Die Medien bleiben, wie sie immer waren: Der „konstruktive Journalismus“ ist gescheitert.
Das Frühjahr 2015 war die Saison der religiösen Läuterung. Die bösen Journalisten dieser Welt beschlossen, nun gute Journalisten zu werden.
Sie wurden es nicht, können wir zwei Jahre danach festhalten. Eher das Gegenteil.
„Konstruktiver Journalismus“ hieß 2015 der Hype auf den Redaktionen. Ulrik Haagerup, der Nachrichtenchef des dänischen Rundfunks, hatte mit seinem Buch über „constructive news“ die Branche in einen Taumel des positiven Denkens versetzt. Selbst die sogenannt kritischen Journalisten von Zeit bis Spiegel gelobten Besserung zwecks Weltverbesserung.
Besonders toll trieb es der Tages-Anzeiger. Nach einem Interview mit Haagerup schuf er ein eigenes Gefäß, das jeden Montag die Woche mit guten Nachrichten einläuten sollte. „Die Lösung“ hieß die Rubrik.” Auch der Tages-Anzeiger setzt auf konstruktiven Journalismus“, kündigte das Blatt bedeutungsvoll an.
Dann geschah das Unvermeidliche. Der 200-köpfigen Redaktion des Tages-Anzeigers gelang es nicht, auch nicht ein einziges Mal in der Woche, brauchbare good news zu finden. Die Rubrik „Die Lösung“ wandelte sich darum schnell in ein Absurditätenkabinett. Da tauchte ein Tierarzt auf, der in Bukarest ein Heim für Straßenhunde gründen wollte, da lernte man, wie man in Indien zu billigen Hepatitis-Medikamenten kommt.
Nach wenigen Monaten schon verschwand die regelmäßige montägliche Gutwetter-Rubrik aus der Zeitung. Dann flackerte „Die Lösung” noch etwas im Internet weiter, bis sie auch dort allmählich versandete.
Nicht viel besser erging es all den Online-Seiten, die im Zuge des konstruktiven Überschwangs gegründet wurden. Die bekannteste deutsche Site hieß „Perspective Daily“. Sie hat immerhin bis heute überlebt, weil sie sich mit Spendenaktionen knapp über Wasser hält. Aber auch hier muss oft Nonsens für die guten Nachrichten herhalten. Zu den Attentaten in Europa etwa fiel der Redaktion die positive Story ein: „Warum Senioren gefährlicher sind als Terroristen“.
Zur übelsten Schwachstelle des konstruktiven Journalismus aber wurde, dass er das Gegenteil von kritischem Journalismus war. Weil die Redaktoren verzweifelt auf der Suche nach guten Nachrichten waren, gingen sie dauernd irgendwelchen schönfärberischen Botschaften von PR-Profis auf den Leim. Die PR-Agenturen lieferten die gesuchten good news, die Konstruktiv-Redaktionen druckten sie ab.
Man kann das auch gut bei den Lösungs-Storys des Tages-Anzeigers nachverfolgen. Permanent wurden hier neue Methoden zur Energiegewinnung angekündigt, wurden Durchbrüche in der Haustechnologie verkündet, machte die medizinische Forschung riesige Fortschritte und wurde die Arbeitswelt revolutioniert.
Häufig waren PR-Beauftragte und Lobbyisten an den schönen Storys interessiert. Es ging darum, Unternehmen und Hochschulen zu promoten, Geld für Projekte zu akquirieren und die Kassen von Spendenorganisationen zu füllen.
Der konstruktive Journalismus war darum schnell angeschlagen. Doch dann ereilte ihn der Todesstoß. Trump, Putin und Erdogan begannen die Schlagzeilen zu dominieren. Die Journalisten steigerten sich ab 2016 in eine bisher nie gesehene Aggressivität. Beschimpfungen von „Psychopath“ bis „Faschist“ wurden auch für Staatspräsidenten in der seriösen Presse alltäglich.
Seitdem sind die Medien auf Krawall gebürstet. Kaum ein Journalist interessiert sich noch für konstruktive Ansätze.
Immerhin, eine Rubrik mit dem Titel „Lösungen“ überlebte auch im Tages-Anzeiger. Es sind die Lösungen für die Denksportaufgaben des Blatts.
Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 30. März 2017
Zum Thema auf EJO:
Warum so negativ? – Konstruktiver Journalismus in Deutschland
Schlagwörter:konstruktiver Journalismus, onstructive news, Perspective Daily, Tages-Anzeiger, Ulrik Haagerup