Die fragliche Website wurde inzwischen wiederhergestellt. Schließlich drohte eine Staatssekretärin im Justizministerium mit einer Strafanzeige gegen Journalisten, die sie im Zusammenhang mit dem Zustand des öffentlichen Gesundheitsdienstes kritisierten, mit der Begründung, sie würden „Fehlinformationen verbreiten“.
Gefährlicher Präzedenzfall
Bis zum Ende des Ausnahmezustands am 15. Mai hatte ANCOM 15 Websites gesperrt und zwei weitere Websites angewiesen, Artikel zu entfernen, mit der Begründung, dass sie falsche Informationen verbreiteten, darunter Berichte über die bevorstehende Schließung aller Supermärkte und über gewalttätige Angriffe auf Krankenwagen sowie Inhalte, die alternative Behandlungsmethoden für Covid-19 propagieren.
Sie versuchte, diese Aktion mit der Behauptung zu rechtfertigen, dass solche falschen Informationen eine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung darstellten. Es wurde jedoch nicht erklärt, wie das Risiko bewertet wird, und der Entscheidungsprozess blieb, wie auch die Zusammensetzung der Gruppe für strategische Kommunikation, geheim.
Die Ausbreitung von Falschinformationen im Internet ist besonders problematisch und sollte auf keinen Fall unterschätzt werden. Eine aktive Zensur ist jedoch kein Lösungsansatz. Im Gegenteil: Sie ist höchst kontraproduktiv. Die Tatsache, dass ein intransparenter Staat versucht, Informationen zurückzuhalten, könnte wiederum unseriöse Quellen legitimieren.
Einige der gesperrten Websites, wie OrtodoxINFO und genocide.ro, reagierten rasch auf die Maßnahmen gegen sie und setzten entweder die Veröffentlichung fort, indem sie auf andere Domains übergingen, oder mobilisierten ihre Leser, sich bei Präsident Klaus Iohannis und Premierminister Ludovic Orban für ihre Sache einzusetzen. Andere reagierten nicht, sondern profitierten von der Aufmerksamkeit, die ihnen durch die breite Berichterstattung in den Mainstream-Medien zuteil wurde. Nachdem der Ausnahmezustand beendet war, stellte ANCOM offiziell alle blockierten Inhalte wieder her. Fast alle 15 gesperrten Websites sind jetzt wieder online.
Die Leichtigkeit, mit der diese „außerordentlichen“ Maßnahmen ausgearbeitet und umgesetzt wurden, gibt Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Zukunft der Meinungsfreiheit in Rumänien. Sobald gefährliche Präzedenzfälle geschaffen worden sind, können sie nur allzu leicht als Zukunftsoptionen betrachtet werden. Die Verbreitung von Desinformationen ist unbestreitbar ein ernstes Problem, sowohl in den Massenmedien als auch in Nischenpublikationen, doch dieses Experiment des rumänischen Staates – bei dem eine Gruppe, die im Innenministerium tätig ist und sich aus unbekannten Personen zusammensetzt, über die Gültigkeit und Wahrheit von Informationen entscheidet – hat wenig zur Lösung dieses Problems beigetragen. Es hat jedoch gezeigt, wie verwundbar unsere Grundrechte in Ausnahmezuständen sind.
- Dieser Beitrag wurde am 30. Juni korrigiert. Der Ausnahmezustand wurde ausgerufen, als die Coronavirus-Infektionen die 100er-Marke (und nicht die 1000er-Marke) erreicht hatten.
Schlagwörter:ANCOM, Corona-Krise, Covid-19, Fake News, Pressefreiheit, Rumänien, Zensur